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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Elisabeths Erinnerungen.

Beim Abschied waren wir alle drei tief bewegt. Als ich jedoch ein ge¬
wisses Naß aus Mutters Augen und aus denen des lieben Mannes perlen
sah, faßte ich mich schnell und mußte lachen. Weichheitsthränen andrer bringen
mich leicht zum Lachen. Als dies der Direktor bemerkte, streichelte er mir
Scheitel und Schläfe unter dem Ausruf: Du ewiger Frühling, Gott behüte
Sie! Ich glaube, daß ich errötete. Jedenfalls fühlte ich mich dadurch beschämt,
daß er meinen Übermut so gütig aufgefaßt hatte. Dann gingen wir aus¬
einander.

Nach dem Umzüge nahm ich meine unterbrochene Arbeit wieder auf. Fünf¬
undzwanzig Familien hatte ich mit Lebensmitteln und gutem Rat zu versorgen.
Beim Erteilen des letztern vermißte ich oft schmerzlich, daß ich in der Kranken¬
pflege selbst nicht besser geschult war, und daß mir häufig die Kenntnisse über
milde Stiftungen, Freistellen und sonstige Armenvergünstigungen im engern
Vaterlande fehlten. Zusammenstellungen darüber gab es nur bei den Mini¬
sterien, wenigstens vermutete ich das. Jeder Armenpfleger war mithin in die
Notwendigkeit versetzt, mühsam und allmählich aus der Praxis sich selbst zu
unterrichten, und hiervon hing wieder in hohem Maße der Erfolg seiner Wirk¬
samkeit ab. Daß aber niemand darauf verfallen war, seine Erfahrungen im
Interesse der guten Sache und zur Orientirung andrer an einer Zentralstelle,
wenn auch nur handschriftlich, niederzulegen, das entzog sich damals meiner
Beurteilung.

Eine neue Unterbrechung erlitt mein Leben durch eine Reise nach dem
Bodensee. Es würde mir ein großer Genuß sein, bei dieser Reise in der Er¬
innerung etwas zu verweilen; aber ich fürchte, die Aufmerksamkeit des Lesers
zu weit abzulenken. Hätte er mich erst in das Land begleitet, von dem Scheffel
einst sang:


Das Land der Alamannen mit seiner Berge Schnee,
Mit seinem blauen Auge, dem klaren Bodensee,
Mit seinen gelben Haaren, dem Ährenschmuck der Auen,
Recht wie ein deutsches Antlitz ist solches Land zu schauen,

wer weiß, ob er sich dann noch von mir über das soziale Elend und über
berufsmäßige Armenpflegerinnen etwas vorsnmmen ließe. Ich beschränke mich
daher auf die Bemerkung, daß, wo ich gestanden oder verweilt habe, auf der
Maien-An, im Lorettowalde, "uf dem Nil," an den Gräbern von Mesmer und
Annette von Droste-Hülshoff, auf der Dagobertsburg, in Lindau, in Bregenz
und Se. Gallen, sich überall nur die Überzeugung in mir befestigte, daß ich
fortfahren müsse, für meine Idee zu wirken und Anhänger dafür zu werben.
Mit diesem Gedanken kehrte ich in die Heimat zurück und begann von neuem
zu grübeln.

Da ereignete es sich, daß mir für die erste praktische Ausführung meiner
Idee ein kleines Kapital zur Verfügung gestellt wurde. Diese angenehme Über-


Elisabeths Erinnerungen.

Beim Abschied waren wir alle drei tief bewegt. Als ich jedoch ein ge¬
wisses Naß aus Mutters Augen und aus denen des lieben Mannes perlen
sah, faßte ich mich schnell und mußte lachen. Weichheitsthränen andrer bringen
mich leicht zum Lachen. Als dies der Direktor bemerkte, streichelte er mir
Scheitel und Schläfe unter dem Ausruf: Du ewiger Frühling, Gott behüte
Sie! Ich glaube, daß ich errötete. Jedenfalls fühlte ich mich dadurch beschämt,
daß er meinen Übermut so gütig aufgefaßt hatte. Dann gingen wir aus¬
einander.

Nach dem Umzüge nahm ich meine unterbrochene Arbeit wieder auf. Fünf¬
undzwanzig Familien hatte ich mit Lebensmitteln und gutem Rat zu versorgen.
Beim Erteilen des letztern vermißte ich oft schmerzlich, daß ich in der Kranken¬
pflege selbst nicht besser geschult war, und daß mir häufig die Kenntnisse über
milde Stiftungen, Freistellen und sonstige Armenvergünstigungen im engern
Vaterlande fehlten. Zusammenstellungen darüber gab es nur bei den Mini¬
sterien, wenigstens vermutete ich das. Jeder Armenpfleger war mithin in die
Notwendigkeit versetzt, mühsam und allmählich aus der Praxis sich selbst zu
unterrichten, und hiervon hing wieder in hohem Maße der Erfolg seiner Wirk¬
samkeit ab. Daß aber niemand darauf verfallen war, seine Erfahrungen im
Interesse der guten Sache und zur Orientirung andrer an einer Zentralstelle,
wenn auch nur handschriftlich, niederzulegen, das entzog sich damals meiner
Beurteilung.

