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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die akademische Kunstausstellung in Berlin.

der von ihm eingeführten und mit so viel Ernst verteidigten Übertragung der
christlichen Heilslehre auf moderne Verhältnisse treu geblieben. Sein Heiland
ist immer "mitten unter uns." So hat er sich auch auf einer Bank, die auf
einem Hügel über dem Dorfe steht, niedergelassen, um die Abendzeit, wo die
Landleute von der Heuernte heimkehren. Abbe ist bei seinem einmal aufgestellten
Typus geblieben: ein hagerer Mann in langer, schmutzig blauer Tunika, mit
bloßen Füßen und rötlichen, schlicht geglätteten Haar und Bart. Man kann
sich, je nach seinem persönlichen Empfinden, ablehnend oder zustimmend zu dieser
Auffassung Verhalten; aber man wird ihr wenigstens nicht die Originalität
abstreiten können. Wie die Landleute an dem Heiland vorübergehen, hat er
den einen angeredet, die folgenden sind stehen geblieben, und so hat sich eine
ganze Schar gesammelt, welche mit Andacht den Worten des Lehrers lauscht.
Die vordersten, Frauen und Mädchen, sind niedergekniet, und Greise wie junge
Burschen haben Hüte und Mützen abgenommen. Die Wirkung, welche die
Worte des Heilands ans seine Hörer machen, ist sehr energisch und überzeugend
zur Anschauung gebracht. Was die schlichten Menschen hören, dringt ihnen
offenbar zu Herzen, und daß sie "geistlich arm" sind, geht auch unzweideutig
aus ihren Mienen hervor. Ist es aber unumgänglich nötig, daß mit dem
Begriff des "geistlich Armen" auch der des Anmutslosen und Häßlichen ver¬
bunden sei? Es ist ja richtig, daß in dieser unvollkommenen Welt die Hä߬
lichen zahlreicher sind als die Hübschen, und daß namentlich "Schön" ein Begriff
ist, über den unter den Menschen schlechterdings keine Einigung zu erzielen ist.
Wenn aber jemand dem Anmutigen so beharrlich aus dem Wege geht wie Abbe,
Kenn er auch die Jugend stets zur Trägerin des Häßlichen macht, so wird das
Streben nach Wahrheit zur Einseitigkeit und zur eigensinnigen, rücksichtslosen
Rechthaberei. Fritz- von Abbe besitzt einen zu starken künstlerischen Zug, als
de>ß er dies nicht mit der Zeit einsehen sollte. Für jetzt mögen ihn die rein
malerischen Probleme noch zu sehr beschäftigen, und es darf nicht verschwiegen
werden, daß auf dem neuesten Bilde die Figuren noch zu fest an einander
s'hen und vom Hintergründe nicht weit genug losgehen, daß die Beleuchtung
unverständlich ist, und daß die Lufttöue eine viel feinere Durchbildung vertragen
können. Trotzdem sind überall die Spuren eines kräftigen Talents sichtbar,
Elches sich unzweifelhaft in nicht zu ferner Zeit bis zur völligen Klarheit hin-
°urchringen muß.

Die Malerei ist es ans unsrer Ausstellung uicht allein, welche eine
^e"ge von Grundfragen anregt. Auch die plastische Kunst sucht, von dem
')rgeiz getrieben, der Natur noch näher zu kommen, nach neuen Darstellungs-
m/^"' ^" Formengebung war sie schon eher naturalistisch als die
lnlerci. Nun will sie auch die Farbe in ihren Bereich ziehen, und da gilt
^, die äußerste feine Grenzlinie zu finden, welche die frei schaffende Kunst von
^ mechanischen Wachsbildnerei trennt, und bei der Übernahme der Farbe sich


Die akademische Kunstausstellung in Berlin.

der von ihm eingeführten und mit so viel Ernst verteidigten Übertragung der
christlichen Heilslehre auf moderne Verhältnisse treu geblieben. Sein Heiland
ist immer „mitten unter uns." So hat er sich auch auf einer Bank, die auf
einem Hügel über dem Dorfe steht, niedergelassen, um die Abendzeit, wo die
Landleute von der Heuernte heimkehren. Abbe ist bei seinem einmal aufgestellten
Typus geblieben: ein hagerer Mann in langer, schmutzig blauer Tunika, mit
bloßen Füßen und rötlichen, schlicht geglätteten Haar und Bart. Man kann
sich, je nach seinem persönlichen Empfinden, ablehnend oder zustimmend zu dieser
Auffassung Verhalten; aber man wird ihr wenigstens nicht die Originalität
abstreiten können. Wie die Landleute an dem Heiland vorübergehen, hat er
den einen angeredet, die folgenden sind stehen geblieben, und so hat sich eine
ganze Schar gesammelt, welche mit Andacht den Worten des Lehrers lauscht.
Die vordersten, Frauen und Mädchen, sind niedergekniet, und Greise wie junge
Burschen haben Hüte und Mützen abgenommen. Die Wirkung, welche die
Worte des Heilands ans seine Hörer machen, ist sehr energisch und überzeugend
zur Anschauung gebracht. Was die schlichten Menschen hören, dringt ihnen
offenbar zu Herzen, und daß sie „geistlich arm" sind, geht auch unzweideutig
aus ihren Mienen hervor. Ist es aber unumgänglich nötig, daß mit dem
Begriff des „geistlich Armen" auch der des Anmutslosen und Häßlichen ver¬
bunden sei? Es ist ja richtig, daß in dieser unvollkommenen Welt die Hä߬
lichen zahlreicher sind als die Hübschen, und daß namentlich „Schön" ein Begriff
ist, über den unter den Menschen schlechterdings keine Einigung zu erzielen ist.
Wenn aber jemand dem Anmutigen so beharrlich aus dem Wege geht wie Abbe,
Kenn er auch die Jugend stets zur Trägerin des Häßlichen macht, so wird das
Streben nach Wahrheit zur Einseitigkeit und zur eigensinnigen, rücksichtslosen
Rechthaberei. Fritz- von Abbe besitzt einen zu starken künstlerischen Zug, als
de>ß er dies nicht mit der Zeit einsehen sollte. Für jetzt mögen ihn die rein
malerischen Probleme noch zu sehr beschäftigen, und es darf nicht verschwiegen
werden, daß auf dem neuesten Bilde die Figuren noch zu fest an einander
s'hen und vom Hintergründe nicht weit genug losgehen, daß die Beleuchtung
unverständlich ist, und daß die Lufttöue eine viel feinere Durchbildung vertragen
können. Trotzdem sind überall die Spuren eines kräftigen Talents sichtbar,
Elches sich unzweifelhaft in nicht zu ferner Zeit bis zur völligen Klarheit hin-
°urchringen muß.

