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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Grübeleien eines Malers liber seine Kunst.

Er geht freilich nicht ohne Umwege auf sein Ziel los. Im Vorworte
stellt er sich sein Thema in folgenden Sätzen: "Familientradition, Vcrwaudt-
schaftsgcfühl ziehen unsre Malkunst nach der Vergangenheit hin; ihr eigner
Verjüuguugstrieb, sowie der Zeitgeist drängen der Zukunft entgegen. Rückwärts
oder vorwärts? Welche Verbindungen wird sie bewahren, welche lösen, welche
neu eingehen?" und nach hundertuudfünfnudzwanzig Seiten, die mit einem schnelle",
Blick über die Entwicklung der Malerei vom Altertum bis auf die Gegenwart,
mit einer Kunstgeschichte In nuov ausgefüllt sind, kommt er zu dem Ergebnis:
"Darum suche der Staat die Tradition, welche uns noch mit der Jdealkunst
vergangener Epochen verknüpft, nach Kräften zu erhalten. Es gilt, den kunst-
geschichtlichen Zusammenhang nicht trennen zu lassen; denn nur in diesem ver¬
mögen wir uns ein Korrektiv für alle Kopfsprünge des befreiten Subjekts zu
bewahren. Er pflege namentlich die Mminmentalkunst und übe damit die Gabe,
große Vorstellungen in großen Zügen zu gestalten, selbst auf die Gefahr hin,
daß auf solchem Wege vorläufig wohl mehr mit Reminiscenzen als aus inneren
Impulsen geschaffen wird."^)

Es bedürfte keines Künstlers, um uns mit dieser "runde" Weisheit" bekannt
zu machen. Knille wiederholt nur, was die Kunstgelehrten schon seit vierzig
Jahren gefordert und jetzt -- in Preußen wenigstens -- durch eiuen der ihren,
durch Max Jordan, der eine in vielen Dingen entscheidende Stellung in der
preußischen Kunstverwaltung inne hat, glücklich erreicht haben, soweit eben die
Mittel des Staates sür die Pflege der monumentalen Kunst verfügbar find.
Wie erfreulich es auch für die Kmistgclchrtcu sein mag, einen Künstler als
Bundesgenossen auf diesem Wege zu begegnen, so darf doch nicht verschwiegen
werden, daß das Ergebnis der Knilleschcn "Grübeleien" sür die Männer, welche
sich wissenschaftlich mit der Erforschung der Kunstgeschichte beschäftigt haben,
kein überraschendes ist, ebensowenig wie der Abriß der Kunstgeschichte, durch
welchen Kuille zu seinem Ergebnis gelangt ist. Alles, was er uns zu sagen
hat, führt auf literarische Quellen, auf Burckhardt, dessen großer Gedanke von
der Entwicklung, Vollendung und Befreiung des Menschen der Renaissancezeit
von den Fesseln der Überlieferung auch den Grundgedanken der geschichtlichen
Auseinandersetzungen Kullich bildet (letzterer sagt nur "Konvention" statt "Tra¬
dition"), auf Kugler, Ueber, Lübke und andre Schriftsteller, die sich mit
moderner Kunstgeschichte befaßt habe", zurück. Selbst da, wo Knille offenbar
auf Grund von Erinnerungen aus seiner Düsseldorfer und Pariser Studienzeit
erzählt, erwartet man vergebens neue Mitteilungen, die über die Anekdote
Hinausgehen. Für seine Kunstgenossen, deren Mehrzahl bekanntlich wenig
Bücher liest und noch weniger kauft, mag Kullich Schrift gewiß viele neue
Offenbarungen enthalten, die, abgesehen von einigen Unrichtigkeiten und stilistischen



") Beiläufig: Tradition, Epoche, Korrektiv, Subjekt, Reminiscenz, Impuls -- das laßt
D. Red. sich doch alles recht gut deutsch sagen.
Grübeleien eines Malers liber seine Kunst.

Er geht freilich nicht ohne Umwege auf sein Ziel los. Im Vorworte
stellt er sich sein Thema in folgenden Sätzen: „Familientradition, Vcrwaudt-
schaftsgcfühl ziehen unsre Malkunst nach der Vergangenheit hin; ihr eigner
Verjüuguugstrieb, sowie der Zeitgeist drängen der Zukunft entgegen. Rückwärts
oder vorwärts? Welche Verbindungen wird sie bewahren, welche lösen, welche
neu eingehen?" und nach hundertuudfünfnudzwanzig Seiten, die mit einem schnelle«,
Blick über die Entwicklung der Malerei vom Altertum bis auf die Gegenwart,
mit einer Kunstgeschichte In nuov ausgefüllt sind, kommt er zu dem Ergebnis:
„Darum suche der Staat die Tradition, welche uns noch mit der Jdealkunst
vergangener Epochen verknüpft, nach Kräften zu erhalten. Es gilt, den kunst-
geschichtlichen Zusammenhang nicht trennen zu lassen; denn nur in diesem ver¬
mögen wir uns ein Korrektiv für alle Kopfsprünge des befreiten Subjekts zu
bewahren. Er pflege namentlich die Mminmentalkunst und übe damit die Gabe,
große Vorstellungen in großen Zügen zu gestalten, selbst auf die Gefahr hin,
daß auf solchem Wege vorläufig wohl mehr mit Reminiscenzen als aus inneren
Impulsen geschaffen wird."^)