Eine neue Unterbrechung erlitt mein Leben durch eine Reise nach dem
Bodensee. Es würde mir ein großer Genuß sein, bei dieser Reise in der Er¬
innerung etwas zu verweilen; aber ich fürchte, die Aufmerksamkeit des Lesers
zu weit abzulenken. Hätte er mich erst in das Land begleitet, von dem Scheffel
einst sang:


Das Land der Alamannen mit seiner Berge Schnee,
Mit seinem blauen Auge, dem klaren Bodensee,
Mit seinen gelben Haaren, dem Ährenschmuck der Auen,
Recht wie ein deutsches Antlitz ist solches Land zu schauen,

wer weiß, ob er sich dann noch von mir über das soziale Elend und über
berufsmäßige Armenpflegerinnen etwas vorsnmmen ließe. Ich beschränke mich
daher auf die Bemerkung, daß, wo ich gestanden oder verweilt habe, auf der
Maien-An, im Lorettowalde, „uf dem Nil," an den Gräbern von Mesmer und
Annette von Droste-Hülshoff, auf der Dagobertsburg, in Lindau, in Bregenz
und Se. Gallen, sich überall nur die Überzeugung in mir befestigte, daß ich
fortfahren müsse, für meine Idee zu wirken und Anhänger dafür zu werben.
Mit diesem Gedanken kehrte ich in die Heimat zurück und begann von neuem
zu grübeln.

Da ereignete es sich, daß mir für die erste praktische Ausführung meiner
Idee ein kleines Kapital zur Verfügung gestellt wurde. Diese angenehme Über-


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[0395] Elisabeths Erinnerungen. Beim Abschied waren wir alle drei tief bewegt. Als ich jedoch ein ge¬ wisses Naß aus Mutters Augen und aus denen des lieben Mannes perlen sah, faßte ich mich schnell und mußte lachen. Weichheitsthränen andrer bringen mich leicht zum Lachen. Als dies der Direktor bemerkte, streichelte er mir Scheitel und Schläfe unter dem Ausruf: Du ewiger Frühling, Gott behüte Sie! Ich glaube, daß ich errötete. Jedenfalls fühlte ich mich dadurch beschämt, daß er meinen Übermut so gütig aufgefaßt hatte. Dann gingen wir aus¬ einander. Nach dem Umzüge nahm ich meine unterbrochene Arbeit wieder auf. Fünf¬ undzwanzig Familien hatte ich mit Lebensmitteln und gutem Rat zu versorgen. Beim Erteilen des letztern vermißte ich oft schmerzlich, daß ich in der Kranken¬ pflege selbst nicht besser geschult war, und daß mir häufig die Kenntnisse über milde Stiftungen, Freistellen und sonstige Armenvergünstigungen im engern Vaterlande fehlten. Zusammenstellungen darüber gab es nur bei den Mini¬ sterien, wenigstens vermutete ich das. Jeder Armenpfleger war mithin in die Notwendigkeit versetzt, mühsam und allmählich aus der Praxis sich selbst zu unterrichten, und hiervon hing wieder in hohem Maße der Erfolg seiner Wirk¬ samkeit ab. Daß aber niemand darauf verfallen war, seine Erfahrungen im Interesse der guten Sache und zur Orientirung andrer an einer Zentralstelle, wenn auch nur handschriftlich, niederzulegen, das entzog sich damals meiner Beurteilung. Eine neue Unterbrechung erlitt mein Leben durch eine Reise nach dem Bodensee. Es würde mir ein großer Genuß sein, bei dieser Reise in der Er¬ innerung etwas zu verweilen; aber ich fürchte, die Aufmerksamkeit des Lesers zu weit abzulenken. Hätte er mich erst in das Land begleitet, von dem Scheffel einst sang: Das Land der Alamannen mit seiner Berge Schnee, Mit seinem blauen Auge, dem klaren Bodensee, Mit seinen gelben Haaren, dem Ährenschmuck der Auen, Recht wie ein deutsches Antlitz ist solches Land zu schauen, wer weiß, ob er sich dann noch von mir über das soziale Elend und über berufsmäßige Armenpflegerinnen etwas vorsnmmen ließe. Ich beschränke mich daher auf die Bemerkung, daß, wo ich gestanden oder verweilt habe, auf der Maien-An, im Lorettowalde, „uf dem Nil," an den Gräbern von Mesmer und Annette von Droste-Hülshoff, auf der Dagobertsburg, in Lindau, in Bregenz und Se. Gallen, sich überall nur die Überzeugung in mir befestigte, daß ich fortfahren müsse, für meine Idee zu wirken und Anhänger dafür zu werben. Mit diesem Gedanken kehrte ich in die Heimat zurück und begann von neuem zu grübeln. Da ereignete es sich, daß mir für die erste praktische Ausführung meiner Idee ein kleines Kapital zur Verfügung gestellt wurde. Diese angenehme Über-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/395>, abgerufen am 28.05.2024.