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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Innere Kolonisation,

Bodenverteilung entsprach dem deutschen Grundcharakter, nach dem jeder
Stammesgenosse frei war und demgemäß auch Anspruch auf eine gleichmäßige
Verteilung des in den Augen der Germanen höchsten Gutes, des Grund und
Bodens, hatte. Erst da, wo die Deutschen nicht dicht genug vordrangen und
die Slawen erhalten blieben, erst da erhielt sich auch der Großgrundbesitz selbst
dann, wenn die slawischen Großgrundbesitzer im Laufe der Jahrhunderte in das
deutsche Lager übertraten. Darum finden wir diese Einrichtung, die dem ge¬
schichtlichen Verhältnisse bei den Slawen entspricht -- wenige große Herren
gegenüber einer zahlreichen Schar von Hörigen und Unfreien --, am deutlichsten
in den Oftprvviuzcn, Ost- und Westpreußen, Pommern, Brandenburg, Posen.
Schlesien und Sachsen, vertreten. Durchbrochen ist diese Einrichtung nur durch
die kolonisatorischen Bestrebungen der Hohenzollern, die aber bis jetzt den Gro߬
grundbesitz unberührt ließen und sür die Ausführung andre Gebiete, ausge¬
trocknete und entwässerte Fluß- und Seegebiete oder auch, wie vielfach in West-
Preußen, Haide- und Bruchland, in Anspruch nahmen. Es ist nun merkwürdig,
daß diese Kolonien, die fast durchweg als Bauerndörfer zu bezeichnen sind, sich
trotz der Ungunst der Verhältnisse für die Landwirtschaft erhalten haben und
weiter blühen, während der Großgrundbesitz, soweit derselbe nicht in alt aristo¬
kratischen, außerdem gut fundirten, oder in ausgesprochen kapitalistischen Bcm-
kiershänden sich befindet, fortwährend bergab geht und vergebens die krampf¬
haftesten Anstrengungen macht, die ererbte Scholle zu erhalten. Mir. der ich
selbst aus eiuer größeren landwirtschaftlichen Besitzerfamilie stamme und mit
den einschlägigen Verhältnissen von Jugend und auch jetzt durch meine amtliche
Thätigkeit völlig vertraut bin, ist dies noch nie so aufgefallen, wie in diesem
Sommer. Ich verlebte nämlich meinen Sommerurlaub in einem pommerschen.
von kleinern Besitzern bewohnten Stranddorfe, machte aber auch häufig eiuen
Ausflug zu Verwandten, die als Großgrundbesitzer in der Nähe wohnten.
Während in dem Besitzerdorfe alles dafür sprach, daß die Leute in der letzten
Zeit wohlhabender geworden und voll der landwirtschaftlichen Not, insbesondre
dem Sinken der Betriebsprodnkte. nicht berührt waren, herrschte bei den Ver¬
wandten, die außer ihrem eignen Gute noch das eines bereits in Vermögens-
verfall geratenen Verwandten hatten übernehmen müssen, trotz der größten
Sparsamkeit und Einschränkung das Bewußtsein vor, daß es nicht vorwärts
gehe. Daß ein solcher Fall nicht vereinzelt dasteht, sondern sich fast ausnahms¬
los über den gesamten größeren Besitz erstreckt, kann wohl als eine unbestrittene
Thatsache hingestellt werden. Diesen in solcher Lage befindlichen Besitzern kann,
dies darf man sich nicht verhehlen, durch nichts, auch uicht durch die ein¬
schneidendsten zollpolitischen agrarischen Schutzmaßregeln aufgeholfen werden. Zu
den Gründen des Verfalls dieser größern Besitzer hat mancherlei mitgewirkt.
In erster Reihe natürlich der Umstand, daß der Fundus für die Familie als
teilbares Objekt angesehen und demgemäß auch bei Erbteilungeu, wenn auch


