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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Hans pöhnls Volksbühnenspiele.

schauen (Gottfr. Kellers "Legenden"). Die Versuche Richard Wagners, die
Götterwelt der Edda bühneufähig zu machen, sind gänzlich mißglückt, sie glitten
an dem Nationalbewußtsein der Gegenwart spurlos ab, und selbst der "Parsifal"
in seiner geschmacklosen Verquickung von Schopenhauer und Evangelium hat
nur die Wagnerianer, aber nicht die deutsche Nation gerührt. Und doch ver¬
steigt sich Pöhnl zu folgender tollen Zusammenstellung: "Die unbefangene
Welt- und Naturanschauung war nicht die künstlerische Lebensaufgabe dieses
Dreigestirns: Schiller gab der Nation die politische Freiheit, Goethe vernichtete
das zopfige Philistertum, Richard Wagner, der größte deutsche Kulturheros
unter den dreien, erweckte unser deutsches Nationalbewußtsein."

Von diesem engherzigen Begriff des nationalen aus und mit der blind¬
wütigen Gehässigkeit eines Fanatikers hält nun Pöhnl Rundschau über die Ent¬
wicklung des deutschen Theaters seit Lessing. Die Urteile, die er über Schiller
und Goethe von seinem "nationalen" Standpunkte fällt, wetteifern an Haß mit
denjenigen, welche etwa die Jesuiten über unsre Klassiker niederschrieben. Goethe
ist für diesen Anwalt unsrer Nationalität überhaupt "deutsch und menschlich
verständig" nur dort, wo er Hans Sachs nachahmt. Goethe ist nach Pöhnls
Urteil nur Nachahmungsvirtuose: "seine deutschen Lieder sind zumeist überzierte
Volkslieder, daneben stellen sich die römischen Elegien nach Properz, die vene-
tianischen Epigramme nach Martial, Sonette nach Petrarka, der Divan nach
Hafis, Hermann und Dorothea nach Vossens Luise, die Achilleis nach der Ilias,
Reineke Fuchs nach dem Volksbuch" u. s. w. Pöhul zählt alle Werke auf und
findet überall Goethe als Nachahmer von Dichtern wie Voß! Eine andre
"nationale" Auslassung: "Man hat uns von vielen Seiten klar machen wollen,
Goethe habe in seinen Frauengestalten das Ideal deutscher Weiblichkeit ge¬
schaffen! Das deutsche Weib! die mit dem Manne ins Schlachtfeld zog, die
Leib und Leben opferte, um die Sittenreinheit ihrer Seele zu wahren, sollte
sich in Gretchen, Klürchen, Ottilie wieder erkennen?" Pöhnl möchte am liebsten
wieder ein Bärenfell tragen und mit Büffelhörnern sein Haupt schmücken, haben
es doch die alten Germanen so gemacht! Für Pöhnl ist Goethe -- derselbe
Goethe, in dessen sittlicher Weltanschauung die Pietät, die Ehrfurcht, der Glaube
an das Dasein eines unfaßbarer höchsten Wesens eine so hohe Bedeutung
hatten -- nichts als der "frivole deutsche Voltaire"! Was für Blasen doch
der Fanatismus treibt! Wie roh Pöhnl in seiner thörichten Überschätzung des
Volkstümlichen werden kann, offenbart folgende Äußerung, die selbst den in
"deutschen" Versen geschriebenen "Faust" angreift: "Faust hat sich nach dem
Volksbuch dem unfruchtbaren Bücherstudium ergeben, er verkehrte nicht mit der
Welt. So kam es, daß den Einsamen allerlei Teufel ansonsten. Er krankte
an Übersinnlichkeit. Bekanntlich verbot der Teufel seinen Werkzeugen, das Sakra¬
ment der Ehe einzugehen. Faust buhlt mit einem Gespenst, der Helena. Der
Mythos verzeichnet eine psychologische Thatsache in selbstredender Form. Ich


