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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Elisabeths Erinnerungen.

großer innerer Erregung zu uns, und brachte die Nachricht, Schwanenburg
habe den Glauben verloren und wolle Philologie studiren. Als er hörte,
daß sein Freund mir dies alles selbst bereits anvertraut habe, war er sehr
verwundert; merkwürdig war es ja auch.

Später machte Schwcmenburg bei uns Besuch und nahm an unsern Lese¬
abenden Teil. An diese denke ich mit Entzücken. Unser Hauswirt, der Direktor,
führte den Vorsitz und gab dem Ganzen die Weihe. Auch übte er Kritik und
legte oft seine Freude über mein "Organ" an den Tag, worunter er meine
Aussprache verstand. Die andern nutzten dies aber auf und neckten mich mit
meinem "Organ." Der Direktor selbst las vorzüglich. Es war geradezu er¬
schütternd, wenn er, z. B. als Kreon in der Antigone, durch seine Stimme der
Leidenschaft Ausdruck lieh. Auch verstand er es meisterhaft, durch eine hin¬
geworfene Bemerkung unser Interesse für das Gelesene zu erhöhen. Und vor
allen Dingen besaß er eine rührende Geduld. Die Mutter schüttelte manchmal
den Kopf, wenn ich ihn so hartnäckig mit meinen Fragen belästigte, aber ich
fühlte, daß es ihm Freude machte, mir Rede und Antwort zu stehen.

Auf der Akademie gab ich mir unsägliche Mühe. Die Professoren und
Lehrer rühmten meinen Fleiß und behaupteten, ich machte Fortschritte. Ich
selbst merkte nichts davon. Plötzlich bekam ich kranke Finger und mußte mich
schmerzhafte" Operationen unterziehen. Nun konnte ich monatelang nicht malen.
Kaum war dieses Leiden gehoben, da verfiel ich einer innern Krankheit, die
einen guten Teil meiner Kräfte aufrieb.

Als Wiedergeneseude folgte ich der Aufforderung eines Verwandten, seinem
Hausstande vorzustehen, da seine Frau und seine Kinder gleichzeitig darnieder¬
lägen. Plötzlich stand ich vor einem Wirkungskreise mit großer Verantwort¬
lichkeit, aber davor scheute ich mich nicht. Mit Gottvertrauen ging ich an die
Arbeit, und des Himmels Segen ruhte auf allem, was ich anordnete oder selbst
that. Meine Krankenpflege wurde vom schönsten Erfolge gekrönt, und des Onkels
Häuslichkeit ließ nach seiner Versicherung nichts zu wünschen übrig. Das
wollte aber etwas sagen, denn er war ein Pedant, wenn auch ein liebens¬
würdiger.

Als ich sah, daß ich entbehrlich wurde, kehrte ich zur Mutter zurück, in
deren Stillleben inzwischen als ein Ereignis der Weggang unsers täglichen
Gastes gefallen war. Herr Steffens hatte auswärts eine Stelle als Haus¬
lehrer angenommen.

Als ich nun meine akademischen Studien wieder fortsetzte, gelangte ich
von Tag zu Tag mehr zu der Überzeugung, daß ich Wohl eine gemachte, aber
keine geborne Künstlerin würde werden können. Der Gedanke drückte mich nieder.
Dies merkte die Mutter, und in ihrer feinen Herzensgüte bat sie mich, ihret¬
wegen von der künstlerischen Laufbahn zurückzutreten. Ich fügte mich diesem
Wunsche.


Elisabeths Erinnerungen.

großer innerer Erregung zu uns, und brachte die Nachricht, Schwanenburg
habe den Glauben verloren und wolle Philologie studiren. Als er hörte,
daß sein Freund mir dies alles selbst bereits anvertraut habe, war er sehr
verwundert; merkwürdig war es ja auch.

Später machte Schwcmenburg bei uns Besuch und nahm an unsern Lese¬
abenden Teil. An diese denke ich mit Entzücken. Unser Hauswirt, der Direktor,
führte den Vorsitz und gab dem Ganzen die Weihe. Auch übte er Kritik und
legte oft seine Freude über mein „Organ" an den Tag, worunter er meine
Aussprache verstand. Die andern nutzten dies aber auf und neckten mich mit
meinem „Organ." Der Direktor selbst las vorzüglich. Es war geradezu er¬
schütternd, wenn er, z. B. als Kreon in der Antigone, durch seine Stimme der
Leidenschaft Ausdruck lieh. Auch verstand er es meisterhaft, durch eine hin¬
geworfene Bemerkung unser Interesse für das Gelesene zu erhöhen. Und vor
allen Dingen besaß er eine rührende Geduld. Die Mutter schüttelte manchmal
den Kopf, wenn ich ihn so hartnäckig mit meinen Fragen belästigte, aber ich
fühlte, daß es ihm Freude machte, mir Rede und Antwort zu stehen.

Auf der Akademie gab ich mir unsägliche Mühe. Die Professoren und
Lehrer rühmten meinen Fleiß und behaupteten, ich machte Fortschritte. Ich
selbst merkte nichts davon. Plötzlich bekam ich kranke Finger und mußte mich
schmerzhafte» Operationen unterziehen. Nun konnte ich monatelang nicht malen.
Kaum war dieses Leiden gehoben, da verfiel ich einer innern Krankheit, die
einen guten Teil meiner Kräfte aufrieb.

Als Wiedergeneseude folgte ich der Aufforderung eines Verwandten, seinem
Hausstande vorzustehen, da seine Frau und seine Kinder gleichzeitig darnieder¬
lägen. Plötzlich stand ich vor einem Wirkungskreise mit großer Verantwort¬
lichkeit, aber davor scheute ich mich nicht. Mit Gottvertrauen ging ich an die
Arbeit, und des Himmels Segen ruhte auf allem, was ich anordnete oder selbst
that. Meine Krankenpflege wurde vom schönsten Erfolge gekrönt, und des Onkels
Häuslichkeit ließ nach seiner Versicherung nichts zu wünschen übrig. Das
wollte aber etwas sagen, denn er war ein Pedant, wenn auch ein liebens¬
würdiger.

Als ich sah, daß ich entbehrlich wurde, kehrte ich zur Mutter zurück, in
deren Stillleben inzwischen als ein Ereignis der Weggang unsers täglichen
Gastes gefallen war. Herr Steffens hatte auswärts eine Stelle als Haus¬
lehrer angenommen.

Als ich nun meine akademischen Studien wieder fortsetzte, gelangte ich
von Tag zu Tag mehr zu der Überzeugung, daß ich Wohl eine gemachte, aber
keine geborne Künstlerin würde werden können. Der Gedanke drückte mich nieder.
Dies merkte die Mutter, und in ihrer feinen Herzensgüte bat sie mich, ihret¬
wegen von der künstlerischen Laufbahn zurückzutreten. Ich fügte mich diesem
Wunsche.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/355>, abgerufen am 28.05.2024.