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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die Bedeutung des Religionsunterrichts in den oberen Klaffen des Gymnasiums.

keine Theorie braucht, warum sucht er noch nach einem Prinzip? Freilich, so
lange er dieses, sein eignes Prinzip, noch nicht gefunden hat, so lange thut er
gut, die Theorie selbst zu verneinen. Und dieses Prinzip hat er bis jetzt nicht
gefunden. Er hat lauter Fragezeichen dafür, keine einzige Antwort auf die
für ihn doch wichtigsten, weil, wofür sie ihm doch gelten, letzten Fragen nach
den Begriffen von Kraft, Stoff, Atom, auf die Frage nach den elementaren
Bestandteilen der Welt, nach dem Begriff der Bewegung, ja nach dem der
Materie selbst. Der Materialismus kann wohl sagen: das und das und das
ist Materie, aber sagen, was die Materie ist, das kann er nicht. Auch für ihn
ist das ein Rätsel. Nur weiß er das nicht, und das unterscheidet den Mate¬
rialismus, diese falsche Spekulation, von der echten, der wahrhaft philosophischen,
die gegenüber den Rätseln der Welt das Bekenntnis des Sokrates hat, wodurch
er sich von den Sophisten zu unterscheiden behauptete, c-l<5"> or", 066^ "16",
ich weiß, daß ich nichts weiß.

Ist nun diese moderne und, wie sie sich besonders seit Haeckels Auftreten
gern nennt, diese monistische Weltanschauung auf den untersten Stufen schon
unfertig, so sehr, daß nicht einmal in den allerersten Elementen der Erkenntnis
eine Übereinstimmung stattfindet, wie wird's erst, sobald sie sich zu höheren
Fragen versteigt, wenn sie hinantritt an den Schöpfer des organischen Lebens,
wenn sie eine Erklärung sucht für die in lebendiger Mannichfciltigkeit dahin¬
fließende und doch immer sich stetig gleichbleibende Kette der Erscheinungen?
Wie, wenn sie von der doch untergeordneten Frage nach der Art der Zusammen¬
setzung der Körper aus Elementen sich zu der Frage verliert nach der bestän¬
digen Thätigkeit, welche in der organischen Materie wirkt, mit Zweckmäßigkeit
und nach Gesetzen eines vernünftigen Planes wirkt, kurz, wenn sie, diese mo¬
derne, materialistische und monistische Weltanschauung, den eigentlich organischen
Begriff, den Zweckbegriff sucht? Da ist der heutige Materialismus so ratlos,
wie er immer gewesen ist (denn neu ist er nicht, sondern sehr alt); er ist so
ratlos, daß er das alles, den Begriff der wirkenden Thätigkeit, den der be¬
wußten Zweckmäßigkeit, ja den des Organischen selbst lieber für ein Phantom,
für eine Gespenstererscheinuug ausgiebt, alle wahre Wissenschaft allein in das
Mikroskop und in das Messer verlegt und vor lauter Analyse keine einzige
Synthese mehr besitzt, ja daß ihm die letzte Synthese, der Begriff des Lebens
selbst, etwas, weil von ihm Unbegriffenes, darum Zufälliges ist, d. h. etwas
Verstandloses. Bei dem Verstandlosen aber anzukommen, dazu bedarf es keiner
Kunst; man braucht nur alles zu analysiren und die Synthese, als wäre sie
nichts, liege" zu lasten. Das nennt dann diese sogenannte exakte Wissen¬
schaft "mikroskopisch denken." Dieses Denken ist aber Negiren des Lebens,
der Tod:


Du hast die Teile in der Hand,
Fehlt leider nur das geistige Band.

Die Bedeutung des Religionsunterrichts in den oberen Klaffen des Gymnasiums.

keine Theorie braucht, warum sucht er noch nach einem Prinzip? Freilich, so
lange er dieses, sein eignes Prinzip, noch nicht gefunden hat, so lange thut er
gut, die Theorie selbst zu verneinen. Und dieses Prinzip hat er bis jetzt nicht
gefunden. Er hat lauter Fragezeichen dafür, keine einzige Antwort auf die
für ihn doch wichtigsten, weil, wofür sie ihm doch gelten, letzten Fragen nach
den Begriffen von Kraft, Stoff, Atom, auf die Frage nach den elementaren
Bestandteilen der Welt, nach dem Begriff der Bewegung, ja nach dem der
Materie selbst. Der Materialismus kann wohl sagen: das und das und das
ist Materie, aber sagen, was die Materie ist, das kann er nicht. Auch für ihn
ist das ein Rätsel. Nur weiß er das nicht, und das unterscheidet den Mate¬
rialismus, diese falsche Spekulation, von der echten, der wahrhaft philosophischen,
die gegenüber den Rätseln der Welt das Bekenntnis des Sokrates hat, wodurch
er sich von den Sophisten zu unterscheiden behauptete, c-l<5«> or«, 066^ «16«,
ich weiß, daß ich nichts weiß.