Hans pöhnls Volksbühnenspiele.

schauen (Gottfr. Kellers „Legenden"). Die Versuche Richard Wagners, die
Götterwelt der Edda bühneufähig zu machen, sind gänzlich mißglückt, sie glitten
an dem Nationalbewußtsein der Gegenwart spurlos ab, und selbst der „Parsifal"
in seiner geschmacklosen Verquickung von Schopenhauer und Evangelium hat
nur die Wagnerianer, aber nicht die deutsche Nation gerührt. Und doch ver¬
steigt sich Pöhnl zu folgender tollen Zusammenstellung: „Die unbefangene
Welt- und Naturanschauung war nicht die künstlerische Lebensaufgabe dieses
Dreigestirns: Schiller gab der Nation die politische Freiheit, Goethe vernichtete
das zopfige Philistertum, Richard Wagner, der größte deutsche Kulturheros
unter den dreien, erweckte unser deutsches Nationalbewußtsein."

Von diesem engherzigen Begriff des nationalen aus und mit der blind¬
wütigen Gehässigkeit eines Fanatikers hält nun Pöhnl Rundschau über die Ent¬
wicklung des deutschen Theaters seit Lessing. Die Urteile, die er über Schiller
und Goethe von seinem „nationalen" Standpunkte fällt, wetteifern an Haß mit
denjenigen, welche etwa die Jesuiten über unsre Klassiker niederschrieben. Goethe
ist für diesen Anwalt unsrer Nationalität überhaupt „deutsch und menschlich
verständig" nur dort, wo er Hans Sachs nachahmt. Goethe ist nach Pöhnls
Urteil nur Nachahmungsvirtuose: „seine deutschen Lieder sind zumeist überzierte
Volkslieder, daneben stellen sich die römischen Elegien nach Properz, die vene-
tianischen Epigramme nach Martial, Sonette nach Petrarka, der Divan nach
Hafis, Hermann und Dorothea nach Vossens Luise, die Achilleis nach der Ilias,
Reineke Fuchs nach dem Volksbuch" u. s. w. Pöhul zählt alle Werke auf und
findet überall Goethe als Nachahmer von Dichtern wie Voß! Eine andre
„nationale" Auslassung: „Man hat uns von vielen Seiten klar machen wollen,
Goethe habe in seinen Frauengestalten das Ideal deutscher Weiblichkeit ge¬
schaffen! Das deutsche Weib! die mit dem Manne ins Schlachtfeld zog, die
Leib und Leben opferte, um die Sittenreinheit ihrer Seele zu wahren, sollte
sich in Gretchen, Klürchen, Ottilie wieder erkennen?" Pöhnl möchte am liebsten
wieder ein Bärenfell tragen und mit Büffelhörnern sein Haupt schmücken, haben
es doch die alten Germanen so gemacht! Für Pöhnl ist Goethe — derselbe
Goethe, in dessen sittlicher Weltanschauung die Pietät, die Ehrfurcht, der Glaube
an das Dasein eines unfaßbarer höchsten Wesens eine so hohe Bedeutung
hatten — nichts als der „frivole deutsche Voltaire"! Was für Blasen doch
der Fanatismus treibt! Wie roh Pöhnl in seiner thörichten Überschätzung des
Volkstümlichen werden kann, offenbart folgende Äußerung, die selbst den in
„deutschen" Versen geschriebenen „Faust" angreift: „Faust hat sich nach dem
Volksbuch dem unfruchtbaren Bücherstudium ergeben, er verkehrte nicht mit der
Welt. So kam es, daß den Einsamen allerlei Teufel ansonsten. Er krankte
an Übersinnlichkeit. Bekanntlich verbot der Teufel seinen Werkzeugen, das Sakra¬
ment der Ehe einzugehen. Faust buhlt mit einem Gespenst, der Helena. Der
Mythos verzeichnet eine psychologische Thatsache in selbstredender Form. Ich


