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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die Weisheit Salomos.

Im co'gen Wechsel dieser Erdendinge?
Ob irgend eine Stunde kommen mag,
Da wir die Wahrheit schauen schleierlos,
Und tausend Fragen mehr.

Sie fragt mehr, als ein Weiser beantworten kann, und dies ist bezeichnend für
ihren stürmischen Charakter wie für ihren sehnsüchtigen, unbefriedigten Zustand.
Sie gesteht offen, daß sie sich gleich beim ersten Anblick Salomos enttäuscht
gefühlt habe; sie hat nicht den gefunden, den sie erwartete.


Nicht ein Greis,
Dem der Erfahrung Schnee das Herz gekühlt,
Der Pflug des Denkens tief die Stirne fürchte:
Ein Fürst im Flor der Jahre, dem das Auge
Gleich einer Kriegesfackel glüht, ein Held
Ju königlichem Prunk. Statt weiser Worte
Gesang und Harfenspiel, statt ernster Männer
Gefährten seiner Forschung, eine Schar
Von blüh'nden Jungfrauen--

Damit fordert sie endlich ihren bis dahin lächelnd zuhörenden Gastfreund heraus.
Kannst du nicht den Schein vom Wesen trennen? erwiedert ihr Salomo, und
wie er als König prächtig die Königin aufnahm, so begegnet er jetzt als Weiser
der Weisheit suchenden. "In wachsender innerer Erregung" schüttet er vor der
immermehr überrascht aufhorchenden die Goldkörner seiner Lehre aus. Es ist
die bekannte Lehre von der Eitelkeit der Welt, jeuer biblische Pessimismus, der
sich vom modernen nur durch einen festen Gottesglauben unterscheidet.


Wozu wir leben?
Stirb, so erfährst du's; früher nicht. So lang
Im Fleisch wir wandeln, lehrt uns Tag um Tag
Nur eins: daß alles eitel. Was denn ist
Der Mensch, daß er zu dauern sich vermäße?
Das Kind der Zeit, wie faßt es Ewiges?
Was heut noch ist, schon morgen ist's gewesen.
. .. Denn Glanz und Macht sind eitel,
Die Lust ist eitel und der Schmerz, das Gute
So wie das Böse. Den Gerechten sah ich
Gebeugt vom Unglück und den Gottvcrgeßnen
In Freuden leben. Da bedünkte mich,
Es sei auch eitel, nach der Weisheit trachten,
Und schrie zu meinem Gotte: Herr mein Gott,
Ist es nicht besser, nie das Licht zu schau'u,
Als jegliches, was es bescheint, erkennen
In seiner Nichtigkeit?

Bailis (die mit steigender Spannung zugehört hat).

Und er? Gab er
Dir Antwort?

Salomo.

Nicht in Worten. Doch er hauchte
Mir plötzlich einen Mut ins Herz und kühlte


Die Weisheit Salomos.

Im co'gen Wechsel dieser Erdendinge?
Ob irgend eine Stunde kommen mag,
Da wir die Wahrheit schauen schleierlos,
Und tausend Fragen mehr.

Sie fragt mehr, als ein Weiser beantworten kann, und dies ist bezeichnend für
ihren stürmischen Charakter wie für ihren sehnsüchtigen, unbefriedigten Zustand.
Sie gesteht offen, daß sie sich gleich beim ersten Anblick Salomos enttäuscht
gefühlt habe; sie hat nicht den gefunden, den sie erwartete.


Nicht ein Greis,
Dem der Erfahrung Schnee das Herz gekühlt,
Der Pflug des Denkens tief die Stirne fürchte:
Ein Fürst im Flor der Jahre, dem das Auge
Gleich einer Kriegesfackel glüht, ein Held
Ju königlichem Prunk. Statt weiser Worte
Gesang und Harfenspiel, statt ernster Männer
Gefährten seiner Forschung, eine Schar
Von blüh'nden Jungfrauen--

Damit fordert sie endlich ihren bis dahin lächelnd zuhörenden Gastfreund heraus.
Kannst du nicht den Schein vom Wesen trennen? erwiedert ihr Salomo, und
wie er als König prächtig die Königin aufnahm, so begegnet er jetzt als Weiser
der Weisheit suchenden. „In wachsender innerer Erregung" schüttet er vor der
immermehr überrascht aufhorchenden die Goldkörner seiner Lehre aus. Es ist
die bekannte Lehre von der Eitelkeit der Welt, jeuer biblische Pessimismus, der
sich vom modernen nur durch einen festen Gottesglauben unterscheidet.


