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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Hans Pöhnls Volksbühnenspiele.

werde das Ding nicht beim Namen nennen, das der Volksglaube eben darum
mystisch gestaltete, daß es unausgesprochen bliebe." Also Goethe hat die Faust¬
sage gar nicht verstanden, wenn er sie als den poetischen Ausdruck des Titanis¬
mus auffaßte; für Pöhnl ist das Motiv rein pathologischer Natur. Und das
wäre dann nationale Poesie? Dieser naturalistische Zug fehlte gerade noch.

Ich denke, diese Proben von Pöhnlscher Literaturgeschichte werden genügen.
Nicht glimpflicher kommen Schiller, Grillpcirzer, Kleist, Hebbel weg, darum nicht,
weil sie nicht durchweg "nationale" Stoffe behandelt habe". Merkwürdig ist
Pöhnls Schwärmerei für Lessing: eine von seinem Standpunkte ganz unbegreif¬
liche Liebe. Wieviel Schnitzer sich Pöhnl in rein historischen Thatsachen zu
Schulden kommen läßt, wie er in seinem Haß Geschichte fälscht (z. B. "Im
Handumdrehen spricht aus Karl Moor dem Räuber Professor Schiller über
das Ideal der Humanität"'; oder: "In eben der Weise, als Lessing von Werk
zu Werk an Kunstfertigkeit zunimmt, schrumpft Schillers Potenz von Werk zu
Werk zusammen" -- so! als ob "Tell," "Demetrius" nicht Schillers letzte
Arbeiten wären!) -- dies wollen wir nicht weiter ausführen. Alle seine schiefen
Urteile zu wiederholen und zu beleuchten, lohnt wahrlich die Mühe nicht. Seine
ganze Dramaturgie, soweit sie richtig ist, hat Otto Ludwig vorweg genommen,
und was er nicht von diesem gelernt hat, ist original Pöhulschc Schrulle. So
schlau ist dieser neue Prophet aber auch, sich mit den zeitgenössische" Macht¬
habern der Bühneuwelt auf leidlichen Fuß zu stelle". München ist natürlich
die deutscheste Stadt, weil es seinen "Armen Heinrich" aufgeführt hat und der
Regisseur Savits, der das Stück ins Szene setzte, ist der nationalste Mann u. s. f.

Der Schluß ist: wir besitzen kein Nationaltheater, wir stecken in der "Kunst¬
simpelei," weil wir nicht Hans Sachs, Jakob Ayrer, Nestroy und Hans Pöhnl
spielen. Es ist die Schule Richard Wagners, die aus diesem Tone sprechen
lehrte. Aber Wagner war doch wenigstens ein produktiver Künstler, er setzte
nicht einen Stolz darein, sich mit dem Erzeugnisse toter Dichter zu schmücken,
wie Pöhnl es von sich rühmt, kein Bild zu gebrauchen, das nicht bei Haus
Sachs oder Ayrer zu finden wäre. Wagner hatte das volle Gefühl seiner
Gegenwart, war ein lebendiger Mensch, bei all seinen Schrullen: Pöhnl leidet
am Atavismus. Darum wird ein richtiger Grundgedanke von ihm verzerrt
und karrikirt. Er selbst ist eine Verkörperung aller unklaren Bestrebungen unsrer
Zeit; der ehrliche Wille, den wir ihm nicht absprechen wollen, steht bei ihm im
Dienste eines verschrobenen Geistes und im letzten Grunde -- seiner dichterischen
Ohnmacht.


Moritz Necker.


Hans Pöhnls Volksbühnenspiele.

werde das Ding nicht beim Namen nennen, das der Volksglaube eben darum
mystisch gestaltete, daß es unausgesprochen bliebe." Also Goethe hat die Faust¬
sage gar nicht verstanden, wenn er sie als den poetischen Ausdruck des Titanis¬
mus auffaßte; für Pöhnl ist das Motiv rein pathologischer Natur. Und das
wäre dann nationale Poesie? Dieser naturalistische Zug fehlte gerade noch.

Ich denke, diese Proben von Pöhnlscher Literaturgeschichte werden genügen.
Nicht glimpflicher kommen Schiller, Grillpcirzer, Kleist, Hebbel weg, darum nicht,
weil sie nicht durchweg „nationale" Stoffe behandelt habe». Merkwürdig ist
Pöhnls Schwärmerei für Lessing: eine von seinem Standpunkte ganz unbegreif¬
liche Liebe. Wieviel Schnitzer sich Pöhnl in rein historischen Thatsachen zu
Schulden kommen läßt, wie er in seinem Haß Geschichte fälscht (z. B. „Im
Handumdrehen spricht aus Karl Moor dem Räuber Professor Schiller über
das Ideal der Humanität"'; oder: „In eben der Weise, als Lessing von Werk
zu Werk an Kunstfertigkeit zunimmt, schrumpft Schillers Potenz von Werk zu
Werk zusammen" — so! als ob „Tell," „Demetrius" nicht Schillers letzte
Arbeiten wären!) — dies wollen wir nicht weiter ausführen. Alle seine schiefen
Urteile zu wiederholen und zu beleuchten, lohnt wahrlich die Mühe nicht. Seine
ganze Dramaturgie, soweit sie richtig ist, hat Otto Ludwig vorweg genommen,
und was er nicht von diesem gelernt hat, ist original Pöhulschc Schrulle. So
schlau ist dieser neue Prophet aber auch, sich mit den zeitgenössische» Macht¬
habern der Bühneuwelt auf leidlichen Fuß zu stelle«. München ist natürlich
die deutscheste Stadt, weil es seinen „Armen Heinrich" aufgeführt hat und der
Regisseur Savits, der das Stück ins Szene setzte, ist der nationalste Mann u. s. f.

Der Schluß ist: wir besitzen kein Nationaltheater, wir stecken in der „Kunst¬
simpelei," weil wir nicht Hans Sachs, Jakob Ayrer, Nestroy und Hans Pöhnl
spielen. Es ist die Schule Richard Wagners, die aus diesem Tone sprechen
lehrte. Aber Wagner war doch wenigstens ein produktiver Künstler, er setzte
nicht einen Stolz darein, sich mit dem Erzeugnisse toter Dichter zu schmücken,
wie Pöhnl es von sich rühmt, kein Bild zu gebrauchen, das nicht bei Haus
Sachs oder Ayrer zu finden wäre. Wagner hatte das volle Gefühl seiner
Gegenwart, war ein lebendiger Mensch, bei all seinen Schrullen: Pöhnl leidet
am Atavismus. Darum wird ein richtiger Grundgedanke von ihm verzerrt
und karrikirt. Er selbst ist eine Verkörperung aller unklaren Bestrebungen unsrer
Zeit; der ehrliche Wille, den wir ihm nicht absprechen wollen, steht bei ihm im
Dienste eines verschrobenen Geistes und im letzten Grunde — seiner dichterischen
Ohnmacht.


Moritz Necker.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/547>, abgerufen am 15.05.2024.