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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Innere Kolonisation.

Bekanntlich ist die innere Kolonisation nach schweren parlamentarischen
Kämpfen, die für die Weiterentwicklung des Reiches selbst im nationalen Sinne
als der Wendepunkt angesehen werden können, durch das Ansiedelungsgesetz
sür die preußischen Provinzen Posen und Westpreußen praktisch ins Werk
gesetzt und damit an die schönsten Thaten der Hohenzollern, die fast sämt¬
lich, namentlich im vorigen Jahrhundert, Kolonisatoren waren, wieder angeknüpft
worden. Freilich hat hier die Maßregel in erster Linie einen nationalen Hinter¬
grund gehabt, nämlich dem überflutenden Polentum entgegenzutreten und dem
zusammenschmelzenden Deutschtum neue Kräfte zuzuführen. Und gewiß muß
die Brust jedes patriotisch fühlenden Mannes höher schwellen, wenn er erfährt,
wie glücklich und schnell diese Kolonisation von Statten geht, wie ein Gro߬
grundbesitz nach dem andern den polnischen Händen entrungen wird, und wie
auf den alten Slawensitzen neue deutsche Bauerndörfer entstehen und frisches,
deutsches Leben in jenen Gegenden, die nur auf diesem Wege uns erworben
und erhalten werden können, einzieht. Wahrlich, die seiner Zeit durch das
Ansiedelungsgesetz zu diesen Zwecken bewilligten 100 Millionen Mark werden
reiche Früchte tragen.

Aber nicht allein in seiner Beschränkung auf nationale Zwecke darf dieses
Ansiedlungsgesetz mit Freuden begrüßt werden; es birgt, so Gott will, auch
noch weitere fruchtbare Keime, die mit der Zeit zur Reife kommen werden, für
andre Gebiete in sich. Es soll hier nicht der glückliche gesetzgeberische Gedanke
der Wiedereinführung der Nentengüter und der Bruch mit der frühern kapita¬
listischen Behandlung des Grundbesitzes weiter erörtert und verfolgt werden.
Der Auflauf von Großgrundbesitz, der sich wirtschaftlich und finanziell nicht
mehr halten kann, durch den Staat und die Besetzung dieses Großgrundbesitzes
mit bäuerlichen, kleinern Leuten sollten typisch behandelt, auch auf andre Ge¬
genden des Staates angewandt und daher dauernd durch Einstellung entsprechender
Mittel in den Staatshaushaltsetat in die Gesetzgebung eingeführt werden. Die
Zeiten, in denen die Durchführung derartiger Anschauungen von Staatswegen
als mit den Aufgaben des Staates unvereinbar angesehen wurden, sind vorüber.
Der Staat gilt uicht mehr als polizeilicher Nachtwächter; die Aufgabe des
Staates als der Konzentration der sämtlichen und ersten Kräfte des Volkslebens
besteht in der Lösung sozialer, wirtschaftlicher Aufgaben, zu der es eines kräf¬
tigen Vorgehens und der Aufwendung großartiger Mittel bedarf. Hierin, nicht
in dem weitern Ausbau leerer, parlamentarischer Formen und Einrichtungen,
muß immer und namentlich in unsrer Zeit der Schwerpunkt des Staates ge¬
sehen werden. Der Osten des preußischen Staates und mit ihm die haupt¬
sächlich dort vertretene Landwirtschaft leidet aber an dem Überwiegen des Gro߬
grundbesitzes. Der Großgrundbesitz ist keine den Deutschen eigentümliche
Einrichtung. So weit wirklich deutsche Stämme von dem Grund und Boden
Besitz genommen haben, so weit findet sich kleiner, bäuerlicher Besitz vor. Diese


Innere Kolonisation.

Bekanntlich ist die innere Kolonisation nach schweren parlamentarischen
Kämpfen, die für die Weiterentwicklung des Reiches selbst im nationalen Sinne
als der Wendepunkt angesehen werden können, durch das Ansiedelungsgesetz
sür die preußischen Provinzen Posen und Westpreußen praktisch ins Werk
gesetzt und damit an die schönsten Thaten der Hohenzollern, die fast sämt¬
lich, namentlich im vorigen Jahrhundert, Kolonisatoren waren, wieder angeknüpft
worden. Freilich hat hier die Maßregel in erster Linie einen nationalen Hinter¬
grund gehabt, nämlich dem überflutenden Polentum entgegenzutreten und dem
zusammenschmelzenden Deutschtum neue Kräfte zuzuführen. Und gewiß muß
die Brust jedes patriotisch fühlenden Mannes höher schwellen, wenn er erfährt,
wie glücklich und schnell diese Kolonisation von Statten geht, wie ein Gro߬
grundbesitz nach dem andern den polnischen Händen entrungen wird, und wie
auf den alten Slawensitzen neue deutsche Bauerndörfer entstehen und frisches,
deutsches Leben in jenen Gegenden, die nur auf diesem Wege uns erworben
und erhalten werden können, einzieht. Wahrlich, die seiner Zeit durch das
Ansiedelungsgesetz zu diesen Zwecken bewilligten 100 Millionen Mark werden
reiche Früchte tragen.

