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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Stammverwandtschaft und Waffenbrüderschaft mit England.

innerlich, wo die englische Regierung Frankreich zu Gefallen nicht nur eine
ausdrückliche Vorschrift des Völkerrechts verletzt, sondern auch ihren eignen
Hoheitsrechten etwas vergeben hat. Ein deutscher Kauffahrer wurde innerhalb
der englischen Hoheitsgrenze, dicht unter dem hohen Vorgebirge Veechy Head,
auf dem sich eine Küstenwache befindet, von einem französischen Kreuzer auf¬
gebracht. Man hat aber nie gehört, daß die Reklamationen der deutschen Ne¬
gierung, die doch sicher nicht ausgeblieben sind, einen Erfolg gehabt hätten.
Thatsache ist, daß die englische Negierung die französische nicht veranlaßt hat,
die auf englischem Gebiete gemachte Prise freizugeben. Portugal und Spanien
haben während jenes Krieges aus die Gefahr eines Konfliktes mit Frankreich
hin über Beobachtung des Völkerrechts und Achtung ihres Gebietes gewacht.
Als die alte und schwerfällige preußische Korvette "Arkona" von einem fran¬
zösischen Geschwader bis in die spanischen Gewässer vor Vigo verfolgt worden
war, legte der spanische Panzer "Numancia" sich vor das preußische Schiff.
Freilich fehlte es nicht an Sympathie einzelner; Thomas Carlyle erhob seine
mächtige Stimme für unsre gerechte Sache, und wie es die Gepflogenheit der
Parteiregieruug mit sich bringt, hatten die Toryblätter hin und wieder ein Wort
des Tadels für das damalige liberale Ministerium. Ob wir aber besser ge¬
fahren wären, wenn Veaconsfield am Ruder gewesen wäre und seinen Plan
einer intimen, neutralen, aber bewaffneten Allianz mit Rußland, von dem Gran-
ville 1878 einer Deputation von Manchestermännern erzählte, zur Aus¬
führung gebracht hätte, das steht dahin.

Weiter rückwärts schreitend kommen wir zu der Schleswig-holsteinischen
Sache, die in den Krieg von 1866 auslief. Die Londoner Presse Pflegt heute
die Verantwortlichkeit für die damalige Haltung Englands dem verstorbenen
Palmerston aufzubürden und mag bei ihren Lesern, welche für die auswärtige
Politik ein erstaunlich kurzes Gedächtnis haben, Glauben finden. Allerdings
hat er 1853 mit der ihm eignen Insolenz erklärt, es sei das Geschäft Eng¬
lands, zu verhüten, daß die Herzogtümer von Dänemark getrennt würden; aber
alle seine Nachfolger im Auswärtigen Amte dachten ebenso, und die öffentliche
Meinung war einverstanden, weil sie Kiel nicht wollte zu einem deutschen
Kriegshafen werden sehen. In einer an die französische Negierung gerichteten
Depesche vom 24. Januar 1864 schreibt Lord John Russell: Ihrer Majestät
Regierung suche, um die Zerstückelung der dünischen Monarchie zu verhindern,
das Einverständnis und die Mitwirkung Frankreichs, Rußlands und Schwedens
nach, in der Absicht, Dänemark in seinem Widerstande, wenn nötig, materielle
Unterstützung zu gewähren. Einige Tage später wurde die englische Flotte
heimbeordert. Nachdem Louis Napoleon es nicht in seinem Interesse gefunden
hatte, in dieser Sache Waffenbrüderschaft mit England zu machen, lehnte zwar
Russell unter dem 19. Februar das Hilfsgesuch Dänemarks ab, Disraeli aber
stellte am 28. Juni den Antrag, Ihrer Majestät das große Bedauern des


Stammverwandtschaft und Waffenbrüderschaft mit England.

innerlich, wo die englische Regierung Frankreich zu Gefallen nicht nur eine
ausdrückliche Vorschrift des Völkerrechts verletzt, sondern auch ihren eignen
Hoheitsrechten etwas vergeben hat. Ein deutscher Kauffahrer wurde innerhalb
der englischen Hoheitsgrenze, dicht unter dem hohen Vorgebirge Veechy Head,
auf dem sich eine Küstenwache befindet, von einem französischen Kreuzer auf¬
gebracht. Man hat aber nie gehört, daß die Reklamationen der deutschen Ne¬
gierung, die doch sicher nicht ausgeblieben sind, einen Erfolg gehabt hätten.
Thatsache ist, daß die englische Negierung die französische nicht veranlaßt hat,
die auf englischem Gebiete gemachte Prise freizugeben. Portugal und Spanien
haben während jenes Krieges aus die Gefahr eines Konfliktes mit Frankreich
hin über Beobachtung des Völkerrechts und Achtung ihres Gebietes gewacht.
Als die alte und schwerfällige preußische Korvette „Arkona" von einem fran¬
zösischen Geschwader bis in die spanischen Gewässer vor Vigo verfolgt worden
war, legte der spanische Panzer „Numancia" sich vor das preußische Schiff.
Freilich fehlte es nicht an Sympathie einzelner; Thomas Carlyle erhob seine
mächtige Stimme für unsre gerechte Sache, und wie es die Gepflogenheit der
Parteiregieruug mit sich bringt, hatten die Toryblätter hin und wieder ein Wort
des Tadels für das damalige liberale Ministerium. Ob wir aber besser ge¬
fahren wären, wenn Veaconsfield am Ruder gewesen wäre und seinen Plan
einer intimen, neutralen, aber bewaffneten Allianz mit Rußland, von dem Gran-
ville 1878 einer Deputation von Manchestermännern erzählte, zur Aus¬
führung gebracht hätte, das steht dahin.

Weiter rückwärts schreitend kommen wir zu der Schleswig-holsteinischen
Sache, die in den Krieg von 1866 auslief. Die Londoner Presse Pflegt heute
die Verantwortlichkeit für die damalige Haltung Englands dem verstorbenen
Palmerston aufzubürden und mag bei ihren Lesern, welche für die auswärtige
Politik ein erstaunlich kurzes Gedächtnis haben, Glauben finden. Allerdings
hat er 1853 mit der ihm eignen Insolenz erklärt, es sei das Geschäft Eng¬
lands, zu verhüten, daß die Herzogtümer von Dänemark getrennt würden; aber
alle seine Nachfolger im Auswärtigen Amte dachten ebenso, und die öffentliche
Meinung war einverstanden, weil sie Kiel nicht wollte zu einem deutschen
Kriegshafen werden sehen. In einer an die französische Negierung gerichteten
Depesche vom 24. Januar 1864 schreibt Lord John Russell: Ihrer Majestät
Regierung suche, um die Zerstückelung der dünischen Monarchie zu verhindern,
das Einverständnis und die Mitwirkung Frankreichs, Rußlands und Schwedens
nach, in der Absicht, Dänemark in seinem Widerstande, wenn nötig, materielle
Unterstützung zu gewähren. Einige Tage später wurde die englische Flotte
heimbeordert. Nachdem Louis Napoleon es nicht in seinem Interesse gefunden
hatte, in dieser Sache Waffenbrüderschaft mit England zu machen, lehnte zwar
Russell unter dem 19. Februar das Hilfsgesuch Dänemarks ab, Disraeli aber
stellte am 28. Juni den Antrag, Ihrer Majestät das große Bedauern des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/555>, abgerufen am 28.05.2024.