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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Englische Feldherren.

Zwischenzeit vernichtet worden sein, zumal da sie durch Wolseleys Sorglosigkeit
und Versäumnis dem Hunger und dem Sonnenstich ausgesetzt waren. Die
Ägypter ließen sich dann bei Mahsame von der englischen Kavallerie überfallen
und zersprengen, aber da es an Transportmitteln fehlte, konnte man die hier
erbeuteten Vorräte nicht nach Mahuta schaffen, und so mußte Wolseley bis
Kassasin vorgehen, und dadurch wurde sein Heer so verzettelt, daß der ganze
Aufmarsch in der Luft hing und ein energischer Gegner die einzelnen Abteilungen
desselben leicht hätte schlagen können. Hätte ein europäischer General die
Ägypter geführt, so wäre Wolseleys Streitmacht vom 28. August bis zum
1. September in dieser Vereinzelung wahrscheinlich aufgerieben worden. Nur
die Standhaftigkeit der englischen Infanterie und der ungestüme Mut der
Reiterei Lowes retteten bei Kassasin die Truppen Gradaus, als Arabi sie mit
Übermacht angriff, und errangen einen Sieg, der aber immerhin dem Korps
einen Verlust von etwa 200 Mann, einem Zehntel seiner Stärke, kostete. Am
29. August verfügte Wolseley über 25 300 Mann, aber statt mit ihnen sofort
gegen Arabis Stellung bei Tel El Kebir zu marschiren, blieb er mehrere Tage
unthätig und wartete Verstärkungen ab, wodurch die Ägypter Zeit erhielten,
sich bei jenem Orte besser zu verschanzen. Auch als die dritte Brigade von
Alexandrien angelangt war und Wolseley 28 500 Mann beisammen hatte, blieb
er noch stehen, bis die letzten Inder ankamen. Dabei verzettelte er seine Truppen
noch mehr als zuvor, und wieder hätte Arabi dies zu Handstreichen gegen die
einzelnen Abteilungen benutzen können. Er that dies nnr einmal, gegen den bei
Kassasin stehenden Graham, der sich von ihm mit Artillerie (wie die Franzosen bei
Beaumont) überfallen und mit Granaten überschütten ließ. Zum Glück für ihn
war die ägyptische Infanterie weniger rasch und kühn, und so gelang es den
Engländern, sich zu ordnen und dem Gegner schließlich eine Niederlage bei¬
zubringen. Erst am 12. September ging Wolseley zur Einnahme der doppelten
Schanzenreihe von Tel El Kebir vor, wobei er zwei Divisionen nördlich, die
dritte südlich vom Kanal marschiren ließ -- eine Zersplitterung, die ein geschickter
und entschlossener Gegner sicher benutzt haben würde, wenn er Truppen genug
gehabt hätte. Arabi war weder geschickt noch entschlossen, auch war Wolseley
ihm jetzt um wenigstens 3000 Mann überlegen, und so glückte der Angriff der
Engländer. Ein Teil der Ägypter war schon vorher davongelaufen, die andern
ließen sich in den ersten Schanzen überraschen, der Rest focht nur matt und er¬
griff bald ebenfalls die Flucht. Damit war der Feldzug zu Ende. Wolseley
hatte bewiesen, daß er etwas weniger unfähig als Arabi war, und daß er
bessere Soldaten zur Verfügung hatte als dieser, das war alles. Ruhm erwarb
er sich nur in den Londoner Zeitungen, nicht für die Geschichte.

Noch weniger mit Ruhm bedeckt als durch seinen Feldzug gegen Arabi
und dessen Fellahin hat sich Wolseley durch seinen Versuch, Gordon aus der
Gewalt des Mahdi zu befreien. Schon die Wahl des Weges nach Chartum


Englische Feldherren.

Zwischenzeit vernichtet worden sein, zumal da sie durch Wolseleys Sorglosigkeit
und Versäumnis dem Hunger und dem Sonnenstich ausgesetzt waren. Die
Ägypter ließen sich dann bei Mahsame von der englischen Kavallerie überfallen
und zersprengen, aber da es an Transportmitteln fehlte, konnte man die hier
erbeuteten Vorräte nicht nach Mahuta schaffen, und so mußte Wolseley bis
Kassasin vorgehen, und dadurch wurde sein Heer so verzettelt, daß der ganze
Aufmarsch in der Luft hing und ein energischer Gegner die einzelnen Abteilungen
desselben leicht hätte schlagen können. Hätte ein europäischer General die
Ägypter geführt, so wäre Wolseleys Streitmacht vom 28. August bis zum
1. September in dieser Vereinzelung wahrscheinlich aufgerieben worden. Nur
die Standhaftigkeit der englischen Infanterie und der ungestüme Mut der
Reiterei Lowes retteten bei Kassasin die Truppen Gradaus, als Arabi sie mit
Übermacht angriff, und errangen einen Sieg, der aber immerhin dem Korps
einen Verlust von etwa 200 Mann, einem Zehntel seiner Stärke, kostete. Am
29. August verfügte Wolseley über 25 300 Mann, aber statt mit ihnen sofort
gegen Arabis Stellung bei Tel El Kebir zu marschiren, blieb er mehrere Tage
unthätig und wartete Verstärkungen ab, wodurch die Ägypter Zeit erhielten,
sich bei jenem Orte besser zu verschanzen. Auch als die dritte Brigade von
Alexandrien angelangt war und Wolseley 28 500 Mann beisammen hatte, blieb
er noch stehen, bis die letzten Inder ankamen. Dabei verzettelte er seine Truppen
noch mehr als zuvor, und wieder hätte Arabi dies zu Handstreichen gegen die
einzelnen Abteilungen benutzen können. Er that dies nnr einmal, gegen den bei
Kassasin stehenden Graham, der sich von ihm mit Artillerie (wie die Franzosen bei
Beaumont) überfallen und mit Granaten überschütten ließ. Zum Glück für ihn
war die ägyptische Infanterie weniger rasch und kühn, und so gelang es den
Engländern, sich zu ordnen und dem Gegner schließlich eine Niederlage bei¬
zubringen. Erst am 12. September ging Wolseley zur Einnahme der doppelten
Schanzenreihe von Tel El Kebir vor, wobei er zwei Divisionen nördlich, die
dritte südlich vom Kanal marschiren ließ — eine Zersplitterung, die ein geschickter
und entschlossener Gegner sicher benutzt haben würde, wenn er Truppen genug
gehabt hätte. Arabi war weder geschickt noch entschlossen, auch war Wolseley
ihm jetzt um wenigstens 3000 Mann überlegen, und so glückte der Angriff der
Engländer. Ein Teil der Ägypter war schon vorher davongelaufen, die andern
ließen sich in den ersten Schanzen überraschen, der Rest focht nur matt und er¬
griff bald ebenfalls die Flucht. Damit war der Feldzug zu Ende. Wolseley
hatte bewiesen, daß er etwas weniger unfähig als Arabi war, und daß er
bessere Soldaten zur Verfügung hatte als dieser, das war alles. Ruhm erwarb
er sich nur in den Londoner Zeitungen, nicht für die Geschichte.

