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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Der Fremde in Rif.

griffen von dem großartigen Anblick und richtete einige Worte der Bewunderung
an seinen Begleiter. Dieser aber, dem die Aussicht etwas alltägliches war, und der
eine zu tiefe Verachtung von der Gegend empfand, in der er zu leben verdammt
war, ging nicht ans die Äußerungen des Fremden ein. Endlich erreichte man
Jngjaldshol. Sira John bezeichnete mit einem Achselzucken und einem halb
mitleidigen Lächeln den Pfarrhof als seine Wohnung und bat Sir Dove ein¬
zutreten. Er führte ihn ins Wohnzimmer mit der Bitte, es sich so bequem
wie möglich zu machen, und verließ ihn dann, um, wie er sagte, für einen
Imbiß zu sorgen, in Wirklichkeit aber, um mit Thorbjörn zu spreche".

Der alte Thorbjörn, der am verflossenen Tage das englische Schiff schon
von weitem erkannt und der seinem Unwillen gegen die Fremden Luft gemacht
hatte, war der Hausgenosse des Predigers. Obwohl er einem alten, rühmlich
bekannten Geschlecht entstammte, hatte er doch in seinen jungen Jahren lange
Reisen mit ausländischen Schiffen gemacht, etwas, was die Isländer im all¬
gemeinen nicht zu thun Pflegen. Als er älter geworden war, ließ er sich in
der Heimat nieder, und als Sira John Prediger in Jngjaldshol und Froddaa
wurde und im Anfang kein isländisches Wort verstand, da trat Thorbjörn
trotz seines Fremdenhasses als Dolmetscher zwischen ihm und den Bewohnern
der Insel ans. Er nahm seinen Aufenthalt im Pfarrhofe, anfänglich nur für eine
kurze Zeit; aber er und Sira John konnten einander, trotz der Verschiedenheit
ihrer Naturen, ihrer Bildung und ihrer Interessen, nicht mehr entbehren, und so
war es denn ganz selbstverständlich, daß Thorbjörn für immer dort blieb. Jetzt
besorgte er die Wirtschaft und nahm dem Prediger alle weltlichen Geschäfte ab,
die dessen Beruf mit sich brachte. Die langen Winterabende verflossen beiden
verhältnismäßig schnell, denn Thorbjörn erzählte dann von seinen Reisen und
von all dem Merkwürdigen, was er erlebt und gesehen hatte, Sira John teilte
ihm alles mit, was er gelesen und studirt hatte, ja er lehrte ihm sogar so
viel Latein, daß sich der Alte auf eigne Hand mit einem leichteren Schriftsteller
beschäftigen konnte.

Im übrigen hatte Thorbjörn nnr wenig Verkehr, und Verwandte besaß
er nicht. Er unternahm oft lange, einsame Wanderungen, und man konnte
ihn an der Küste sitzen und auf das Meer hinausstcirrcn sehen, aber er war ver¬
schlossen und wortkarg. Sprach er einmal, so war es sicher, um zu beklagen,
daß die Gegenwart so entartet sei, daß ein so jämmerliches Geschlecht die Insel
bevölkere. Das mochte natürlich niemand hören, und trotzdem war Thorbjörn,
wenn auch nicht beliebt, so doch allgemein geachtet; selbst wenn man ihm nicht
einräumen wollte, daß er im Grunde Recht habe, mußte man doch Ehrfurcht
vor ihm empfinden, der so die Größe der entschwundenen Zeit in Ehren hielt
und sie gleichsam vergegenwärtigte; und dann war man allgemein der Ansicht,
daß Thorbjörn entweder einen großen Kummer erlitten habe oder über ein Ge¬
heimnis brüte, das alle seine Gedanken in Anspruch nehme.


Der Fremde in Rif.

griffen von dem großartigen Anblick und richtete einige Worte der Bewunderung
an seinen Begleiter. Dieser aber, dem die Aussicht etwas alltägliches war, und der
eine zu tiefe Verachtung von der Gegend empfand, in der er zu leben verdammt
war, ging nicht ans die Äußerungen des Fremden ein. Endlich erreichte man
Jngjaldshol. Sira John bezeichnete mit einem Achselzucken und einem halb
mitleidigen Lächeln den Pfarrhof als seine Wohnung und bat Sir Dove ein¬
zutreten. Er führte ihn ins Wohnzimmer mit der Bitte, es sich so bequem
wie möglich zu machen, und verließ ihn dann, um, wie er sagte, für einen
Imbiß zu sorgen, in Wirklichkeit aber, um mit Thorbjörn zu spreche».

Der alte Thorbjörn, der am verflossenen Tage das englische Schiff schon
von weitem erkannt und der seinem Unwillen gegen die Fremden Luft gemacht
hatte, war der Hausgenosse des Predigers. Obwohl er einem alten, rühmlich
bekannten Geschlecht entstammte, hatte er doch in seinen jungen Jahren lange
Reisen mit ausländischen Schiffen gemacht, etwas, was die Isländer im all¬
gemeinen nicht zu thun Pflegen. Als er älter geworden war, ließ er sich in
der Heimat nieder, und als Sira John Prediger in Jngjaldshol und Froddaa
wurde und im Anfang kein isländisches Wort verstand, da trat Thorbjörn
trotz seines Fremdenhasses als Dolmetscher zwischen ihm und den Bewohnern
der Insel ans. Er nahm seinen Aufenthalt im Pfarrhofe, anfänglich nur für eine
kurze Zeit; aber er und Sira John konnten einander, trotz der Verschiedenheit
ihrer Naturen, ihrer Bildung und ihrer Interessen, nicht mehr entbehren, und so
war es denn ganz selbstverständlich, daß Thorbjörn für immer dort blieb. Jetzt
besorgte er die Wirtschaft und nahm dem Prediger alle weltlichen Geschäfte ab,
die dessen Beruf mit sich brachte. Die langen Winterabende verflossen beiden
verhältnismäßig schnell, denn Thorbjörn erzählte dann von seinen Reisen und
von all dem Merkwürdigen, was er erlebt und gesehen hatte, Sira John teilte
ihm alles mit, was er gelesen und studirt hatte, ja er lehrte ihm sogar so
viel Latein, daß sich der Alte auf eigne Hand mit einem leichteren Schriftsteller
beschäftigen konnte.

Im übrigen hatte Thorbjörn nnr wenig Verkehr, und Verwandte besaß
er nicht. Er unternahm oft lange, einsame Wanderungen, und man konnte
ihn an der Küste sitzen und auf das Meer hinausstcirrcn sehen, aber er war ver¬
schlossen und wortkarg. Sprach er einmal, so war es sicher, um zu beklagen,
daß die Gegenwart so entartet sei, daß ein so jämmerliches Geschlecht die Insel
bevölkere. Das mochte natürlich niemand hören, und trotzdem war Thorbjörn,
wenn auch nicht beliebt, so doch allgemein geachtet; selbst wenn man ihm nicht
einräumen wollte, daß er im Grunde Recht habe, mußte man doch Ehrfurcht
vor ihm empfinden, der so die Größe der entschwundenen Zeit in Ehren hielt
und sie gleichsam vergegenwärtigte; und dann war man allgemein der Ansicht,
daß Thorbjörn entweder einen großen Kummer erlitten habe oder über ein Ge¬
heimnis brüte, das alle seine Gedanken in Anspruch nehme.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/60>, abgerufen am 16.05.2024.