Es bedürfte keines Künstlers, um uns mit dieser „runde» Weisheit" bekannt
zu machen. Knille wiederholt nur, was die Kunstgelehrten schon seit vierzig
Jahren gefordert und jetzt — in Preußen wenigstens — durch eiuen der ihren,
durch Max Jordan, der eine in vielen Dingen entscheidende Stellung in der
preußischen Kunstverwaltung inne hat, glücklich erreicht haben, soweit eben die
Mittel des Staates sür die Pflege der monumentalen Kunst verfügbar find.
Wie erfreulich es auch für die Kmistgclchrtcu sein mag, einen Künstler als
Bundesgenossen auf diesem Wege zu begegnen, so darf doch nicht verschwiegen
werden, daß das Ergebnis der Knilleschcn „Grübeleien" sür die Männer, welche
sich wissenschaftlich mit der Erforschung der Kunstgeschichte beschäftigt haben,
kein überraschendes ist, ebensowenig wie der Abriß der Kunstgeschichte, durch
welchen Kuille zu seinem Ergebnis gelangt ist. Alles, was er uns zu sagen
hat, führt auf literarische Quellen, auf Burckhardt, dessen großer Gedanke von
der Entwicklung, Vollendung und Befreiung des Menschen der Renaissancezeit
von den Fesseln der Überlieferung auch den Grundgedanken der geschichtlichen
Auseinandersetzungen Kullich bildet (letzterer sagt nur „Konvention" statt „Tra¬
dition"), auf Kugler, Ueber, Lübke und andre Schriftsteller, die sich mit
moderner Kunstgeschichte befaßt habe», zurück. Selbst da, wo Knille offenbar
auf Grund von Erinnerungen aus seiner Düsseldorfer und Pariser Studienzeit
erzählt, erwartet man vergebens neue Mitteilungen, die über die Anekdote
Hinausgehen. Für seine Kunstgenossen, deren Mehrzahl bekanntlich wenig
Bücher liest und noch weniger kauft, mag Kullich Schrift gewiß viele neue
Offenbarungen enthalten, die, abgesehen von einigen Unrichtigkeiten und stilistischen



») Beiläufig: Tradition, Epoche, Korrektiv, Subjekt, Reminiscenz, Impuls — das laßt
D. Red. sich doch alles recht gut deutsch sagen.
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[0048] Grübeleien eines Malers liber seine Kunst. Er geht freilich nicht ohne Umwege auf sein Ziel los. Im Vorworte stellt er sich sein Thema in folgenden Sätzen: „Familientradition, Vcrwaudt- schaftsgcfühl ziehen unsre Malkunst nach der Vergangenheit hin; ihr eigner Verjüuguugstrieb, sowie der Zeitgeist drängen der Zukunft entgegen. Rückwärts oder vorwärts? Welche Verbindungen wird sie bewahren, welche lösen, welche neu eingehen?" und nach hundertuudfünfnudzwanzig Seiten, die mit einem schnelle«, Blick über die Entwicklung der Malerei vom Altertum bis auf die Gegenwart, mit einer Kunstgeschichte In nuov ausgefüllt sind, kommt er zu dem Ergebnis: „Darum suche der Staat die Tradition, welche uns noch mit der Jdealkunst vergangener Epochen verknüpft, nach Kräften zu erhalten. Es gilt, den kunst- geschichtlichen Zusammenhang nicht trennen zu lassen; denn nur in diesem ver¬ mögen wir uns ein Korrektiv für alle Kopfsprünge des befreiten Subjekts zu bewahren. Er pflege namentlich die Mminmentalkunst und übe damit die Gabe, große Vorstellungen in großen Zügen zu gestalten, selbst auf die Gefahr hin, daß auf solchem Wege vorläufig wohl mehr mit Reminiscenzen als aus inneren Impulsen geschaffen wird."^) Es bedürfte keines Künstlers, um uns mit dieser „runde» Weisheit" bekannt zu machen. Knille wiederholt nur, was die Kunstgelehrten schon seit vierzig Jahren gefordert und jetzt — in Preußen wenigstens — durch eiuen der ihren, durch Max Jordan, der eine in vielen Dingen entscheidende Stellung in der preußischen Kunstverwaltung inne hat, glücklich erreicht haben, soweit eben die Mittel des Staates sür die Pflege der monumentalen Kunst verfügbar find. Wie erfreulich es auch für die Kmistgclchrtcu sein mag, einen Künstler als Bundesgenossen auf diesem Wege zu begegnen, so darf doch nicht verschwiegen werden, daß das Ergebnis der Knilleschcn „Grübeleien" sür die Männer, welche sich wissenschaftlich mit der Erforschung der Kunstgeschichte beschäftigt haben, kein überraschendes ist, ebensowenig wie der Abriß der Kunstgeschichte, durch welchen Kuille zu seinem Ergebnis gelangt ist. Alles, was er uns zu sagen hat, führt auf literarische Quellen, auf Burckhardt, dessen großer Gedanke von der Entwicklung, Vollendung und Befreiung des Menschen der Renaissancezeit von den Fesseln der Überlieferung auch den Grundgedanken der geschichtlichen Auseinandersetzungen Kullich bildet (letzterer sagt nur „Konvention" statt „Tra¬ dition"), auf Kugler, Ueber, Lübke und andre Schriftsteller, die sich mit moderner Kunstgeschichte befaßt habe», zurück. Selbst da, wo Knille offenbar auf Grund von Erinnerungen aus seiner Düsseldorfer und Pariser Studienzeit erzählt, erwartet man vergebens neue Mitteilungen, die über die Anekdote Hinausgehen. Für seine Kunstgenossen, deren Mehrzahl bekanntlich wenig Bücher liest und noch weniger kauft, mag Kullich Schrift gewiß viele neue Offenbarungen enthalten, die, abgesehen von einigen Unrichtigkeiten und stilistischen ») Beiläufig: Tradition, Epoche, Korrektiv, Subjekt, Reminiscenz, Impuls — das laßt D. Red. sich doch alles recht gut deutsch sagen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/48>, abgerufen am 14.05.2024.