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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Der Frümde in Rif.

nichts, daß Christjern I. alle Engländer und Jrländer, die ohne seine Erlaubnis
Handel trieben, für landflüchtig und friedlos erklärte; der Gewinn bei dem
Handel muß Wohl so groß gewesen sein, daß man um seinetwillen gern das
Leben wagte, das ja überall in jenen unruhigen Zeiten keinen besondern Wert
hatte. Auch lag das unglückliche Land so weit entfernt von allem Recht und
Gesetz, daß die Verordnungen der Könige eigentlich nichts waren als leere
Formeln.

Deswegen giebt uns die Geschichte Islands in jener Zeit ein deutliches
Bild der Verwirrung und der Ohnmacht den Fremden gegenüber, das den
Norden kennzeichnet: in Dänemark, Norwegen und Schweden trieben die Hanse¬
städte ihren Handel mit List und Gewalt, auf Island traten die Engländer
in ihre Fußspuren und erlaubten sich alle die Freiheiten, welche ihnen die Ent¬
legenheit der Insel gestattete.

Und deswegen sahen, wie immer, so auch jetzt, die Bewohner von Rif mit
den gemischtesten Gefühlen der Ankunft des fremden Schiffes entgegen, das
auf ihre Küste zusteuerte und offenbar ein Engländer war. Sie hatten freilich
noch mehr Grund als alle andern, die Engländer als Feinde zu betrachten;
war doch hier am Strande, in der nächsten Nähe von Rif, der Lehnsmann
des Königs, Björn Thorleifsson, vor ungefähr zehn Jahren von englischen
Seeleuten erschlagen worden, deren Übergriffe er zu verhindern gesucht hatte.
Ganz entbehren konnte man die Fremden jedoch auch nicht, denn jene Zeiten
waren längst entschwunden, wo die Isländer selber ihre Waaren über das
Meer geführt und andre dafür heimgebracht hatten. Deswegen fand man
, sich, wie hart es auch sein mochte, in das Unvermeidliche und beugte geduldig
den Nacken unter dem Joche.

Das ist Richard Burlington! Ich kenne das Fahrzeug an dem hohen
Vordermast! sagte einer der Männer zu den andern am Strande, während sich
der Engländer der Küste näherte.

Das ist ein wahres Glück! meinte ein zweiter. Er sucht wenigstens keinen
Streit und handelt ehrlich.

Ja, so ehrlich, wie ein Engländer handeln kann! erwiederte der erste.
Er hieß Thorbjörn, war hochbejahrt, trug aber trotzdem seine riesenhafte Gestalt
gerade und aufrecht. Traurig, daß es mit uns Jsländern so weit gekommen
ist, daß wir es dankbar anerkennen, wenn ein Fremder die Gesetze des Landes
ehrt! fuhr er schwermütig fort. Das war ein andrer Menschenschlag, der in
frühern Jahren hier gewohnt hat!

Das Klagelied haft du nachgerade oft genug gesungen, warf einer der
Männer ein.

Wohl möglich! versetzte Thorbjörn. Grund genug habe ich dazu gehabt.

Jetzt steuerte das Schiff in den natürlichen Hafen, der sich bei Rif dadurch
gebildet hat, daß sich eine schmale Klippe nach Osten hin im Bogen vorstreckt


Grcuzlwtm III. 1887. 7
Der Frümde in Rif.

nichts, daß Christjern I. alle Engländer und Jrländer, die ohne seine Erlaubnis
Handel trieben, für landflüchtig und friedlos erklärte; der Gewinn bei dem
Handel muß Wohl so groß gewesen sein, daß man um seinetwillen gern das
Leben wagte, das ja überall in jenen unruhigen Zeiten keinen besondern Wert
hatte. Auch lag das unglückliche Land so weit entfernt von allem Recht und
Gesetz, daß die Verordnungen der Könige eigentlich nichts waren als leere
Formeln.

Deswegen giebt uns die Geschichte Islands in jener Zeit ein deutliches
Bild der Verwirrung und der Ohnmacht den Fremden gegenüber, das den
Norden kennzeichnet: in Dänemark, Norwegen und Schweden trieben die Hanse¬
städte ihren Handel mit List und Gewalt, auf Island traten die Engländer
in ihre Fußspuren und erlaubten sich alle die Freiheiten, welche ihnen die Ent¬
legenheit der Insel gestattete.

Und deswegen sahen, wie immer, so auch jetzt, die Bewohner von Rif mit
den gemischtesten Gefühlen der Ankunft des fremden Schiffes entgegen, das
auf ihre Küste zusteuerte und offenbar ein Engländer war. Sie hatten freilich
noch mehr Grund als alle andern, die Engländer als Feinde zu betrachten;
war doch hier am Strande, in der nächsten Nähe von Rif, der Lehnsmann
des Königs, Björn Thorleifsson, vor ungefähr zehn Jahren von englischen
Seeleuten erschlagen worden, deren Übergriffe er zu verhindern gesucht hatte.
Ganz entbehren konnte man die Fremden jedoch auch nicht, denn jene Zeiten
waren längst entschwunden, wo die Isländer selber ihre Waaren über das
Meer geführt und andre dafür heimgebracht hatten. Deswegen fand man
, sich, wie hart es auch sein mochte, in das Unvermeidliche und beugte geduldig
den Nacken unter dem Joche.