Aber nicht allein in seiner Beschränkung auf nationale Zwecke darf dieses
Ansiedlungsgesetz mit Freuden begrüßt werden; es birgt, so Gott will, auch
noch weitere fruchtbare Keime, die mit der Zeit zur Reife kommen werden, für
andre Gebiete in sich. Es soll hier nicht der glückliche gesetzgeberische Gedanke
der Wiedereinführung der Nentengüter und der Bruch mit der frühern kapita¬
listischen Behandlung des Grundbesitzes weiter erörtert und verfolgt werden.
Der Auflauf von Großgrundbesitz, der sich wirtschaftlich und finanziell nicht
mehr halten kann, durch den Staat und die Besetzung dieses Großgrundbesitzes
mit bäuerlichen, kleinern Leuten sollten typisch behandelt, auch auf andre Ge¬
genden des Staates angewandt und daher dauernd durch Einstellung entsprechender
Mittel in den Staatshaushaltsetat in die Gesetzgebung eingeführt werden. Die
Zeiten, in denen die Durchführung derartiger Anschauungen von Staatswegen
als mit den Aufgaben des Staates unvereinbar angesehen wurden, sind vorüber.
Der Staat gilt uicht mehr als polizeilicher Nachtwächter; die Aufgabe des
Staates als der Konzentration der sämtlichen und ersten Kräfte des Volkslebens
besteht in der Lösung sozialer, wirtschaftlicher Aufgaben, zu der es eines kräf¬
tigen Vorgehens und der Aufwendung großartiger Mittel bedarf. Hierin, nicht
in dem weitern Ausbau leerer, parlamentarischer Formen und Einrichtungen,
muß immer und namentlich in unsrer Zeit der Schwerpunkt des Staates ge¬
sehen werden. Der Osten des preußischen Staates und mit ihm die haupt¬
sächlich dort vertretene Landwirtschaft leidet aber an dem Überwiegen des Gro߬
grundbesitzes. Der Großgrundbesitz ist keine den Deutschen eigentümliche
Einrichtung. So weit wirklich deutsche Stämme von dem Grund und Boden
Besitz genommen haben, so weit findet sich kleiner, bäuerlicher Besitz vor. Diese


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[0608] Innere Kolonisation. Bekanntlich ist die innere Kolonisation nach schweren parlamentarischen Kämpfen, die für die Weiterentwicklung des Reiches selbst im nationalen Sinne als der Wendepunkt angesehen werden können, durch das Ansiedelungsgesetz sür die preußischen Provinzen Posen und Westpreußen praktisch ins Werk gesetzt und damit an die schönsten Thaten der Hohenzollern, die fast sämt¬ lich, namentlich im vorigen Jahrhundert, Kolonisatoren waren, wieder angeknüpft worden. Freilich hat hier die Maßregel in erster Linie einen nationalen Hinter¬ grund gehabt, nämlich dem überflutenden Polentum entgegenzutreten und dem zusammenschmelzenden Deutschtum neue Kräfte zuzuführen. Und gewiß muß die Brust jedes patriotisch fühlenden Mannes höher schwellen, wenn er erfährt, wie glücklich und schnell diese Kolonisation von Statten geht, wie ein Gro߬ grundbesitz nach dem andern den polnischen Händen entrungen wird, und wie auf den alten Slawensitzen neue deutsche Bauerndörfer entstehen und frisches, deutsches Leben in jenen Gegenden, die nur auf diesem Wege uns erworben und erhalten werden können, einzieht. Wahrlich, die seiner Zeit durch das Ansiedelungsgesetz zu diesen Zwecken bewilligten 100 Millionen Mark werden reiche Früchte tragen. Aber nicht allein in seiner Beschränkung auf nationale Zwecke darf dieses Ansiedlungsgesetz mit Freuden begrüßt werden; es birgt, so Gott will, auch noch weitere fruchtbare Keime, die mit der Zeit zur Reife kommen werden, für andre Gebiete in sich. Es soll hier nicht der glückliche gesetzgeberische Gedanke der Wiedereinführung der Nentengüter und der Bruch mit der frühern kapita¬ listischen Behandlung des Grundbesitzes weiter erörtert und verfolgt werden. Der Auflauf von Großgrundbesitz, der sich wirtschaftlich und finanziell nicht mehr halten kann, durch den Staat und die Besetzung dieses Großgrundbesitzes mit bäuerlichen, kleinern Leuten sollten typisch behandelt, auch auf andre Ge¬ genden des Staates angewandt und daher dauernd durch Einstellung entsprechender Mittel in den Staatshaushaltsetat in die Gesetzgebung eingeführt werden. Die Zeiten, in denen die Durchführung derartiger Anschauungen von Staatswegen als mit den Aufgaben des Staates unvereinbar angesehen wurden, sind vorüber. Der Staat gilt uicht mehr als polizeilicher Nachtwächter; die Aufgabe des Staates als der Konzentration der sämtlichen und ersten Kräfte des Volkslebens besteht in der Lösung sozialer, wirtschaftlicher Aufgaben, zu der es eines kräf¬ tigen Vorgehens und der Aufwendung großartiger Mittel bedarf. Hierin, nicht in dem weitern Ausbau leerer, parlamentarischer Formen und Einrichtungen, muß immer und namentlich in unsrer Zeit der Schwerpunkt des Staates ge¬ sehen werden. Der Osten des preußischen Staates und mit ihm die haupt¬ sächlich dort vertretene Landwirtschaft leidet aber an dem Überwiegen des Gro߬ grundbesitzes. Der Großgrundbesitz ist keine den Deutschen eigentümliche Einrichtung. So weit wirklich deutsche Stämme von dem Grund und Boden Besitz genommen haben, so weit findet sich kleiner, bäuerlicher Besitz vor. Diese

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/608>, abgerufen am 15.05.2024.