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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Aus den hinterlassenen papieren eines preußischen Staatsministers.

hierher kommen lassen, da sie es jetzt noch nicht wagen dürften, sich auf der
Straße zu zeigen. Das müsse durchaus bald anders werden. In den Pro¬
vinzen habe man die Landwehr einberufen; wo diese sich schwierig zeige, würden
Linicnbataillone nachhelfen. Mohne Kolonnen sollten das Land durchziehen
und der Schlange des Aufruhrs den Kopf zertreten; der Geist der Ordnung
und Gesetzlichkeit müsse wieder hergestellt werden.

Inzwischen erschien Graf Brandenburg. Er trug mir auf, mich uach der
Sitzung, die bald geschlossen werden würde, zu Herrn von Manteuffel zu be¬
geben, welcher beauftragt sei, mir die nötigen Eröffnungen zu machen. Dies
geschah; aber es war Unerwartetes, was ich erfuhr. Herr von Manteuffel
erklärte mir: Wrangel sei zum Militärgouverneur über die Marken ernannt;
man habe nun allerdings noch vor kurzem die Absicht gehabt, ihm einen Zivil¬
gouverneur in meiner Person an die Seite zu stellen, und dazu sei ich einberufen
worden. Neuerdings aber hätten König und Ministerium einen andern Beschluß
gefaßt. Wrangel sollte mit unbeschränkter Gewalt seine Aufgabe erfüllen, ihm
untergeordnet sollte der Polizeipräsident von Berlin sein, Obcrrcgierungsrat
von Hinckeldey aus Merseburg, dem dieser Posten übertragen worden sei. Ich
könnte unter diesen Umständen zurückreisen, möchte mich aber vorher noch beim
Grafen Brandenburg melden. Das that ich am folgenden Tage; er sagte mir
dasselbe und schlug mir schließlich vor, wahrscheinlich mir um mich für meine
vergebliche Neise zu entschädigen, ob ich die Stelle des Unterstaatssekretärs im
Handelsministerium annehmen wollte. Ich lehnte jedoch ab, weil mir die Vor¬
bereitung für solchen Dienst fehlte.

Abends vorher hatte ich noch meinen Bruder aufgesucht, der eben mit den
Garden aus Schleswig zurückgekehrt war; das Bataillon "Kaiser Franz," bei
welchem er stand, lag im Seehandlungsgebäude, wo ich ihn endlich in einem
großen Saale fand; sämtliche Offiziere lagen, mit ihren Mänteln zugedeckt, auf
einer Streu und schliefen vortrefflich; ich mußte meinen Bruder erst längere
Zeit rütteln, ehe er erwachte und meinen Gruß erwiedern konnte.

Ich war nun in Berlin fertig und hätte nach Frankfurt zurückkehren
können, benutzte aber die Nähe meiner Heimat, um dorthin einen Abstecher zu
machen. Am 6. Dezember wurde mir dort ein Töchterchen geboren. Gleich
darauf wurde im Lande die oktroyirte Verfassung vom 5. Dezember publizirt;
auf Grund derselben fanden im Januar 1849 neue Wahlen statt, die nicht viel
besser ausfielen, als die frühere". Diese Verfassung ist längst cmtiquirt; daher
kann ich es mir erlassen, sie näher zu beleuchten, doch will ich hier eines Wortes
gedenken, das Radowitz in Frankfurt über sie zu mir sagte. Er war im No¬
vember in Berlin gewesen und hatte sie mit beraten helfen. "Sie soll," sagte
er, "der erste Schritt zum bessern sein, aber sie ist noch immer zu unpraktisch
ausgeklügelt; zu theoretisch-liberal, als daß ein preußischer König damit regieren
könnte. Das wird das Volk, wenn es erst zur Besinnung kommt, schon selber


Aus den hinterlassenen papieren eines preußischen Staatsministers.

hierher kommen lassen, da sie es jetzt noch nicht wagen dürften, sich auf der
Straße zu zeigen. Das müsse durchaus bald anders werden. In den Pro¬
vinzen habe man die Landwehr einberufen; wo diese sich schwierig zeige, würden
Linicnbataillone nachhelfen. Mohne Kolonnen sollten das Land durchziehen
und der Schlange des Aufruhrs den Kopf zertreten; der Geist der Ordnung
und Gesetzlichkeit müsse wieder hergestellt werden.

Inzwischen erschien Graf Brandenburg. Er trug mir auf, mich uach der
Sitzung, die bald geschlossen werden würde, zu Herrn von Manteuffel zu be¬
geben, welcher beauftragt sei, mir die nötigen Eröffnungen zu machen. Dies
geschah; aber es war Unerwartetes, was ich erfuhr. Herr von Manteuffel
erklärte mir: Wrangel sei zum Militärgouverneur über die Marken ernannt;
man habe nun allerdings noch vor kurzem die Absicht gehabt, ihm einen Zivil¬
gouverneur in meiner Person an die Seite zu stellen, und dazu sei ich einberufen
worden. Neuerdings aber hätten König und Ministerium einen andern Beschluß
gefaßt. Wrangel sollte mit unbeschränkter Gewalt seine Aufgabe erfüllen, ihm
untergeordnet sollte der Polizeipräsident von Berlin sein, Obcrrcgierungsrat
von Hinckeldey aus Merseburg, dem dieser Posten übertragen worden sei. Ich
könnte unter diesen Umständen zurückreisen, möchte mich aber vorher noch beim
Grafen Brandenburg melden. Das that ich am folgenden Tage; er sagte mir
dasselbe und schlug mir schließlich vor, wahrscheinlich mir um mich für meine
vergebliche Neise zu entschädigen, ob ich die Stelle des Unterstaatssekretärs im
Handelsministerium annehmen wollte. Ich lehnte jedoch ab, weil mir die Vor¬
bereitung für solchen Dienst fehlte.

Abends vorher hatte ich noch meinen Bruder aufgesucht, der eben mit den
Garden aus Schleswig zurückgekehrt war; das Bataillon „Kaiser Franz," bei
welchem er stand, lag im Seehandlungsgebäude, wo ich ihn endlich in einem
großen Saale fand; sämtliche Offiziere lagen, mit ihren Mänteln zugedeckt, auf
einer Streu und schliefen vortrefflich; ich mußte meinen Bruder erst längere
Zeit rütteln, ehe er erwachte und meinen Gruß erwiedern konnte.

Ich war nun in Berlin fertig und hätte nach Frankfurt zurückkehren
können, benutzte aber die Nähe meiner Heimat, um dorthin einen Abstecher zu
machen. Am 6. Dezember wurde mir dort ein Töchterchen geboren. Gleich
darauf wurde im Lande die oktroyirte Verfassung vom 5. Dezember publizirt;
auf Grund derselben fanden im Januar 1849 neue Wahlen statt, die nicht viel
besser ausfielen, als die frühere». Diese Verfassung ist längst cmtiquirt; daher
kann ich es mir erlassen, sie näher zu beleuchten, doch will ich hier eines Wortes
gedenken, das Radowitz in Frankfurt über sie zu mir sagte. Er war im No¬
vember in Berlin gewesen und hatte sie mit beraten helfen. „Sie soll," sagte
er, „der erste Schritt zum bessern sein, aber sie ist noch immer zu unpraktisch
ausgeklügelt; zu theoretisch-liberal, als daß ein preußischer König damit regieren
könnte. Das wird das Volk, wenn es erst zur Besinnung kommt, schon selber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/549>, abgerufen am 15.05.2024.