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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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vom wunderschönen Monat Mai.

Freilich scheint das alles unsern "Wonnemonat" zunächst wenig anzugehen.
Denn die ebeu geschilderten Lustbarkeiten fielen oder fallen gewöhnlich auf den
Sonntag Lätare oder Mittfasten, also viel vor Anfang der fröhlichen Maienzeit.
Dafür hat sich aber der Mai den sogenannten Mairitt vorbehalten, d. h. die
höfische Metamorphose des altheidnischen Winteraustreibens. Von diesem Mai¬
reiten, das auch in Skandinavien und England mit großem Pomp gehalten zu
werden pflegte, giebt ein schwedischer Chronist folgende Beschreibung: "Die
Schweden und Gothen (es sind natürlich die Gvthlcinder) haben einen Brauch,
daß in den Stätten die Oberkeit den ersten Tag Meiens zwei Geschwader
Reuter von starken jungen Gesellen und Männern versammeln läßt, nicht
anders als wolt man zu einer gewaltigen Schlacht ziehen. Das ein Geschwader
hat einen Rittmeister, welcher unter dem Namen des Winters mit viel Pelzen
und gefütterten Kleidern angethan und mit einem Winterspieß bewapnet ist;
der reitet hoffertiglich hin und wieder, wirft Schneeballen und Eisschenel von
sich, als wolte er die Kälte verlängern, macht sich ganz unnütz. Hergegen hat
das ander Geschwader auch einen Rittmeister, den heißt man den Blnmengraven,
der ist von grünem Gezweig, Land und Blumen bekleidet, anch mit andern
Sommerkleidern angethan und nicht fast werhnft, reitet mitsamt dem Winter¬
hauptmann in die Stadt ein, doch ein jeder an seinem besondern Ort und
Ordnung, halten alsdann ein öffentlich Stechen und Turnier, in dein der
Sommer den Winter überwinde und zu Boden rennet. Der Winter und sein Ge¬
folge werfen um sich mit Asche und Funken, das sommerliche Gesinde wehrt sich
mit Birkenmaien und ausgeschlagenen Lindenrnten; endlich wird dem Sommer
von dem umstehenden Volk der Sieg zugesprochen." Das heißt doch nur das
altgermanische Volksspiel in das Höfische übersetze,?.

In Deutschland freilich verlor der Mairitt sehr bald viel von seinem ur¬
sprünglichen, die Echtheit der Überlieferung währenden Zeremoniell. Abgeschafft
wurde das Bedeutsamste, der Kampf, und nur die Wahl, die Einholung und
Bekränzung des Maigrafen blieb, besonders in den Städten Niederdeutschlands
noch längere Zeit bestehen. So meldet der treffliche Bartholomäus Zastrow
in seiner von köstlicher Laune gewürzten Lebensbeschreibung von einem Mai¬
reiten, das im Jahre 1528 in Greifswalde mit großem Gepränge gehalten
wurde, freilich bei einem Wetter, welches der Bedeutung des Tages wenig genug
entsprach, indem "der Schnee beim Auß- und Einreiten Enkels hoch fiel,
das mau nur eilete wieder in die Stadt zur warmen Stuben zu kommen."
In Hildesheim war der Mittelpunkt des Festes die Einholung des mit jungen
Birkenzweigen gefüllten Mnienwagens, dessen Inhalt verteilt ward, worauf der
Maigraf uach Empfang des Kranzes die "Hvlzerbcn" bewirtete. Anderswo
wurde dem Maigrafen eine Maigräfin zugesellt oder von ihm gewählt. Hat
sich dergleichen noch jetzt im Volle erhalten, so fällt anch hier wieder der Jugend
die Hauptrolle zu. Aber überall, und wie wir sahen, schon frühzeitig, ist der


vom wunderschönen Monat Mai.

Freilich scheint das alles unsern „Wonnemonat" zunächst wenig anzugehen.
Denn die ebeu geschilderten Lustbarkeiten fielen oder fallen gewöhnlich auf den
Sonntag Lätare oder Mittfasten, also viel vor Anfang der fröhlichen Maienzeit.
Dafür hat sich aber der Mai den sogenannten Mairitt vorbehalten, d. h. die
höfische Metamorphose des altheidnischen Winteraustreibens. Von diesem Mai¬
reiten, das auch in Skandinavien und England mit großem Pomp gehalten zu
werden pflegte, giebt ein schwedischer Chronist folgende Beschreibung: „Die
Schweden und Gothen (es sind natürlich die Gvthlcinder) haben einen Brauch,
daß in den Stätten die Oberkeit den ersten Tag Meiens zwei Geschwader
Reuter von starken jungen Gesellen und Männern versammeln läßt, nicht
anders als wolt man zu einer gewaltigen Schlacht ziehen. Das ein Geschwader
hat einen Rittmeister, welcher unter dem Namen des Winters mit viel Pelzen
und gefütterten Kleidern angethan und mit einem Winterspieß bewapnet ist;
der reitet hoffertiglich hin und wieder, wirft Schneeballen und Eisschenel von
sich, als wolte er die Kälte verlängern, macht sich ganz unnütz. Hergegen hat
das ander Geschwader auch einen Rittmeister, den heißt man den Blnmengraven,
der ist von grünem Gezweig, Land und Blumen bekleidet, anch mit andern
Sommerkleidern angethan und nicht fast werhnft, reitet mitsamt dem Winter¬
hauptmann in die Stadt ein, doch ein jeder an seinem besondern Ort und
Ordnung, halten alsdann ein öffentlich Stechen und Turnier, in dein der
Sommer den Winter überwinde und zu Boden rennet. Der Winter und sein Ge¬
folge werfen um sich mit Asche und Funken, das sommerliche Gesinde wehrt sich
mit Birkenmaien und ausgeschlagenen Lindenrnten; endlich wird dem Sommer
von dem umstehenden Volk der Sieg zugesprochen." Das heißt doch nur das
altgermanische Volksspiel in das Höfische übersetze,?.

In Deutschland freilich verlor der Mairitt sehr bald viel von seinem ur¬
sprünglichen, die Echtheit der Überlieferung währenden Zeremoniell. Abgeschafft
wurde das Bedeutsamste, der Kampf, und nur die Wahl, die Einholung und
Bekränzung des Maigrafen blieb, besonders in den Städten Niederdeutschlands
noch längere Zeit bestehen. So meldet der treffliche Bartholomäus Zastrow
in seiner von köstlicher Laune gewürzten Lebensbeschreibung von einem Mai¬
reiten, das im Jahre 1528 in Greifswalde mit großem Gepränge gehalten
wurde, freilich bei einem Wetter, welches der Bedeutung des Tages wenig genug
entsprach, indem „der Schnee beim Auß- und Einreiten Enkels hoch fiel,
das mau nur eilete wieder in die Stadt zur warmen Stuben zu kommen."
In Hildesheim war der Mittelpunkt des Festes die Einholung des mit jungen
Birkenzweigen gefüllten Mnienwagens, dessen Inhalt verteilt ward, worauf der
Maigraf uach Empfang des Kranzes die „Hvlzerbcn" bewirtete. Anderswo
wurde dem Maigrafen eine Maigräfin zugesellt oder von ihm gewählt. Hat
sich dergleichen noch jetzt im Volle erhalten, so fällt anch hier wieder der Jugend
die Hauptrolle zu. Aber überall, und wie wir sahen, schon frühzeitig, ist der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/53>, abgerufen am 08.06.2024.