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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die Weisheit Salomos.

rige Problem: einen wahrhaft weisen Mann in seiner Weisheit ohne den ge¬
ringsten Stich ins Predigerartige, ohne die geringste Lehrhaftigkeit, lebensvoll,
unsrer menschlichen Teilnahme sicher darzustellen, ihn am Schicksal selbst noch
den weiseren Meister finden zu lassen, ihm in schwerer Prüfung die gelassene
Hoheit zu bewahren, daß er nicht aufhöre, der wahre Weise zu sein, dessen
Pflicht es zunächst ist, Herr über seine Leidenschaften zu sein -- dieses
schwierige Problem, den weisen Weltmann verliebt und doch nicht unweise
darzustellen, hat Paul Heyse in seinem Schauspiel mit großer Kunst bewältigt.
Dabei ist es ihm gelungen, auch in den Gestalten der Mitspieler, in der an¬
mutigen Sulamith und in der leidenschaftlichen Königin von Saba zwei über¬
zeugende Frauenfiguren zu schaffen, jede reich im einzelnen mit Charakterzügen
ausgestattet, wirksame Gegenbilder, die sich zwanglos um den Helden gruppiren
und von ihm beleuchtet werden, wie sie wiederum ihn beleuchten. Und über
der gesamten Dichtung, die etwa im idealen Stile des Lessingschen "Nathan"
gehalten ist, lagert ein Hauch vornehmer Lebensbetrachtung, wie es sich eben
für das Grundmotiv schickt. Die Sprache ist ohne Aufdringlichkeit auf den
Ton der biblischen Redeweise gestimmt, Wendungen aus den Sprüchen Salomos
und aus dem Hohenliede sind kunstvoll an passenden Stellen verwoben. So
ist bei allem Klassizismus des Stils doch dem historisch-realistischeren Em¬
pfinden der Gegenwart Genüge gethan. Die Gestalt des Königs Salomo, wie
sie Heyse geschaffen hat, ist ein historisches Idealbild, und die Umgebung, in die
er gestellt wird, ist als die biblisch-jüdische mit wenigen Andeutungen, aber un¬
verkennbar gezeichnet; selbst die sagenverklärte Weisheit Salomos im Richteramte
ist mit Geschick aufgenommen worden.

Die Handlung des Schauspiels fäugt ab ovo an -- auch eine Tugend
desselben. Soeben ist die Königin Bailis von Saba mit reichem Gefolge zum
Besuche des Königs Salomo angelangt. Die erste Szene exponirt zunächst
die beiden verschiednen Volkscharaktere. Salomos Haushofmeister Abdiel macht
die Dienerschaft auf die barbarischen Unarten der heidnischen Ankömmlinge auf¬
merksam und verbietet ihnen, darüber zu spotten. Dann erscheinen mit großem
Gefolge Salomo und Bailis. Die Königin ist verstimmt, sie schweigt, sie ent¬
läßt das ganze Gefolge und will mit dem verwunderten Könige allein bleiben:
ohne lärmende Musik, ohne äußerlichen Pomp. Nicht zum mächtigen Herrscher,
fondern zum weisen Manne, zum Herzenskündiger, ist sie gekommen. Auch nicht,
um sich von ihm die bekannten Nätselfragen beantworten zu lassen. Sie ist
eine tiefere Natur, welche die Unklarheit über die letzten Lebensfragen schmerzlich
bedrängt.


In dem gcpriesnen Richter Israels,
Dem Herzenskind'ger, hofft' ich den zu finden,
Der mir die bangen Rätsel lösen könnte:
Wozu wir leben? Ob es Stillung giebt
Mir unsrer Seele Durst? Ob eine Rast

Die Weisheit Salomos.

rige Problem: einen wahrhaft weisen Mann in seiner Weisheit ohne den ge¬
ringsten Stich ins Predigerartige, ohne die geringste Lehrhaftigkeit, lebensvoll,
unsrer menschlichen Teilnahme sicher darzustellen, ihn am Schicksal selbst noch
den weiseren Meister finden zu lassen, ihm in schwerer Prüfung die gelassene
Hoheit zu bewahren, daß er nicht aufhöre, der wahre Weise zu sein, dessen
Pflicht es zunächst ist, Herr über seine Leidenschaften zu sein — dieses
schwierige Problem, den weisen Weltmann verliebt und doch nicht unweise
darzustellen, hat Paul Heyse in seinem Schauspiel mit großer Kunst bewältigt.
Dabei ist es ihm gelungen, auch in den Gestalten der Mitspieler, in der an¬
mutigen Sulamith und in der leidenschaftlichen Königin von Saba zwei über¬
zeugende Frauenfiguren zu schaffen, jede reich im einzelnen mit Charakterzügen
ausgestattet, wirksame Gegenbilder, die sich zwanglos um den Helden gruppiren
und von ihm beleuchtet werden, wie sie wiederum ihn beleuchten. Und über
der gesamten Dichtung, die etwa im idealen Stile des Lessingschen „Nathan"
gehalten ist, lagert ein Hauch vornehmer Lebensbetrachtung, wie es sich eben
für das Grundmotiv schickt. Die Sprache ist ohne Aufdringlichkeit auf den
Ton der biblischen Redeweise gestimmt, Wendungen aus den Sprüchen Salomos
und aus dem Hohenliede sind kunstvoll an passenden Stellen verwoben. So
ist bei allem Klassizismus des Stils doch dem historisch-realistischeren Em¬
pfinden der Gegenwart Genüge gethan. Die Gestalt des Königs Salomo, wie
sie Heyse geschaffen hat, ist ein historisches Idealbild, und die Umgebung, in die
er gestellt wird, ist als die biblisch-jüdische mit wenigen Andeutungen, aber un¬
verkennbar gezeichnet; selbst die sagenverklärte Weisheit Salomos im Richteramte
ist mit Geschick aufgenommen worden.

