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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die Verfassung des deutschon Reiches im vorigen Jahrhundert.

so klingt das poetisch recht schön; aber in Wirklichkeit war das ganz anders.
In früheren Jahrhunderten hatten zwar die weltlichen Kurfürsten ihr Wahl¬
recht in Person ausgeübt; ihre Thätigkeit bei der Krönung aber Pflegte auch
damals höchstens darin zu bestehen, daß sie dem Kaiser die Reichsinsignien
vorcmtrngeu. Später pflegten sie für ihre Person gänzlich unbeteiligt zu
bleiben; sie waren eben selbst zu große Herren geworden, hatten auch Wohl
Streit oder gar Krieg mit dem Kaiser. Ihr Wahlrecht ließen sie durch Ge¬
sandte ausüben, und bei der Krönung glänzten sie durch Abwesenheit. Man
lese nur bei Goethe, welch unheimlichen Eindruck ihre leeren Prunktafeln bei
dem Kröuuugsmahlc im Römer machten.

Um diesem Mißstände abzuhelfen, war man auf ein äußerst scharfsinniges
Auskunftsmittel verfallen. Da des Reiches Erzbcamte nicht erschienen, so
traten an ihre Stelle die Reichserbbecuntcn, sudoMomlss Iroxcrii, welche ihr
Amt von den Kurfürsten zu Lehen trugen. Erbtruchscß war der Graf von
Waldburg; Erbschenken waren bis 1713 die Schenken von Limburg, darnach
die Grafen von Althan; das Erbmarschallamt stand den Grafen von Pappen¬
heim zu, die Erbkümmererwürdc den Fürsten von Hohenzollern, und Erbschcch-
mcister war der Gras von Sinzendorf. Daneben hatte man dann noch andre
Erbämter geschaffen, z. B. das Postmcistcramt, das den Fürsten von Thurn
und Taxis gehörte, das Erbstallmeisteramt, das von den Grafen, später Fürsten
von Schwarzburg bekleidet wurde u. f. w. Der Merkwürdigkeit wegen soll hier
nicht vergessen werden, daß sogar des heiligen römischen Reiches Erbthürhüter¬
amt vorhanden war, welches "denen Grafen von Werthern erd- und eigentüm¬
lich zustand."

In allen mir einigermaßen wichtigen Fragen der Reichsregiernng war der
Kaiser an die Zustimmung des Reichstages gebunden. Bei der Betrachtung
dieser wichtigsten Einrichtung des alten Reiches finden wir das allgemeine
Kennzeichen aller Neichseinrichtungen am schärfsten ausgeprägt, nämlich den
schreienden Widerspruch zwischen der äußeren, würdevollen Form und der inneren
Hohlheit und Nichtigkeit, den schroffen Gegensatz zwischen den aufrecht erhaltenen
Machtansprüchen und der wirklichen Macht und Bedeutung.

Zu den Zeiten der Macht und Größe des Reiches waren die Reichstage
von deu Kaisern je nach Bedarf in längeren oder kürzeren Zwischenräumen
berufen worden und hatten sich in den verschiedensten Städten des Reiches ver¬
sammelt, so in Speier, Worms, Mainz, in Augsburg, Regensburg, Forchheim,
in Erfurt, Goslar u. s. w. Der letzte derartige Reichstag, der mit einem förm¬
liche" NeiclMagsabschiede, rsosWiis Imxvrii, entlassen wurde, war im Jahre
1654 zu Regensburg abgehalten worden. Seit 1665 tagte in dieser Stadt
der ständige Reichstag, den man spottweise Wohl die "lange Reichsnacht deutscher
Nation" genannt hat, und der sich erst im Jahre 1806 mit dem Reiche selbst
auflöste.


Die Verfassung des deutschon Reiches im vorigen Jahrhundert.

so klingt das poetisch recht schön; aber in Wirklichkeit war das ganz anders.
In früheren Jahrhunderten hatten zwar die weltlichen Kurfürsten ihr Wahl¬
recht in Person ausgeübt; ihre Thätigkeit bei der Krönung aber Pflegte auch
damals höchstens darin zu bestehen, daß sie dem Kaiser die Reichsinsignien
vorcmtrngeu. Später pflegten sie für ihre Person gänzlich unbeteiligt zu
bleiben; sie waren eben selbst zu große Herren geworden, hatten auch Wohl
Streit oder gar Krieg mit dem Kaiser. Ihr Wahlrecht ließen sie durch Ge¬
sandte ausüben, und bei der Krönung glänzten sie durch Abwesenheit. Man
lese nur bei Goethe, welch unheimlichen Eindruck ihre leeren Prunktafeln bei
dem Kröuuugsmahlc im Römer machten.

Um diesem Mißstände abzuhelfen, war man auf ein äußerst scharfsinniges
Auskunftsmittel verfallen. Da des Reiches Erzbcamte nicht erschienen, so
traten an ihre Stelle die Reichserbbecuntcn, sudoMomlss Iroxcrii, welche ihr
Amt von den Kurfürsten zu Lehen trugen. Erbtruchscß war der Graf von
Waldburg; Erbschenken waren bis 1713 die Schenken von Limburg, darnach
die Grafen von Althan; das Erbmarschallamt stand den Grafen von Pappen¬
heim zu, die Erbkümmererwürdc den Fürsten von Hohenzollern, und Erbschcch-
mcister war der Gras von Sinzendorf. Daneben hatte man dann noch andre
Erbämter geschaffen, z. B. das Postmcistcramt, das den Fürsten von Thurn
und Taxis gehörte, das Erbstallmeisteramt, das von den Grafen, später Fürsten
von Schwarzburg bekleidet wurde u. f. w. Der Merkwürdigkeit wegen soll hier
nicht vergessen werden, daß sogar des heiligen römischen Reiches Erbthürhüter¬
amt vorhanden war, welches „denen Grafen von Werthern erd- und eigentüm¬
lich zustand."

In allen mir einigermaßen wichtigen Fragen der Reichsregiernng war der
Kaiser an die Zustimmung des Reichstages gebunden. Bei der Betrachtung
dieser wichtigsten Einrichtung des alten Reiches finden wir das allgemeine
Kennzeichen aller Neichseinrichtungen am schärfsten ausgeprägt, nämlich den
schreienden Widerspruch zwischen der äußeren, würdevollen Form und der inneren
Hohlheit und Nichtigkeit, den schroffen Gegensatz zwischen den aufrecht erhaltenen
Machtansprüchen und der wirklichen Macht und Bedeutung.

Zu den Zeiten der Macht und Größe des Reiches waren die Reichstage
von deu Kaisern je nach Bedarf in längeren oder kürzeren Zwischenräumen
berufen worden und hatten sich in den verschiedensten Städten des Reiches ver¬
sammelt, so in Speier, Worms, Mainz, in Augsburg, Regensburg, Forchheim,
in Erfurt, Goslar u. s. w. Der letzte derartige Reichstag, der mit einem förm¬
liche» NeiclMagsabschiede, rsosWiis Imxvrii, entlassen wurde, war im Jahre
1654 zu Regensburg abgehalten worden. Seit 1665 tagte in dieser Stadt
der ständige Reichstag, den man spottweise Wohl die „lange Reichsnacht deutscher
Nation" genannt hat, und der sich erst im Jahre 1806 mit dem Reiche selbst
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/362>, abgerufen am 15.05.2024.