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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die akademische Kunstausstellung in Berlin.

Wir sagten oben, haß sich die Grundsätze der von der philosophischen Be¬
trachtung der Dinge abgeleiteten Ästhetik nicht mehr aufrecht erhalten lassen;
denn die Entwicklung der neuere" Kunst hat ihre Vorschriften umgestoßen. Aber
ebenso wenig ist der Satz der Naturalisten -- in der bildenden Kunst wie in
der Literatur --, daß alles, was in Wirklichkeit vorhanden ist, auch darstellbar
sei, als unumstößlicher Grundsatz, etwa als Ausgangspunkt zu einer modernen,
praktischen Ästhetik anzuerkennen. Abgesehen von dem obigen Beispiel, das eine
Menge ähnlicher in sich schließt, würden wir diesem ersten Satze, der Allgemein-
giltiges verkünden soll, sofort eine lange Reihe von Ausuahmevorschriften folgen
lassen müssep. Und eine dieser Vorschriften würde sich auch gegen das Bild
von Neuhaus richten, welches uns den Anlaß zu dschau Erörterungen gegeben
hat. Das. was der Künstler dargestellt hat, ist in der That nicht wert, mit
einem so großen Aufwande von Mitteln in eine malerische Erscheinungsform
gebracht zu werden. Der Bedeutung dessen, was der Künstler zu sagen hat,
insbesondre dem geistigen Inhalte seines Bildes würde es vollkommen entsprechen,
wenn er ungefähr deu vierten Teil der von ihm aufgewendeten Leinwandfläche
verbraucht hätte. Dieser Wunsch ist berechtigt und seine Begründung ein¬
leuchtend. Hören wir aber die Gegengründe. Unter der Voraussetzung, daß
der namentlich angeführte Künstler des Wortes oder der Schrift genügend
mächtig wäre, würde er folgendes erwiedern: "Ich male so groß, um die neue
Malweise in dem größten, für Staffeleibilder zulässigen Maßstabe zu erproben.
Ich gehe -- nach einer Reihe von Vorstudien -- auf das Ganze, um über¬
haupt zu sehen, wie weit man mit der neuen Lehre kommt. Den Stoff hat
mir die Wirklichkeit, eine zufällige Beobachtung geboten, und da er mir ebenso
wertvoll erscheint, wie viele andre, so habe ich ihn gewählt, um zu zeigen, daß
wir Deutsche lebensgroße Figuren in freier Luft ebenso gut malen können wie
die Franzosen, ebenso trivial, aber auch ebenso lebenswahr. Und wenn ihr
Kritiker und du Publikum, welches sich uicht vom Alten losmachen kann, wirk¬
lich mein Bild verdammt oder gleichgiltig an ihm vorübergeht, wißt ihr denn,
was ich mit dieser Arbeit bezwecke? Ich strebe nach höhere" Zielen, ich will
mich für die monumentale Malerei ausbilden und fange daher mit Elemeutar-
übungen vor der gemeinen Natur an, um die völlige Herrschaft über die große
Form zu gewinnen und alsdann von der gemeinen, zufälligen Wirklichkeit zum
Ideal emporzubringen." Die Entwicklung der neuern Kunst hat uns gelehrt,
daß wir diese Begründung als äußerst triftig anerkennen müssen. Die Corne-
licmer und die Nazarener haben die schönsten, edelsten und großartigsten Ge¬
danken gehabt, sie haben das Komponiren aus dem Grunde verstanden, sie haben
Hände, Füße und Köpfe mit wunderbarer Feinheit gezeichnet, bisweilen so rea¬
listisch und überzeugend wahr, daß man vor ihren Gemälden an Selbstver¬
leugnung denken muß. Sobald sie aber vor einer zu füllenden Mauer oder
einer zu bemalenden Leinwand standen, waren sie von allen guten Geistern


Die akademische Kunstausstellung in Berlin.