Noch weniger mit Ruhm bedeckt als durch seinen Feldzug gegen Arabi
und dessen Fellahin hat sich Wolseley durch seinen Versuch, Gordon aus der
Gewalt des Mahdi zu befreien. Schon die Wahl des Weges nach Chartum


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[0605] Englische Feldherren. Zwischenzeit vernichtet worden sein, zumal da sie durch Wolseleys Sorglosigkeit und Versäumnis dem Hunger und dem Sonnenstich ausgesetzt waren. Die Ägypter ließen sich dann bei Mahsame von der englischen Kavallerie überfallen und zersprengen, aber da es an Transportmitteln fehlte, konnte man die hier erbeuteten Vorräte nicht nach Mahuta schaffen, und so mußte Wolseley bis Kassasin vorgehen, und dadurch wurde sein Heer so verzettelt, daß der ganze Aufmarsch in der Luft hing und ein energischer Gegner die einzelnen Abteilungen desselben leicht hätte schlagen können. Hätte ein europäischer General die Ägypter geführt, so wäre Wolseleys Streitmacht vom 28. August bis zum 1. September in dieser Vereinzelung wahrscheinlich aufgerieben worden. Nur die Standhaftigkeit der englischen Infanterie und der ungestüme Mut der Reiterei Lowes retteten bei Kassasin die Truppen Gradaus, als Arabi sie mit Übermacht angriff, und errangen einen Sieg, der aber immerhin dem Korps einen Verlust von etwa 200 Mann, einem Zehntel seiner Stärke, kostete. Am 29. August verfügte Wolseley über 25 300 Mann, aber statt mit ihnen sofort gegen Arabis Stellung bei Tel El Kebir zu marschiren, blieb er mehrere Tage unthätig und wartete Verstärkungen ab, wodurch die Ägypter Zeit erhielten, sich bei jenem Orte besser zu verschanzen. Auch als die dritte Brigade von Alexandrien angelangt war und Wolseley 28 500 Mann beisammen hatte, blieb er noch stehen, bis die letzten Inder ankamen. Dabei verzettelte er seine Truppen noch mehr als zuvor, und wieder hätte Arabi dies zu Handstreichen gegen die einzelnen Abteilungen benutzen können. Er that dies nnr einmal, gegen den bei Kassasin stehenden Graham, der sich von ihm mit Artillerie (wie die Franzosen bei Beaumont) überfallen und mit Granaten überschütten ließ. Zum Glück für ihn war die ägyptische Infanterie weniger rasch und kühn, und so gelang es den Engländern, sich zu ordnen und dem Gegner schließlich eine Niederlage bei¬ zubringen. Erst am 12. September ging Wolseley zur Einnahme der doppelten Schanzenreihe von Tel El Kebir vor, wobei er zwei Divisionen nördlich, die dritte südlich vom Kanal marschiren ließ — eine Zersplitterung, die ein geschickter und entschlossener Gegner sicher benutzt haben würde, wenn er Truppen genug gehabt hätte. Arabi war weder geschickt noch entschlossen, auch war Wolseley ihm jetzt um wenigstens 3000 Mann überlegen, und so glückte der Angriff der Engländer. Ein Teil der Ägypter war schon vorher davongelaufen, die andern ließen sich in den ersten Schanzen überraschen, der Rest focht nur matt und er¬ griff bald ebenfalls die Flucht. Damit war der Feldzug zu Ende. Wolseley hatte bewiesen, daß er etwas weniger unfähig als Arabi war, und daß er bessere Soldaten zur Verfügung hatte als dieser, das war alles. Ruhm erwarb er sich nur in den Londoner Zeitungen, nicht für die Geschichte. Noch weniger mit Ruhm bedeckt als durch seinen Feldzug gegen Arabi und dessen Fellahin hat sich Wolseley durch seinen Versuch, Gordon aus der Gewalt des Mahdi zu befreien. Schon die Wahl des Weges nach Chartum

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/605>, abgerufen am 31.05.2024.