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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die akademische Aunstausstellnng in Berlin.

den Inhalt und die Beschaffenheit der Ausstellung zu tragen hat, ist sogar den
unabhängigen Mitgliedern der Jury gegenüber im Nachteil. Wenn Klagen
gegen die Jury zu erheben sind, so wären sie nach unsrer Meinung eher gegen
zu große Nachsicht als gegen übergroße Strenge zu richten. So hätte, damit
wir nur ein Beispiel hervorheben, eine ungeheuerliche Leinwand mit einem Preis¬
urteil von Max Klinger, eine Mischung von Sandro Botticelli, englischen
Präraffaeliten, Böcklin und eigner Launenhaftigkeit, noch dazu von einem
plastischen Nahmen umgeben, auf dem die moderne Polychromie einen wahren
Veitstanz ausführt, ohne Schaden für das Publikum und vielleicht auch zu
Nutz und Frommen des Künstlers wegbleiben können. Aber die Jury ist von
dem Grundsatze ausgegangen, daß die Künstler selbst die Folgen von Geschmacks¬
verirrungen zu tragen haben, und daß sie ihr Wächteramt nur zu üben habe,
sobald von solchen Geschmacksverwirrungen dem öffentlichen Anstünde oder der
öffentlichen Ordnung Gefahr droht. Daß die Jury gegen das Mittelgut nicht
strenger eingeschritten ist, hat ebenfalls seinen guten Grund. Soll sie Künstlern,
die ihre Hoffnung, vielleicht ihre letzte, auf die Ausstellung der Akademie gesetzt
haben, die Möglichkeit abschneiden, noch einmal um die Gunst des Publikums
zu ringen? Man vergesse nicht, daß eine öffentliche Ausstellung nicht bloß den
Zweck' hat, die Schaulust des Publikums auf möglichst angenehme Weise zu be¬
friedigen, sondern daß sie auch die Interessen der Aussteller zu wahren hat,
welche eine derartige Veranstaltung, ein jeder nach seinen Kräften, überhaupt
ermöglicht haben. Endlich ist zu berücksichtigen, daß eine kritisch gesichtete Aus¬
stellung ein umso verkehrteres Bild von dem wirklichen Zustande unsrer Kunst
geben würde, je schärfer die Sichtung erfolgt wäre. Wir liefen sogar Gefahr,
daß eine solche Musterausstellung äußerst langweilig sein könnte. Würde man
diesen Grundsatz z. B. auf die gegenwärtige anwenden, so bekämen wir fast
ausschließlich Landschaften zu sehen, welche nicht bloß ihrer Zahl nach, sondern
auch nach ihrer künstlerischen Beschaffenheit bei weitem das Übergewicht über
Porträt-, Genre- und Geschichtsmalerei behaupten. Unter zehn deutschen Aus¬
stellungen würde mindestens bei acht ein gleiches Verhältnis eintreten, da
kein zweites Gebiet der Kunst so stark bebaut wird wie die Landschaftsmalerei,
vielleicht weil es am leichtesten zugänglich ist und der Erfolg am meisten die
Mühen belohnt.

Indessen läßt sich nicht verkennen, daß die Jury von Jahr zu Jahr weniger
Ursache hat, das Schwert des Engels vor dem Paradiese zu gebrauchen. Wenn
unsre Kunst auch während der letzten zehn Jahre keinen neuen geistigen Inhalt
gewonnen hat, wenn ihr auch keine Ideale erschienen sind, welche sich allseitiger
Schätzung und Anerkennung erfreuen, so hat sie doch ihr Aschenbrödelkleid ab¬
gestreift. Wir haben nicht mehr nötig, Franzosen, Italiener und Spanier wegen
ihrer technischen Fertigkeiten zu beneiden. Unsre Kunst hat ihre provinzielle
Befangenheit und Unbeholfenheit abgelegt und beherrscht jetzt, ohne ihren ratio-


