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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Tagel'uchblätter eines Sonntagsphilosophen.

und -- könnte nun wohl dafür bei unsern Kamerunern u. s. w. in die Schule
gehn! Sollte übrigens jene geistige Leistung des Znhlens ohne Zahl und Ziffer
nicht auch z. B. bei unsern Schäfern vorkommen? oder gar auch bei ihren
Hunden? Das müßten ja Rittergutsbesitzer angeben können.

Ein Schäfer kann uns Schulmenschen dienen, die Anwendung von der
Zahl muss Wort zu machen. In A. Sommers Bildern und Klängen ans
Rudolstadt steht ein Geschichtchen von einem alten Schäfer in Schwärzn
(8. Heft, S. 30), der stundenlang an einem Baume lehnt und zufrieden vor
sich hin guckt und den der Pfarrer endlich einmal fragt: Sagt mir nur, was
denkt Ihr eigentlich, wenn Ihr so still vor auch hinschaut? "Ich? ich denk gar
nischt." Aber mein Gott, etwas müßt Ihr doch denken? Der Alte wurde
ärgerlich und sagte: "Wenn Er so dumm is und muß was denke, ich brauchs
nich!" Das klingt wie aus dem Leben aufgegriffen, wie vieles bei Sommer,
und kann uns Städtern schon zu denken geben, nachdem wir uns satt gelacht
haben auf Kosten des Schäfers, besonders über das köstliche "dumm."

Der Alte ist in seiner Art Wohl auch ein Denker, vielleicht ein Grübler
auch ohne gerunzelte Stirn, wozu kluge Schäfer fast werden müssen, wie denn
Leute mit bester Kräuter- und Sternkunde, auch Menschenkunde, unter ihnen
vorkommen. Es ist, als hätte er eine richtige Fühlung von dem Begriffe von
Denken, den der Gelehrte von der Schule und Universität mitgebracht hat, und
verstünde den Pfarrer besser als der Pfarrer ihn. Solches Denken braucht
der Schäfer freilich nicht, das sich in Worten dnrch den Kopf bewegt, wie
beim gut geschulten Manne. Sein Denken ist mehr ein wortlos sinnendes be¬
haglichstes Verhalten, aber darum gar nicht ein sachloscs; im Gegenteil, er
bleibt gerade mit den Sachen, an die er denkt, wie in unmittelbarer Fühlung,
welche durch Worte, die wir dafür einsetzen, halb oder ganz verloren geht, weil
sie sich zwischen uns und die Dinge einschicken und die deutliche Vorstellung
zurückschieben. Es ist mehr ein vorstellendes Empfinden als ein Denken, also
wie bei der Henne, ein Denken in dem die Dinge sich so zu sagen selber in
ihm oder an ihm denken oder besser ihre Ordnung suchen, die er braucht -- was
alles doch keine erschöpfende Beschreibung des Vorganges sein soll oder kann,
zumal ich kein Schäfer gewesen bin, daß ichs genau wissen könnte.

Aber ganz unbekannt ist dies Denken auch uns Bildungsmenschen nicht,
falls wirs nicht vergessen haben. Wir lernen es kennen in den Kinderjahren,
deren Glück mit dadurch bedingt ist, nachher wieder und höher entwickelt in
Tagen des Glückes, wie sie junge Liebe und Freundschaft bringen, auch die
junge Begeisterung für das Große der Welt, also in den Tagen vor dem
eigentlichen Eintritt in den Kampf des Lebens, wo wir auch zu schmecken bekommen,
was es heißt, ganz in sich und in sich ganz sein, wo ein großes Innenleben
die Seele ausweitet und, so weit sie wird, ausfüllt; wer mit in dem kurzen
großen Kriege gewesen ist, kennt es gewiß auch von dort, denn auch Auge-


Tagel'uchblätter eines Sonntagsphilosophen.

und — könnte nun wohl dafür bei unsern Kamerunern u. s. w. in die Schule
gehn! Sollte übrigens jene geistige Leistung des Znhlens ohne Zahl und Ziffer
nicht auch z. B. bei unsern Schäfern vorkommen? oder gar auch bei ihren
Hunden? Das müßten ja Rittergutsbesitzer angeben können.

Ein Schäfer kann uns Schulmenschen dienen, die Anwendung von der
Zahl muss Wort zu machen. In A. Sommers Bildern und Klängen ans
Rudolstadt steht ein Geschichtchen von einem alten Schäfer in Schwärzn
(8. Heft, S. 30), der stundenlang an einem Baume lehnt und zufrieden vor
sich hin guckt und den der Pfarrer endlich einmal fragt: Sagt mir nur, was
denkt Ihr eigentlich, wenn Ihr so still vor auch hinschaut? „Ich? ich denk gar
nischt." Aber mein Gott, etwas müßt Ihr doch denken? Der Alte wurde
ärgerlich und sagte: „Wenn Er so dumm is und muß was denke, ich brauchs
nich!" Das klingt wie aus dem Leben aufgegriffen, wie vieles bei Sommer,
und kann uns Städtern schon zu denken geben, nachdem wir uns satt gelacht
haben auf Kosten des Schäfers, besonders über das köstliche „dumm."

Der Alte ist in seiner Art Wohl auch ein Denker, vielleicht ein Grübler
auch ohne gerunzelte Stirn, wozu kluge Schäfer fast werden müssen, wie denn
Leute mit bester Kräuter- und Sternkunde, auch Menschenkunde, unter ihnen
vorkommen. Es ist, als hätte er eine richtige Fühlung von dem Begriffe von
Denken, den der Gelehrte von der Schule und Universität mitgebracht hat, und
verstünde den Pfarrer besser als der Pfarrer ihn. Solches Denken braucht
der Schäfer freilich nicht, das sich in Worten dnrch den Kopf bewegt, wie
beim gut geschulten Manne. Sein Denken ist mehr ein wortlos sinnendes be¬
haglichstes Verhalten, aber darum gar nicht ein sachloscs; im Gegenteil, er
bleibt gerade mit den Sachen, an die er denkt, wie in unmittelbarer Fühlung,
welche durch Worte, die wir dafür einsetzen, halb oder ganz verloren geht, weil
sie sich zwischen uns und die Dinge einschicken und die deutliche Vorstellung
zurückschieben. Es ist mehr ein vorstellendes Empfinden als ein Denken, also
wie bei der Henne, ein Denken in dem die Dinge sich so zu sagen selber in
ihm oder an ihm denken oder besser ihre Ordnung suchen, die er braucht — was
alles doch keine erschöpfende Beschreibung des Vorganges sein soll oder kann,
zumal ich kein Schäfer gewesen bin, daß ichs genau wissen könnte.

Aber ganz unbekannt ist dies Denken auch uns Bildungsmenschen nicht,
falls wirs nicht vergessen haben. Wir lernen es kennen in den Kinderjahren,
deren Glück mit dadurch bedingt ist, nachher wieder und höher entwickelt in
Tagen des Glückes, wie sie junge Liebe und Freundschaft bringen, auch die
junge Begeisterung für das Große der Welt, also in den Tagen vor dem
eigentlichen Eintritt in den Kampf des Lebens, wo wir auch zu schmecken bekommen,
was es heißt, ganz in sich und in sich ganz sein, wo ein großes Innenleben
die Seele ausweitet und, so weit sie wird, ausfüllt; wer mit in dem kurzen
großen Kriege gewesen ist, kennt es gewiß auch von dort, denn auch Auge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/42>, abgerufen am 14.05.2024.