Das ist Richard Burlington! Ich kenne das Fahrzeug an dem hohen
Vordermast! sagte einer der Männer zu den andern am Strande, während sich
der Engländer der Küste näherte.

Das ist ein wahres Glück! meinte ein zweiter. Er sucht wenigstens keinen
Streit und handelt ehrlich.

Ja, so ehrlich, wie ein Engländer handeln kann! erwiederte der erste.
Er hieß Thorbjörn, war hochbejahrt, trug aber trotzdem seine riesenhafte Gestalt
gerade und aufrecht. Traurig, daß es mit uns Jsländern so weit gekommen
ist, daß wir es dankbar anerkennen, wenn ein Fremder die Gesetze des Landes
ehrt! fuhr er schwermütig fort. Das war ein andrer Menschenschlag, der in
frühern Jahren hier gewohnt hat!

Das Klagelied haft du nachgerade oft genug gesungen, warf einer der
Männer ein.

Wohl möglich! versetzte Thorbjörn. Grund genug habe ich dazu gehabt.

Jetzt steuerte das Schiff in den natürlichen Hafen, der sich bei Rif dadurch
gebildet hat, daß sich eine schmale Klippe nach Osten hin im Bogen vorstreckt


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[0057] Der Frümde in Rif. nichts, daß Christjern I. alle Engländer und Jrländer, die ohne seine Erlaubnis Handel trieben, für landflüchtig und friedlos erklärte; der Gewinn bei dem Handel muß Wohl so groß gewesen sein, daß man um seinetwillen gern das Leben wagte, das ja überall in jenen unruhigen Zeiten keinen besondern Wert hatte. Auch lag das unglückliche Land so weit entfernt von allem Recht und Gesetz, daß die Verordnungen der Könige eigentlich nichts waren als leere Formeln. Deswegen giebt uns die Geschichte Islands in jener Zeit ein deutliches Bild der Verwirrung und der Ohnmacht den Fremden gegenüber, das den Norden kennzeichnet: in Dänemark, Norwegen und Schweden trieben die Hanse¬ städte ihren Handel mit List und Gewalt, auf Island traten die Engländer in ihre Fußspuren und erlaubten sich alle die Freiheiten, welche ihnen die Ent¬ legenheit der Insel gestattete. Und deswegen sahen, wie immer, so auch jetzt, die Bewohner von Rif mit den gemischtesten Gefühlen der Ankunft des fremden Schiffes entgegen, das auf ihre Küste zusteuerte und offenbar ein Engländer war. Sie hatten freilich noch mehr Grund als alle andern, die Engländer als Feinde zu betrachten; war doch hier am Strande, in der nächsten Nähe von Rif, der Lehnsmann des Königs, Björn Thorleifsson, vor ungefähr zehn Jahren von englischen Seeleuten erschlagen worden, deren Übergriffe er zu verhindern gesucht hatte. Ganz entbehren konnte man die Fremden jedoch auch nicht, denn jene Zeiten waren längst entschwunden, wo die Isländer selber ihre Waaren über das Meer geführt und andre dafür heimgebracht hatten. Deswegen fand man , sich, wie hart es auch sein mochte, in das Unvermeidliche und beugte geduldig den Nacken unter dem Joche. Das ist Richard Burlington! Ich kenne das Fahrzeug an dem hohen Vordermast! sagte einer der Männer zu den andern am Strande, während sich der Engländer der Küste näherte. Das ist ein wahres Glück! meinte ein zweiter. Er sucht wenigstens keinen Streit und handelt ehrlich. Ja, so ehrlich, wie ein Engländer handeln kann! erwiederte der erste. Er hieß Thorbjörn, war hochbejahrt, trug aber trotzdem seine riesenhafte Gestalt gerade und aufrecht. Traurig, daß es mit uns Jsländern so weit gekommen ist, daß wir es dankbar anerkennen, wenn ein Fremder die Gesetze des Landes ehrt! fuhr er schwermütig fort. Das war ein andrer Menschenschlag, der in frühern Jahren hier gewohnt hat! Das Klagelied haft du nachgerade oft genug gesungen, warf einer der Männer ein. Wohl möglich! versetzte Thorbjörn. Grund genug habe ich dazu gehabt. Jetzt steuerte das Schiff in den natürlichen Hafen, der sich bei Rif dadurch gebildet hat, daß sich eine schmale Klippe nach Osten hin im Bogen vorstreckt Grcuzlwtm III. 1887. 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/57>, abgerufen am 13.05.2024.