Die Malerei ist es ans unsrer Ausstellung uicht allein, welche eine
^e»ge von Grundfragen anregt. Auch die plastische Kunst sucht, von dem
')rgeiz getrieben, der Natur noch näher zu kommen, nach neuen Darstellungs-
m/^"' ^" Formengebung war sie schon eher naturalistisch als die
lnlerci. Nun will sie auch die Farbe in ihren Bereich ziehen, und da gilt
^, die äußerste feine Grenzlinie zu finden, welche die frei schaffende Kunst von
^ mechanischen Wachsbildnerei trennt, und bei der Übernahme der Farbe sich


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[0595] Die akademische Kunstausstellung in Berlin. der von ihm eingeführten und mit so viel Ernst verteidigten Übertragung der christlichen Heilslehre auf moderne Verhältnisse treu geblieben. Sein Heiland ist immer „mitten unter uns." So hat er sich auch auf einer Bank, die auf einem Hügel über dem Dorfe steht, niedergelassen, um die Abendzeit, wo die Landleute von der Heuernte heimkehren. Abbe ist bei seinem einmal aufgestellten Typus geblieben: ein hagerer Mann in langer, schmutzig blauer Tunika, mit bloßen Füßen und rötlichen, schlicht geglätteten Haar und Bart. Man kann sich, je nach seinem persönlichen Empfinden, ablehnend oder zustimmend zu dieser Auffassung Verhalten; aber man wird ihr wenigstens nicht die Originalität abstreiten können. Wie die Landleute an dem Heiland vorübergehen, hat er den einen angeredet, die folgenden sind stehen geblieben, und so hat sich eine ganze Schar gesammelt, welche mit Andacht den Worten des Lehrers lauscht. Die vordersten, Frauen und Mädchen, sind niedergekniet, und Greise wie junge Burschen haben Hüte und Mützen abgenommen. Die Wirkung, welche die Worte des Heilands ans seine Hörer machen, ist sehr energisch und überzeugend zur Anschauung gebracht. Was die schlichten Menschen hören, dringt ihnen offenbar zu Herzen, und daß sie „geistlich arm" sind, geht auch unzweideutig aus ihren Mienen hervor. Ist es aber unumgänglich nötig, daß mit dem Begriff des „geistlich Armen" auch der des Anmutslosen und Häßlichen ver¬ bunden sei? Es ist ja richtig, daß in dieser unvollkommenen Welt die Hä߬ lichen zahlreicher sind als die Hübschen, und daß namentlich „Schön" ein Begriff ist, über den unter den Menschen schlechterdings keine Einigung zu erzielen ist. Wenn aber jemand dem Anmutigen so beharrlich aus dem Wege geht wie Abbe, Kenn er auch die Jugend stets zur Trägerin des Häßlichen macht, so wird das Streben nach Wahrheit zur Einseitigkeit und zur eigensinnigen, rücksichtslosen Rechthaberei. Fritz- von Abbe besitzt einen zu starken künstlerischen Zug, als de>ß er dies nicht mit der Zeit einsehen sollte. Für jetzt mögen ihn die rein malerischen Probleme noch zu sehr beschäftigen, und es darf nicht verschwiegen werden, daß auf dem neuesten Bilde die Figuren noch zu fest an einander s'hen und vom Hintergründe nicht weit genug losgehen, daß die Beleuchtung unverständlich ist, und daß die Lufttöue eine viel feinere Durchbildung vertragen können. Trotzdem sind überall die Spuren eines kräftigen Talents sichtbar, Elches sich unzweifelhaft in nicht zu ferner Zeit bis zur völligen Klarheit hin- °urchringen muß. Die Malerei ist es ans unsrer Ausstellung uicht allein, welche eine ^e»ge von Grundfragen anregt. Auch die plastische Kunst sucht, von dem ')rgeiz getrieben, der Natur noch näher zu kommen, nach neuen Darstellungs- m/^"' ^" Formengebung war sie schon eher naturalistisch als die lnlerci. Nun will sie auch die Farbe in ihren Bereich ziehen, und da gilt ^, die äußerste feine Grenzlinie zu finden, welche die frei schaffende Kunst von ^ mechanischen Wachsbildnerei trennt, und bei der Übernahme der Farbe sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/595>, abgerufen am 16.05.2024.