Die Handlung des Schauspiels fäugt ab ovo an — auch eine Tugend
desselben. Soeben ist die Königin Bailis von Saba mit reichem Gefolge zum
Besuche des Königs Salomo angelangt. Die erste Szene exponirt zunächst
die beiden verschiednen Volkscharaktere. Salomos Haushofmeister Abdiel macht
die Dienerschaft auf die barbarischen Unarten der heidnischen Ankömmlinge auf¬
merksam und verbietet ihnen, darüber zu spotten. Dann erscheinen mit großem
Gefolge Salomo und Bailis. Die Königin ist verstimmt, sie schweigt, sie ent¬
läßt das ganze Gefolge und will mit dem verwunderten Könige allein bleiben:
ohne lärmende Musik, ohne äußerlichen Pomp. Nicht zum mächtigen Herrscher,
fondern zum weisen Manne, zum Herzenskündiger, ist sie gekommen. Auch nicht,
um sich von ihm die bekannten Nätselfragen beantworten zu lassen. Sie ist
eine tiefere Natur, welche die Unklarheit über die letzten Lebensfragen schmerzlich
bedrängt.


In dem gcpriesnen Richter Israels,
Dem Herzenskind'ger, hofft' ich den zu finden,
Der mir die bangen Rätsel lösen könnte:
Wozu wir leben? Ob es Stillung giebt
Mir unsrer Seele Durst? Ob eine Rast

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[0476] Die Weisheit Salomos. rige Problem: einen wahrhaft weisen Mann in seiner Weisheit ohne den ge¬ ringsten Stich ins Predigerartige, ohne die geringste Lehrhaftigkeit, lebensvoll, unsrer menschlichen Teilnahme sicher darzustellen, ihn am Schicksal selbst noch den weiseren Meister finden zu lassen, ihm in schwerer Prüfung die gelassene Hoheit zu bewahren, daß er nicht aufhöre, der wahre Weise zu sein, dessen Pflicht es zunächst ist, Herr über seine Leidenschaften zu sein — dieses schwierige Problem, den weisen Weltmann verliebt und doch nicht unweise darzustellen, hat Paul Heyse in seinem Schauspiel mit großer Kunst bewältigt. Dabei ist es ihm gelungen, auch in den Gestalten der Mitspieler, in der an¬ mutigen Sulamith und in der leidenschaftlichen Königin von Saba zwei über¬ zeugende Frauenfiguren zu schaffen, jede reich im einzelnen mit Charakterzügen ausgestattet, wirksame Gegenbilder, die sich zwanglos um den Helden gruppiren und von ihm beleuchtet werden, wie sie wiederum ihn beleuchten. Und über der gesamten Dichtung, die etwa im idealen Stile des Lessingschen „Nathan" gehalten ist, lagert ein Hauch vornehmer Lebensbetrachtung, wie es sich eben für das Grundmotiv schickt. Die Sprache ist ohne Aufdringlichkeit auf den Ton der biblischen Redeweise gestimmt, Wendungen aus den Sprüchen Salomos und aus dem Hohenliede sind kunstvoll an passenden Stellen verwoben. So ist bei allem Klassizismus des Stils doch dem historisch-realistischeren Em¬ pfinden der Gegenwart Genüge gethan. Die Gestalt des Königs Salomo, wie sie Heyse geschaffen hat, ist ein historisches Idealbild, und die Umgebung, in die er gestellt wird, ist als die biblisch-jüdische mit wenigen Andeutungen, aber un¬ verkennbar gezeichnet; selbst die sagenverklärte Weisheit Salomos im Richteramte ist mit Geschick aufgenommen worden. Die Handlung des Schauspiels fäugt ab ovo an — auch eine Tugend desselben. Soeben ist die Königin Bailis von Saba mit reichem Gefolge zum Besuche des Königs Salomo angelangt. Die erste Szene exponirt zunächst die beiden verschiednen Volkscharaktere. Salomos Haushofmeister Abdiel macht die Dienerschaft auf die barbarischen Unarten der heidnischen Ankömmlinge auf¬ merksam und verbietet ihnen, darüber zu spotten. Dann erscheinen mit großem Gefolge Salomo und Bailis. Die Königin ist verstimmt, sie schweigt, sie ent¬ läßt das ganze Gefolge und will mit dem verwunderten Könige allein bleiben: ohne lärmende Musik, ohne äußerlichen Pomp. Nicht zum mächtigen Herrscher, fondern zum weisen Manne, zum Herzenskündiger, ist sie gekommen. Auch nicht, um sich von ihm die bekannten Nätselfragen beantworten zu lassen. Sie ist eine tiefere Natur, welche die Unklarheit über die letzten Lebensfragen schmerzlich bedrängt. In dem gcpriesnen Richter Israels, Dem Herzenskind'ger, hofft' ich den zu finden, Der mir die bangen Rätsel lösen könnte: Wozu wir leben? Ob es Stillung giebt Mir unsrer Seele Durst? Ob eine Rast

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/476>, abgerufen am 14.05.2024.