Wir sagten oben, haß sich die Grundsätze der von der philosophischen Be¬
trachtung der Dinge abgeleiteten Ästhetik nicht mehr aufrecht erhalten lassen;
denn die Entwicklung der neuere» Kunst hat ihre Vorschriften umgestoßen. Aber
ebenso wenig ist der Satz der Naturalisten — in der bildenden Kunst wie in
der Literatur —, daß alles, was in Wirklichkeit vorhanden ist, auch darstellbar
sei, als unumstößlicher Grundsatz, etwa als Ausgangspunkt zu einer modernen,
praktischen Ästhetik anzuerkennen. Abgesehen von dem obigen Beispiel, das eine
Menge ähnlicher in sich schließt, würden wir diesem ersten Satze, der Allgemein-
giltiges verkünden soll, sofort eine lange Reihe von Ausuahmevorschriften folgen
lassen müssep. Und eine dieser Vorschriften würde sich auch gegen das Bild
von Neuhaus richten, welches uns den Anlaß zu dschau Erörterungen gegeben
hat. Das. was der Künstler dargestellt hat, ist in der That nicht wert, mit
einem so großen Aufwande von Mitteln in eine malerische Erscheinungsform
gebracht zu werden. Der Bedeutung dessen, was der Künstler zu sagen hat,
insbesondre dem geistigen Inhalte seines Bildes würde es vollkommen entsprechen,
wenn er ungefähr deu vierten Teil der von ihm aufgewendeten Leinwandfläche
verbraucht hätte. Dieser Wunsch ist berechtigt und seine Begründung ein¬
leuchtend. Hören wir aber die Gegengründe. Unter der Voraussetzung, daß
der namentlich angeführte Künstler des Wortes oder der Schrift genügend
mächtig wäre, würde er folgendes erwiedern: „Ich male so groß, um die neue
Malweise in dem größten, für Staffeleibilder zulässigen Maßstabe zu erproben.
Ich gehe — nach einer Reihe von Vorstudien — auf das Ganze, um über¬
haupt zu sehen, wie weit man mit der neuen Lehre kommt. Den Stoff hat
mir die Wirklichkeit, eine zufällige Beobachtung geboten, und da er mir ebenso
wertvoll erscheint, wie viele andre, so habe ich ihn gewählt, um zu zeigen, daß
wir Deutsche lebensgroße Figuren in freier Luft ebenso gut malen können wie
die Franzosen, ebenso trivial, aber auch ebenso lebenswahr. Und wenn ihr
Kritiker und du Publikum, welches sich uicht vom Alten losmachen kann, wirk¬
lich mein Bild verdammt oder gleichgiltig an ihm vorübergeht, wißt ihr denn,
was ich mit dieser Arbeit bezwecke? Ich strebe nach höhere» Zielen, ich will
mich für die monumentale Malerei ausbilden und fange daher mit Elemeutar-
übungen vor der gemeinen Natur an, um die völlige Herrschaft über die große
Form zu gewinnen und alsdann von der gemeinen, zufälligen Wirklichkeit zum
Ideal emporzubringen." Die Entwicklung der neuern Kunst hat uns gelehrt,
daß wir diese Begründung als äußerst triftig anerkennen müssen. Die Corne-
licmer und die Nazarener haben die schönsten, edelsten und großartigsten Ge¬
danken gehabt, sie haben das Komponiren aus dem Grunde verstanden, sie haben
Hände, Füße und Köpfe mit wunderbarer Feinheit gezeichnet, bisweilen so rea¬
listisch und überzeugend wahr, daß man vor ihren Gemälden an Selbstver¬
leugnung denken muß. Sobald sie aber vor einer zu füllenden Mauer oder
einer zu bemalenden Leinwand standen, waren sie von allen guten Geistern


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[0588] Die akademische Kunstausstellung in Berlin. Wir sagten oben, haß sich die Grundsätze der von der philosophischen Be¬ trachtung der Dinge abgeleiteten Ästhetik nicht mehr aufrecht erhalten lassen; denn die Entwicklung der neuere» Kunst hat ihre Vorschriften umgestoßen. Aber ebenso wenig ist der Satz der Naturalisten — in der bildenden Kunst wie in der Literatur —, daß alles, was in Wirklichkeit vorhanden ist, auch darstellbar sei, als unumstößlicher Grundsatz, etwa als Ausgangspunkt zu einer modernen, praktischen Ästhetik anzuerkennen. Abgesehen von dem obigen Beispiel, das eine Menge ähnlicher in sich schließt, würden wir diesem ersten Satze, der Allgemein- giltiges verkünden soll, sofort eine lange Reihe von Ausuahmevorschriften folgen lassen müssep. Und eine dieser Vorschriften würde sich auch gegen das Bild von Neuhaus richten, welches uns den Anlaß zu dschau Erörterungen gegeben hat. Das. was der Künstler dargestellt hat, ist in der That nicht wert, mit einem so großen Aufwande von Mitteln in eine malerische Erscheinungsform gebracht zu werden. Der Bedeutung dessen, was der Künstler zu sagen hat, insbesondre dem geistigen Inhalte seines Bildes würde es vollkommen entsprechen, wenn er ungefähr deu vierten Teil der von ihm aufgewendeten Leinwandfläche verbraucht hätte. Dieser Wunsch ist berechtigt und seine Begründung ein¬ leuchtend. Hören wir aber die Gegengründe. Unter der Voraussetzung, daß der namentlich angeführte Künstler des Wortes oder der Schrift genügend mächtig wäre, würde er folgendes erwiedern: „Ich male so groß, um die neue Malweise in dem größten, für Staffeleibilder zulässigen Maßstabe zu erproben. Ich gehe — nach einer Reihe von Vorstudien — auf das Ganze, um über¬ haupt zu sehen, wie weit man mit der neuen Lehre kommt. Den Stoff hat mir die Wirklichkeit, eine zufällige Beobachtung geboten, und da er mir ebenso wertvoll erscheint, wie viele andre, so habe ich ihn gewählt, um zu zeigen, daß wir Deutsche lebensgroße Figuren in freier Luft ebenso gut malen können wie die Franzosen, ebenso trivial, aber auch ebenso lebenswahr. Und wenn ihr Kritiker und du Publikum, welches sich uicht vom Alten losmachen kann, wirk¬ lich mein Bild verdammt oder gleichgiltig an ihm vorübergeht, wißt ihr denn, was ich mit dieser Arbeit bezwecke? Ich strebe nach höhere» Zielen, ich will mich für die monumentale Malerei ausbilden und fange daher mit Elemeutar- übungen vor der gemeinen Natur an, um die völlige Herrschaft über die große Form zu gewinnen und alsdann von der gemeinen, zufälligen Wirklichkeit zum Ideal emporzubringen." Die Entwicklung der neuern Kunst hat uns gelehrt, daß wir diese Begründung als äußerst triftig anerkennen müssen. Die Corne- licmer und die Nazarener haben die schönsten, edelsten und großartigsten Ge¬ danken gehabt, sie haben das Komponiren aus dem Grunde verstanden, sie haben Hände, Füße und Köpfe mit wunderbarer Feinheit gezeichnet, bisweilen so rea¬ listisch und überzeugend wahr, daß man vor ihren Gemälden an Selbstver¬ leugnung denken muß. Sobald sie aber vor einer zu füllenden Mauer oder einer zu bemalenden Leinwand standen, waren sie von allen guten Geistern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/588>, abgerufen am 28.05.2024.