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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Noch einmal die Tonleiter.

Vielleicht darf ich da auch einen Tongang mit vorbringen, den ich mir
lange schon gern klimpere, ohne irgend an die Tonleiter zu denken, der aber
nichts ist als die Tonleiter in ähnlicher Weise rhythmisch-melodisch ausgestaltet,
was mir erst durch Herrn F. D. Kar geworden ist; es ist aber auch die ganze
Tonleiter im alten Sinne, dabei mit Zuziehung des Tonraumes von, Grundton
bis zur untern Dominante, die ja auch als Ansatz oder Antrittsstelle dient für
den Tonverlauf einfacher Melodien mit Benutzung der Stufentöne und als Unter¬
brechung des eintönigen Auf und Ab der Leiter; die vorletzten vier Töne werden
mir beim Spielen von selbst gewöhnlich zu etwas länger angehaltenen, was
ein angenehmes getragenes Ausklingen giebt, anch an der entsprechenden Stelle
des ersten Satzes schon anwendbar:



Die linke Hand kann dazu den harmonischen Hintergrund leicht belebend an¬
deuten. Ich schlage da gewöhnlich bei dem Z des ersten Taktes das nächste
untere g' an, bei dem et des zweiten Taktes das entsprechende it, bei dem -i des
dritten das e, bei dem ä des vierten das untere s, womit die Stelle der beiden
Takte auch harmonisch, nicht bloß melodisch der Mittel- oder Knotenpunkt des
kleinen Ganzen wird; beim fünften Takte schlage ich ä, beim sechsten us an, beim
siebenten und achten aber als dem Abschluß des ersten Satzes mit den Tönen
oben einklingend A, n und ä. Im zweiten Satze ebenso, nur daß am Schlüsse
dreimal unter sich wiederholt, sodaß von der rechten Hand uoch einmal das
harmonische Grundgewebe anklingt, mit der Dominante unter und dem ersten
Stufentou über dem Grundton, mit der linken aber zugleich der allbeherrschende
Grundton in der Tiefe. So ist mir das kleine Ganze wahrhaft behaglich und
beruhigend oder abspannend nach angestrengter Kopfarbeit.

Was mich aber in der ersten Erwiderung am meisten erfreut und bereichert
hat, das ist die Stelle, die darin der Natur eingeräumt wird als einer Macht,
die mitzusprechen, ja das letzte Wort zu sprechen habe, wenn da von einer "von
der Natur gegebenen," ja "von der Natur gewollten Tonleiter" geredet wird.
Das schlug bei mir in alte stille Lieblingsgedanken ein wie ein belebender und
beleuchtender elektrischer Funke. Denn mir leuchtete schou lange bei meinem
privaten Grübeln wie ein fernes Licht der stille Gedanke, daß hinter dem ganzen
Tonwesen eigentlich ein großer stiller Wille steht, dessen Weisungen oder Wünsche
man zu erlauschen und zu befolgen hat, auch wo man seine Gründe uoch nicht
erkennt. Da kommt mirs nun vor, als ob dieser musikalische Wille, die Natur


Noch einmal die Tonleiter.

Vielleicht darf ich da auch einen Tongang mit vorbringen, den ich mir
lange schon gern klimpere, ohne irgend an die Tonleiter zu denken, der aber
nichts ist als die Tonleiter in ähnlicher Weise rhythmisch-melodisch ausgestaltet,
was mir erst durch Herrn F. D. Kar geworden ist; es ist aber auch die ganze
Tonleiter im alten Sinne, dabei mit Zuziehung des Tonraumes von, Grundton
bis zur untern Dominante, die ja auch als Ansatz oder Antrittsstelle dient für
den Tonverlauf einfacher Melodien mit Benutzung der Stufentöne und als Unter¬
brechung des eintönigen Auf und Ab der Leiter; die vorletzten vier Töne werden
mir beim Spielen von selbst gewöhnlich zu etwas länger angehaltenen, was
ein angenehmes getragenes Ausklingen giebt, anch an der entsprechenden Stelle
des ersten Satzes schon anwendbar:



Die linke Hand kann dazu den harmonischen Hintergrund leicht belebend an¬
deuten. Ich schlage da gewöhnlich bei dem Z des ersten Taktes das nächste
untere g' an, bei dem et des zweiten Taktes das entsprechende it, bei dem -i des
dritten das e, bei dem ä des vierten das untere s, womit die Stelle der beiden
Takte auch harmonisch, nicht bloß melodisch der Mittel- oder Knotenpunkt des
kleinen Ganzen wird; beim fünften Takte schlage ich ä, beim sechsten us an, beim
siebenten und achten aber als dem Abschluß des ersten Satzes mit den Tönen
oben einklingend A, n und ä. Im zweiten Satze ebenso, nur daß am Schlüsse
dreimal unter sich wiederholt, sodaß von der rechten Hand uoch einmal das
harmonische Grundgewebe anklingt, mit der Dominante unter und dem ersten
Stufentou über dem Grundton, mit der linken aber zugleich der allbeherrschende
Grundton in der Tiefe. So ist mir das kleine Ganze wahrhaft behaglich und
beruhigend oder abspannend nach angestrengter Kopfarbeit.