Ist nun diese moderne und, wie sie sich besonders seit Haeckels Auftreten
gern nennt, diese monistische Weltanschauung auf den untersten Stufen schon
unfertig, so sehr, daß nicht einmal in den allerersten Elementen der Erkenntnis
eine Übereinstimmung stattfindet, wie wird's erst, sobald sie sich zu höheren
Fragen versteigt, wenn sie hinantritt an den Schöpfer des organischen Lebens,
wenn sie eine Erklärung sucht für die in lebendiger Mannichfciltigkeit dahin¬
fließende und doch immer sich stetig gleichbleibende Kette der Erscheinungen?
Wie, wenn sie von der doch untergeordneten Frage nach der Art der Zusammen¬
setzung der Körper aus Elementen sich zu der Frage verliert nach der bestän¬
digen Thätigkeit, welche in der organischen Materie wirkt, mit Zweckmäßigkeit
und nach Gesetzen eines vernünftigen Planes wirkt, kurz, wenn sie, diese mo¬
derne, materialistische und monistische Weltanschauung, den eigentlich organischen
Begriff, den Zweckbegriff sucht? Da ist der heutige Materialismus so ratlos,
wie er immer gewesen ist (denn neu ist er nicht, sondern sehr alt); er ist so
ratlos, daß er das alles, den Begriff der wirkenden Thätigkeit, den der be¬
wußten Zweckmäßigkeit, ja den des Organischen selbst lieber für ein Phantom,
für eine Gespenstererscheinuug ausgiebt, alle wahre Wissenschaft allein in das
Mikroskop und in das Messer verlegt und vor lauter Analyse keine einzige
Synthese mehr besitzt, ja daß ihm die letzte Synthese, der Begriff des Lebens
selbst, etwas, weil von ihm Unbegriffenes, darum Zufälliges ist, d. h. etwas
Verstandloses. Bei dem Verstandlosen aber anzukommen, dazu bedarf es keiner
Kunst; man braucht nur alles zu analysiren und die Synthese, als wäre sie
nichts, liege» zu lasten. Das nennt dann diese sogenannte exakte Wissen¬
schaft „mikroskopisch denken." Dieses Denken ist aber Negiren des Lebens,
der Tod:


Du hast die Teile in der Hand,
Fehlt leider nur das geistige Band.

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[0415] Die Bedeutung des Religionsunterrichts in den oberen Klaffen des Gymnasiums. keine Theorie braucht, warum sucht er noch nach einem Prinzip? Freilich, so lange er dieses, sein eignes Prinzip, noch nicht gefunden hat, so lange thut er gut, die Theorie selbst zu verneinen. Und dieses Prinzip hat er bis jetzt nicht gefunden. Er hat lauter Fragezeichen dafür, keine einzige Antwort auf die für ihn doch wichtigsten, weil, wofür sie ihm doch gelten, letzten Fragen nach den Begriffen von Kraft, Stoff, Atom, auf die Frage nach den elementaren Bestandteilen der Welt, nach dem Begriff der Bewegung, ja nach dem der Materie selbst. Der Materialismus kann wohl sagen: das und das und das ist Materie, aber sagen, was die Materie ist, das kann er nicht. Auch für ihn ist das ein Rätsel. Nur weiß er das nicht, und das unterscheidet den Mate¬ rialismus, diese falsche Spekulation, von der echten, der wahrhaft philosophischen, die gegenüber den Rätseln der Welt das Bekenntnis des Sokrates hat, wodurch er sich von den Sophisten zu unterscheiden behauptete, c-l<5«> or«, 066^ «16«, ich weiß, daß ich nichts weiß. Ist nun diese moderne und, wie sie sich besonders seit Haeckels Auftreten gern nennt, diese monistische Weltanschauung auf den untersten Stufen schon unfertig, so sehr, daß nicht einmal in den allerersten Elementen der Erkenntnis eine Übereinstimmung stattfindet, wie wird's erst, sobald sie sich zu höheren Fragen versteigt, wenn sie hinantritt an den Schöpfer des organischen Lebens, wenn sie eine Erklärung sucht für die in lebendiger Mannichfciltigkeit dahin¬ fließende und doch immer sich stetig gleichbleibende Kette der Erscheinungen? Wie, wenn sie von der doch untergeordneten Frage nach der Art der Zusammen¬ setzung der Körper aus Elementen sich zu der Frage verliert nach der bestän¬ digen Thätigkeit, welche in der organischen Materie wirkt, mit Zweckmäßigkeit und nach Gesetzen eines vernünftigen Planes wirkt, kurz, wenn sie, diese mo¬ derne, materialistische und monistische Weltanschauung, den eigentlich organischen Begriff, den Zweckbegriff sucht? Da ist der heutige Materialismus so ratlos, wie er immer gewesen ist (denn neu ist er nicht, sondern sehr alt); er ist so ratlos, daß er das alles, den Begriff der wirkenden Thätigkeit, den der be¬ wußten Zweckmäßigkeit, ja den des Organischen selbst lieber für ein Phantom, für eine Gespenstererscheinuug ausgiebt, alle wahre Wissenschaft allein in das Mikroskop und in das Messer verlegt und vor lauter Analyse keine einzige Synthese mehr besitzt, ja daß ihm die letzte Synthese, der Begriff des Lebens selbst, etwas, weil von ihm Unbegriffenes, darum Zufälliges ist, d. h. etwas Verstandloses. Bei dem Verstandlosen aber anzukommen, dazu bedarf es keiner Kunst; man braucht nur alles zu analysiren und die Synthese, als wäre sie nichts, liege» zu lasten. Das nennt dann diese sogenannte exakte Wissen¬ schaft „mikroskopisch denken." Dieses Denken ist aber Negiren des Lebens, der Tod: Du hast die Teile in der Hand, Fehlt leider nur das geistige Band.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/415>, abgerufen am 30.05.2024.