Die akademische Aunstausstellnng in Berlin.

den Inhalt und die Beschaffenheit der Ausstellung zu tragen hat, ist sogar den
unabhängigen Mitgliedern der Jury gegenüber im Nachteil. Wenn Klagen
gegen die Jury zu erheben sind, so wären sie nach unsrer Meinung eher gegen
zu große Nachsicht als gegen übergroße Strenge zu richten. So hätte, damit
wir nur ein Beispiel hervorheben, eine ungeheuerliche Leinwand mit einem Preis¬
urteil von Max Klinger, eine Mischung von Sandro Botticelli, englischen
Präraffaeliten, Böcklin und eigner Launenhaftigkeit, noch dazu von einem
plastischen Nahmen umgeben, auf dem die moderne Polychromie einen wahren
Veitstanz ausführt, ohne Schaden für das Publikum und vielleicht auch zu
Nutz und Frommen des Künstlers wegbleiben können. Aber die Jury ist von
dem Grundsatze ausgegangen, daß die Künstler selbst die Folgen von Geschmacks¬
verirrungen zu tragen haben, und daß sie ihr Wächteramt nur zu üben habe,
sobald von solchen Geschmacksverwirrungen dem öffentlichen Anstünde oder der
öffentlichen Ordnung Gefahr droht. Daß die Jury gegen das Mittelgut nicht
strenger eingeschritten ist, hat ebenfalls seinen guten Grund. Soll sie Künstlern,
die ihre Hoffnung, vielleicht ihre letzte, auf die Ausstellung der Akademie gesetzt
haben, die Möglichkeit abschneiden, noch einmal um die Gunst des Publikums
zu ringen? Man vergesse nicht, daß eine öffentliche Ausstellung nicht bloß den
Zweck' hat, die Schaulust des Publikums auf möglichst angenehme Weise zu be¬
friedigen, sondern daß sie auch die Interessen der Aussteller zu wahren hat,
welche eine derartige Veranstaltung, ein jeder nach seinen Kräften, überhaupt
ermöglicht haben. Endlich ist zu berücksichtigen, daß eine kritisch gesichtete Aus¬
stellung ein umso verkehrteres Bild von dem wirklichen Zustande unsrer Kunst
geben würde, je schärfer die Sichtung erfolgt wäre. Wir liefen sogar Gefahr,
daß eine solche Musterausstellung äußerst langweilig sein könnte. Würde man
diesen Grundsatz z. B. auf die gegenwärtige anwenden, so bekämen wir fast
ausschließlich Landschaften zu sehen, welche nicht bloß ihrer Zahl nach, sondern
auch nach ihrer künstlerischen Beschaffenheit bei weitem das Übergewicht über
Porträt-, Genre- und Geschichtsmalerei behaupten. Unter zehn deutschen Aus¬
stellungen würde mindestens bei acht ein gleiches Verhältnis eintreten, da
kein zweites Gebiet der Kunst so stark bebaut wird wie die Landschaftsmalerei,
vielleicht weil es am leichtesten zugänglich ist und der Erfolg am meisten die
Mühen belohnt.

Indessen läßt sich nicht verkennen, daß die Jury von Jahr zu Jahr weniger
Ursache hat, das Schwert des Engels vor dem Paradiese zu gebrauchen. Wenn
unsre Kunst auch während der letzten zehn Jahre keinen neuen geistigen Inhalt
gewonnen hat, wenn ihr auch keine Ideale erschienen sind, welche sich allseitiger
Schätzung und Anerkennung erfreuen, so hat sie doch ihr Aschenbrödelkleid ab¬
gestreift. Wir haben nicht mehr nötig, Franzosen, Italiener und Spanier wegen
ihrer technischen Fertigkeiten zu beneiden. Unsre Kunst hat ihre provinzielle
Befangenheit und Unbeholfenheit abgelegt und beherrscht jetzt, ohne ihren ratio-


