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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Ans den hinterlassenen Papieren eines preußischen Staatsministers.

einsehen; in einer bessern Vertretung wird es der Krone manches Recht zurück¬
geben, welches ihr jetzt genommen oder allzusehr beschränkt ist. Dann erhalten
wir auf gesetzmäßigem Wege eine Verfassung, die auch ein König mit gutem
Gewissen beschwören kann." Und so geschah es im Jahre 1850.

Nachdem ich zwischen Weihnachten und Neujahr mein Töchterchen hatte
taufen lassen, reiste ich nach Frankfurt zurück. Der erste Bekannte, dem ich
dort begegnete, war mein Freund Arneth aus Wien. Er fragte mich: "Wo
kommen Sie her?" -- "Aus meiner Heimat." -- "Auch ich war zu Hause;
ich habe taufen lassen." -- "Ich auch. Knabe oder Mädchen?" -- "Ein Knabe.
Und bei Ihnen?" -- "Ein Mädchen. Wie haben Sie Ihren Knaben genannt?" --
"Max. Und Sie Ihr Töchterchen?" -- "Thekla."

In Frankfurt hatte sich das Leben etwas geändert; man fing an, aufzu¬
atmen, teils weil man nun schon in Deutschland Regierungen wußte, die den
Mut und die Kraft hatten, zu ihren Pflichten zurückzukehren, teils weil man
den Unsinn der radikalen demokratischen Bestrebungen in immer weitern Kreisen
erkannte. Die Verhandlungen in der Paulskirche wurden weniger langweilig.
Die schier endlose Beratung der Grundrechte lag hinter uns, man ging zur
Verfassung über, und dieser Übergang von der Phrase auf ein rein praktisches
Gebiet hatte die Herren Theoretiker mundtot gemacht; man hörte keine stunden¬
langen Reden mehr. Zwar siegte bei allen Abstimmungen immer noch die
Linke, so daß auch die Verfassung recht kläglich ausfiel; die Rechte begriff aber,
daß eine solche Verfassung in Deutschland niemals Eingang finden würde, und
besonders aus diesem Grunde wurde sie ruhiger und zuversichtlicher. Ja es
kam schou vor, daß Leute, die nach den Septemberereignissen der Rechten treulos
geworden waren, jetzt zu ihr zurückkehrten.

Unter solchen Umständen näherten wir uns dem Ende unsrer Verhand¬
lungen. Der König von Preußen war bereits zum erblichen Kaiser des deutschen
Reiches gewählt worden. Das konnte man sich immerhin gefallen lassen; aber
es blieb fraglich, ob der König eine Verfassung annehmen und beschwören konnte,
welche noch keiner einzigen deutsche" Regierung, weder den Fürsten noch den
freien Städten, zur Begutachtung vorgelegen hatte. Um ihm solchen Entschluß
zu erleichtern, machte die Rechte einen Versuch, die Fürsten durch Vertrauens¬
männer zu einer Reise nach Berlin und zur Huldigung zu bestimmen. Dieser
Versuch mißlang. Nur die beiden Fürsten von Hohenzollern ließen sich bereit
finden; ja sie gingen noch weiter, indem sie ihre Kronen dem König zu Füßen
legten, worauf ihre Länder der preußischen Monarchie einverleibt wurden. Die
übrigen Fürsten lehnten unsern Vorschlag durchaus ab. Nun war ja mit
Bestimmtheit vorauszusehen, daß die Paulskirche die von ihr beschlossene Ver¬
fassung publiziren und dem Lande wie den Fürsten zu oktroyiren versuchen
würde. So kam es auch. Noch in der letzten Sitzung half ich einen Antrag
einbringen, der von Nadowitz und andern Mitgliedern der Rechten unterzeichnet


Ans den hinterlassenen Papieren eines preußischen Staatsministers.

einsehen; in einer bessern Vertretung wird es der Krone manches Recht zurück¬
geben, welches ihr jetzt genommen oder allzusehr beschränkt ist. Dann erhalten
wir auf gesetzmäßigem Wege eine Verfassung, die auch ein König mit gutem
Gewissen beschwören kann." Und so geschah es im Jahre 1850.

Nachdem ich zwischen Weihnachten und Neujahr mein Töchterchen hatte
taufen lassen, reiste ich nach Frankfurt zurück. Der erste Bekannte, dem ich
dort begegnete, war mein Freund Arneth aus Wien. Er fragte mich: „Wo
kommen Sie her?" — „Aus meiner Heimat." — „Auch ich war zu Hause;
ich habe taufen lassen." — „Ich auch. Knabe oder Mädchen?" — „Ein Knabe.
Und bei Ihnen?" — „Ein Mädchen. Wie haben Sie Ihren Knaben genannt?" —
„Max. Und Sie Ihr Töchterchen?" — „Thekla."

In Frankfurt hatte sich das Leben etwas geändert; man fing an, aufzu¬
atmen, teils weil man nun schon in Deutschland Regierungen wußte, die den
Mut und die Kraft hatten, zu ihren Pflichten zurückzukehren, teils weil man
den Unsinn der radikalen demokratischen Bestrebungen in immer weitern Kreisen
erkannte. Die Verhandlungen in der Paulskirche wurden weniger langweilig.
Die schier endlose Beratung der Grundrechte lag hinter uns, man ging zur
Verfassung über, und dieser Übergang von der Phrase auf ein rein praktisches
Gebiet hatte die Herren Theoretiker mundtot gemacht; man hörte keine stunden¬
langen Reden mehr. Zwar siegte bei allen Abstimmungen immer noch die
Linke, so daß auch die Verfassung recht kläglich ausfiel; die Rechte begriff aber,
daß eine solche Verfassung in Deutschland niemals Eingang finden würde, und
besonders aus diesem Grunde wurde sie ruhiger und zuversichtlicher. Ja es
kam schou vor, daß Leute, die nach den Septemberereignissen der Rechten treulos
geworden waren, jetzt zu ihr zurückkehrten.

Unter solchen Umständen näherten wir uns dem Ende unsrer Verhand¬
lungen. Der König von Preußen war bereits zum erblichen Kaiser des deutschen
Reiches gewählt worden. Das konnte man sich immerhin gefallen lassen; aber
es blieb fraglich, ob der König eine Verfassung annehmen und beschwören konnte,
welche noch keiner einzigen deutsche» Regierung, weder den Fürsten noch den
freien Städten, zur Begutachtung vorgelegen hatte. Um ihm solchen Entschluß
zu erleichtern, machte die Rechte einen Versuch, die Fürsten durch Vertrauens¬
männer zu einer Reise nach Berlin und zur Huldigung zu bestimmen. Dieser
Versuch mißlang. Nur die beiden Fürsten von Hohenzollern ließen sich bereit
finden; ja sie gingen noch weiter, indem sie ihre Kronen dem König zu Füßen
legten, worauf ihre Länder der preußischen Monarchie einverleibt wurden. Die
übrigen Fürsten lehnten unsern Vorschlag durchaus ab. Nun war ja mit
Bestimmtheit vorauszusehen, daß die Paulskirche die von ihr beschlossene Ver¬
fassung publiziren und dem Lande wie den Fürsten zu oktroyiren versuchen
würde. So kam es auch. Noch in der letzten Sitzung half ich einen Antrag
einbringen, der von Nadowitz und andern Mitgliedern der Rechten unterzeichnet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/550>, abgerufen am 29.05.2024.