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[0546] Hans pöhnls Volksbühnenspiele. schauen (Gottfr. Kellers „Legenden"). Die Versuche Richard Wagners, die Götterwelt der Edda bühneufähig zu machen, sind gänzlich mißglückt, sie glitten an dem Nationalbewußtsein der Gegenwart spurlos ab, und selbst der „Parsifal" in seiner geschmacklosen Verquickung von Schopenhauer und Evangelium hat nur die Wagnerianer, aber nicht die deutsche Nation gerührt. Und doch ver¬ steigt sich Pöhnl zu folgender tollen Zusammenstellung: „Die unbefangene Welt- und Naturanschauung war nicht die künstlerische Lebensaufgabe dieses Dreigestirns: Schiller gab der Nation die politische Freiheit, Goethe vernichtete das zopfige Philistertum, Richard Wagner, der größte deutsche Kulturheros unter den dreien, erweckte unser deutsches Nationalbewußtsein." Von diesem engherzigen Begriff des nationalen aus und mit der blind¬ wütigen Gehässigkeit eines Fanatikers hält nun Pöhnl Rundschau über die Ent¬ wicklung des deutschen Theaters seit Lessing. Die Urteile, die er über Schiller und Goethe von seinem „nationalen" Standpunkte fällt, wetteifern an Haß mit denjenigen, welche etwa die Jesuiten über unsre Klassiker niederschrieben. Goethe ist für diesen Anwalt unsrer Nationalität überhaupt „deutsch und menschlich verständig" nur dort, wo er Hans Sachs nachahmt. Goethe ist nach Pöhnls Urteil nur Nachahmungsvirtuose: „seine deutschen Lieder sind zumeist überzierte Volkslieder, daneben stellen sich die römischen Elegien nach Properz, die vene- tianischen Epigramme nach Martial, Sonette nach Petrarka, der Divan nach Hafis, Hermann und Dorothea nach Vossens Luise, die Achilleis nach der Ilias, Reineke Fuchs nach dem Volksbuch" u. s. w. Pöhul zählt alle Werke auf und findet überall Goethe als Nachahmer von Dichtern wie Voß! Eine andre „nationale" Auslassung: „Man hat uns von vielen Seiten klar machen wollen, Goethe habe in seinen Frauengestalten das Ideal deutscher Weiblichkeit ge¬ schaffen! Das deutsche Weib! die mit dem Manne ins Schlachtfeld zog, die Leib und Leben opferte, um die Sittenreinheit ihrer Seele zu wahren, sollte sich in Gretchen, Klürchen, Ottilie wieder erkennen?" Pöhnl möchte am liebsten wieder ein Bärenfell tragen und mit Büffelhörnern sein Haupt schmücken, haben es doch die alten Germanen so gemacht! Für Pöhnl ist Goethe — derselbe Goethe, in dessen sittlicher Weltanschauung die Pietät, die Ehrfurcht, der Glaube an das Dasein eines unfaßbarer höchsten Wesens eine so hohe Bedeutung hatten — nichts als der „frivole deutsche Voltaire"! Was für Blasen doch der Fanatismus treibt! Wie roh Pöhnl in seiner thörichten Überschätzung des Volkstümlichen werden kann, offenbart folgende Äußerung, die selbst den in „deutschen" Versen geschriebenen „Faust" angreift: „Faust hat sich nach dem Volksbuch dem unfruchtbaren Bücherstudium ergeben, er verkehrte nicht mit der Welt. So kam es, daß den Einsamen allerlei Teufel ansonsten. Er krankte an Übersinnlichkeit. Bekanntlich verbot der Teufel seinen Werkzeugen, das Sakra¬ ment der Ehe einzugehen. Faust buhlt mit einem Gespenst, der Helena. Der Mythos verzeichnet eine psychologische Thatsache in selbstredender Form. Ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/546>, abgerufen am 29.05.2024.