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[0488] Die akademische Aunstausstellnng in Berlin. den Inhalt und die Beschaffenheit der Ausstellung zu tragen hat, ist sogar den unabhängigen Mitgliedern der Jury gegenüber im Nachteil. Wenn Klagen gegen die Jury zu erheben sind, so wären sie nach unsrer Meinung eher gegen zu große Nachsicht als gegen übergroße Strenge zu richten. So hätte, damit wir nur ein Beispiel hervorheben, eine ungeheuerliche Leinwand mit einem Preis¬ urteil von Max Klinger, eine Mischung von Sandro Botticelli, englischen Präraffaeliten, Böcklin und eigner Launenhaftigkeit, noch dazu von einem plastischen Nahmen umgeben, auf dem die moderne Polychromie einen wahren Veitstanz ausführt, ohne Schaden für das Publikum und vielleicht auch zu Nutz und Frommen des Künstlers wegbleiben können. Aber die Jury ist von dem Grundsatze ausgegangen, daß die Künstler selbst die Folgen von Geschmacks¬ verirrungen zu tragen haben, und daß sie ihr Wächteramt nur zu üben habe, sobald von solchen Geschmacksverwirrungen dem öffentlichen Anstünde oder der öffentlichen Ordnung Gefahr droht. Daß die Jury gegen das Mittelgut nicht strenger eingeschritten ist, hat ebenfalls seinen guten Grund. Soll sie Künstlern, die ihre Hoffnung, vielleicht ihre letzte, auf die Ausstellung der Akademie gesetzt haben, die Möglichkeit abschneiden, noch einmal um die Gunst des Publikums zu ringen? Man vergesse nicht, daß eine öffentliche Ausstellung nicht bloß den Zweck' hat, die Schaulust des Publikums auf möglichst angenehme Weise zu be¬ friedigen, sondern daß sie auch die Interessen der Aussteller zu wahren hat, welche eine derartige Veranstaltung, ein jeder nach seinen Kräften, überhaupt ermöglicht haben. Endlich ist zu berücksichtigen, daß eine kritisch gesichtete Aus¬ stellung ein umso verkehrteres Bild von dem wirklichen Zustande unsrer Kunst geben würde, je schärfer die Sichtung erfolgt wäre. Wir liefen sogar Gefahr, daß eine solche Musterausstellung äußerst langweilig sein könnte. Würde man diesen Grundsatz z. B. auf die gegenwärtige anwenden, so bekämen wir fast ausschließlich Landschaften zu sehen, welche nicht bloß ihrer Zahl nach, sondern auch nach ihrer künstlerischen Beschaffenheit bei weitem das Übergewicht über Porträt-, Genre- und Geschichtsmalerei behaupten. Unter zehn deutschen Aus¬ stellungen würde mindestens bei acht ein gleiches Verhältnis eintreten, da kein zweites Gebiet der Kunst so stark bebaut wird wie die Landschaftsmalerei, vielleicht weil es am leichtesten zugänglich ist und der Erfolg am meisten die Mühen belohnt. Indessen läßt sich nicht verkennen, daß die Jury von Jahr zu Jahr weniger Ursache hat, das Schwert des Engels vor dem Paradiese zu gebrauchen. Wenn unsre Kunst auch während der letzten zehn Jahre keinen neuen geistigen Inhalt gewonnen hat, wenn ihr auch keine Ideale erschienen sind, welche sich allseitiger Schätzung und Anerkennung erfreuen, so hat sie doch ihr Aschenbrödelkleid ab¬ gestreift. Wir haben nicht mehr nötig, Franzosen, Italiener und Spanier wegen ihrer technischen Fertigkeiten zu beneiden. Unsre Kunst hat ihre provinzielle Befangenheit und Unbeholfenheit abgelegt und beherrscht jetzt, ohne ihren ratio-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/488>, abgerufen am 31.05.2024.