Wozu wir leben?
Stirb, so erfährst du's; früher nicht. So lang
Im Fleisch wir wandeln, lehrt uns Tag um Tag
Nur eins: daß alles eitel. Was denn ist
Der Mensch, daß er zu dauern sich vermäße?
Das Kind der Zeit, wie faßt es Ewiges?
Was heut noch ist, schon morgen ist's gewesen.
. .. Denn Glanz und Macht sind eitel,
Die Lust ist eitel und der Schmerz, das Gute
So wie das Böse. Den Gerechten sah ich
Gebeugt vom Unglück und den Gottvcrgeßnen
In Freuden leben. Da bedünkte mich,
Es sei auch eitel, nach der Weisheit trachten,
Und schrie zu meinem Gotte: Herr mein Gott,
Ist es nicht besser, nie das Licht zu schau'u,
Als jegliches, was es bescheint, erkennen
In seiner Nichtigkeit?

Bailis (die mit steigender Spannung zugehört hat).

Und er? Gab er
Dir Antwort?

Salomo.

Nicht in Worten. Doch er hauchte
Mir plötzlich einen Mut ins Herz und kühlte


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[0477] Die Weisheit Salomos. Im co'gen Wechsel dieser Erdendinge? Ob irgend eine Stunde kommen mag, Da wir die Wahrheit schauen schleierlos, Und tausend Fragen mehr. Sie fragt mehr, als ein Weiser beantworten kann, und dies ist bezeichnend für ihren stürmischen Charakter wie für ihren sehnsüchtigen, unbefriedigten Zustand. Sie gesteht offen, daß sie sich gleich beim ersten Anblick Salomos enttäuscht gefühlt habe; sie hat nicht den gefunden, den sie erwartete. Nicht ein Greis, Dem der Erfahrung Schnee das Herz gekühlt, Der Pflug des Denkens tief die Stirne fürchte: Ein Fürst im Flor der Jahre, dem das Auge Gleich einer Kriegesfackel glüht, ein Held Ju königlichem Prunk. Statt weiser Worte Gesang und Harfenspiel, statt ernster Männer Gefährten seiner Forschung, eine Schar Von blüh'nden Jungfrauen-- Damit fordert sie endlich ihren bis dahin lächelnd zuhörenden Gastfreund heraus. Kannst du nicht den Schein vom Wesen trennen? erwiedert ihr Salomo, und wie er als König prächtig die Königin aufnahm, so begegnet er jetzt als Weiser der Weisheit suchenden. „In wachsender innerer Erregung" schüttet er vor der immermehr überrascht aufhorchenden die Goldkörner seiner Lehre aus. Es ist die bekannte Lehre von der Eitelkeit der Welt, jeuer biblische Pessimismus, der sich vom modernen nur durch einen festen Gottesglauben unterscheidet. Wozu wir leben? Stirb, so erfährst du's; früher nicht. So lang Im Fleisch wir wandeln, lehrt uns Tag um Tag Nur eins: daß alles eitel. Was denn ist Der Mensch, daß er zu dauern sich vermäße? Das Kind der Zeit, wie faßt es Ewiges? Was heut noch ist, schon morgen ist's gewesen. . .. Denn Glanz und Macht sind eitel, Die Lust ist eitel und der Schmerz, das Gute So wie das Böse. Den Gerechten sah ich Gebeugt vom Unglück und den Gottvcrgeßnen In Freuden leben. Da bedünkte mich, Es sei auch eitel, nach der Weisheit trachten, Und schrie zu meinem Gotte: Herr mein Gott, Ist es nicht besser, nie das Licht zu schau'u, Als jegliches, was es bescheint, erkennen In seiner Nichtigkeit? Bailis (die mit steigender Spannung zugehört hat). Und er? Gab er Dir Antwort? Salomo. Nicht in Worten. Doch er hauchte Mir plötzlich einen Mut ins Herz und kühlte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/477>, abgerufen am 30.05.2024.