Was mich aber in der ersten Erwiderung am meisten erfreut und bereichert
hat, das ist die Stelle, die darin der Natur eingeräumt wird als einer Macht,
die mitzusprechen, ja das letzte Wort zu sprechen habe, wenn da von einer „von
der Natur gegebenen," ja „von der Natur gewollten Tonleiter" geredet wird.
Das schlug bei mir in alte stille Lieblingsgedanken ein wie ein belebender und
beleuchtender elektrischer Funke. Denn mir leuchtete schou lange bei meinem
privaten Grübeln wie ein fernes Licht der stille Gedanke, daß hinter dem ganzen
Tonwesen eigentlich ein großer stiller Wille steht, dessen Weisungen oder Wünsche
man zu erlauschen und zu befolgen hat, auch wo man seine Gründe uoch nicht
erkennt. Da kommt mirs nun vor, als ob dieser musikalische Wille, die Natur


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[0389] Noch einmal die Tonleiter. Vielleicht darf ich da auch einen Tongang mit vorbringen, den ich mir lange schon gern klimpere, ohne irgend an die Tonleiter zu denken, der aber nichts ist als die Tonleiter in ähnlicher Weise rhythmisch-melodisch ausgestaltet, was mir erst durch Herrn F. D. Kar geworden ist; es ist aber auch die ganze Tonleiter im alten Sinne, dabei mit Zuziehung des Tonraumes von, Grundton bis zur untern Dominante, die ja auch als Ansatz oder Antrittsstelle dient für den Tonverlauf einfacher Melodien mit Benutzung der Stufentöne und als Unter¬ brechung des eintönigen Auf und Ab der Leiter; die vorletzten vier Töne werden mir beim Spielen von selbst gewöhnlich zu etwas länger angehaltenen, was ein angenehmes getragenes Ausklingen giebt, anch an der entsprechenden Stelle des ersten Satzes schon anwendbar: [Abbildung] Die linke Hand kann dazu den harmonischen Hintergrund leicht belebend an¬ deuten. Ich schlage da gewöhnlich bei dem Z des ersten Taktes das nächste untere g' an, bei dem et des zweiten Taktes das entsprechende it, bei dem -i des dritten das e, bei dem ä des vierten das untere s, womit die Stelle der beiden Takte auch harmonisch, nicht bloß melodisch der Mittel- oder Knotenpunkt des kleinen Ganzen wird; beim fünften Takte schlage ich ä, beim sechsten us an, beim siebenten und achten aber als dem Abschluß des ersten Satzes mit den Tönen oben einklingend A, n und ä. Im zweiten Satze ebenso, nur daß am Schlüsse dreimal unter sich wiederholt, sodaß von der rechten Hand uoch einmal das harmonische Grundgewebe anklingt, mit der Dominante unter und dem ersten Stufentou über dem Grundton, mit der linken aber zugleich der allbeherrschende Grundton in der Tiefe. So ist mir das kleine Ganze wahrhaft behaglich und beruhigend oder abspannend nach angestrengter Kopfarbeit. Was mich aber in der ersten Erwiderung am meisten erfreut und bereichert hat, das ist die Stelle, die darin der Natur eingeräumt wird als einer Macht, die mitzusprechen, ja das letzte Wort zu sprechen habe, wenn da von einer „von der Natur gegebenen," ja „von der Natur gewollten Tonleiter" geredet wird. Das schlug bei mir in alte stille Lieblingsgedanken ein wie ein belebender und beleuchtender elektrischer Funke. Denn mir leuchtete schou lange bei meinem privaten Grübeln wie ein fernes Licht der stille Gedanke, daß hinter dem ganzen Tonwesen eigentlich ein großer stiller Wille steht, dessen Weisungen oder Wünsche man zu erlauschen und zu befolgen hat, auch wo man seine Gründe uoch nicht erkennt. Da kommt mirs nun vor, als ob dieser musikalische Wille, die Natur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/389>, abgerufen am 08.06.2024.