Grenzboten III. 1837. 76
Innere Kolonisation,

Bodenverteilung entsprach dem deutschen Grundcharakter, nach dem jeder
Stammesgenosse frei war und demgemäß auch Anspruch auf eine gleichmäßige
Verteilung des in den Augen der Germanen höchsten Gutes, des Grund und
Bodens, hatte. Erst da, wo die Deutschen nicht dicht genug vordrangen und
die Slawen erhalten blieben, erst da erhielt sich auch der Großgrundbesitz selbst
dann, wenn die slawischen Großgrundbesitzer im Laufe der Jahrhunderte in das
deutsche Lager übertraten. Darum finden wir diese Einrichtung, die dem ge¬
schichtlichen Verhältnisse bei den Slawen entspricht — wenige große Herren
gegenüber einer zahlreichen Schar von Hörigen und Unfreien —, am deutlichsten
in den Oftprvviuzcn, Ost- und Westpreußen, Pommern, Brandenburg, Posen.
Schlesien und Sachsen, vertreten. Durchbrochen ist diese Einrichtung nur durch
die kolonisatorischen Bestrebungen der Hohenzollern, die aber bis jetzt den Gro߬
grundbesitz unberührt ließen und sür die Ausführung andre Gebiete, ausge¬
trocknete und entwässerte Fluß- und Seegebiete oder auch, wie vielfach in West-
Preußen, Haide- und Bruchland, in Anspruch nahmen. Es ist nun merkwürdig,
daß diese Kolonien, die fast durchweg als Bauerndörfer zu bezeichnen sind, sich
trotz der Ungunst der Verhältnisse für die Landwirtschaft erhalten haben und
weiter blühen, während der Großgrundbesitz, soweit derselbe nicht in alt aristo¬
kratischen, außerdem gut fundirten, oder in ausgesprochen kapitalistischen Bcm-
kiershänden sich befindet, fortwährend bergab geht und vergebens die krampf¬
haftesten Anstrengungen macht, die ererbte Scholle zu erhalten. Mir. der ich
selbst aus eiuer größeren landwirtschaftlichen Besitzerfamilie stamme und mit
den einschlägigen Verhältnissen von Jugend und auch jetzt durch meine amtliche
Thätigkeit völlig vertraut bin, ist dies noch nie so aufgefallen, wie in diesem
Sommer. Ich verlebte nämlich meinen Sommerurlaub in einem pommerschen.
von kleinern Besitzern bewohnten Stranddorfe, machte aber auch häufig eiuen
Ausflug zu Verwandten, die als Großgrundbesitzer in der Nähe wohnten.
Während in dem Besitzerdorfe alles dafür sprach, daß die Leute in der letzten
Zeit wohlhabender geworden und voll der landwirtschaftlichen Not, insbesondre
dem Sinken der Betriebsprodnkte. nicht berührt waren, herrschte bei den Ver¬
wandten, die außer ihrem eignen Gute noch das eines bereits in Vermögens-
verfall geratenen Verwandten hatten übernehmen müssen, trotz der größten
Sparsamkeit und Einschränkung das Bewußtsein vor, daß es nicht vorwärts
gehe. Daß ein solcher Fall nicht vereinzelt dasteht, sondern sich fast ausnahms¬
los über den gesamten größeren Besitz erstreckt, kann wohl als eine unbestrittene
Thatsache hingestellt werden. Diesen in solcher Lage befindlichen Besitzern kann,
dies darf man sich nicht verhehlen, durch nichts, auch uicht durch die ein¬
schneidendsten zollpolitischen agrarischen Schutzmaßregeln aufgeholfen werden. Zu
den Gründen des Verfalls dieser größern Besitzer hat mancherlei mitgewirkt.
In erster Reihe natürlich der Umstand, daß der Fundus für die Familie als
teilbares Objekt angesehen und demgemäß auch bei Erbteilungeu, wenn auch


Grenzboten III. 1837. 76
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[0609] Innere Kolonisation, Bodenverteilung entsprach dem deutschen Grundcharakter, nach dem jeder Stammesgenosse frei war und demgemäß auch Anspruch auf eine gleichmäßige Verteilung des in den Augen der Germanen höchsten Gutes, des Grund und Bodens, hatte. Erst da, wo die Deutschen nicht dicht genug vordrangen und die Slawen erhalten blieben, erst da erhielt sich auch der Großgrundbesitz selbst dann, wenn die slawischen Großgrundbesitzer im Laufe der Jahrhunderte in das deutsche Lager übertraten. Darum finden wir diese Einrichtung, die dem ge¬ schichtlichen Verhältnisse bei den Slawen entspricht — wenige große Herren gegenüber einer zahlreichen Schar von Hörigen und Unfreien —, am deutlichsten in den Oftprvviuzcn, Ost- und Westpreußen, Pommern, Brandenburg, Posen. Schlesien und Sachsen, vertreten. Durchbrochen ist diese Einrichtung nur durch die kolonisatorischen Bestrebungen der Hohenzollern, die aber bis jetzt den Gro߬ grundbesitz unberührt ließen und sür die Ausführung andre Gebiete, ausge¬ trocknete und entwässerte Fluß- und Seegebiete oder auch, wie vielfach in West- Preußen, Haide- und Bruchland, in Anspruch nahmen. Es ist nun merkwürdig, daß diese Kolonien, die fast durchweg als Bauerndörfer zu bezeichnen sind, sich trotz der Ungunst der Verhältnisse für die Landwirtschaft erhalten haben und weiter blühen, während der Großgrundbesitz, soweit derselbe nicht in alt aristo¬ kratischen, außerdem gut fundirten, oder in ausgesprochen kapitalistischen Bcm- kiershänden sich befindet, fortwährend bergab geht und vergebens die krampf¬ haftesten Anstrengungen macht, die ererbte Scholle zu erhalten. Mir. der ich selbst aus eiuer größeren landwirtschaftlichen Besitzerfamilie stamme und mit den einschlägigen Verhältnissen von Jugend und auch jetzt durch meine amtliche Thätigkeit völlig vertraut bin, ist dies noch nie so aufgefallen, wie in diesem Sommer. Ich verlebte nämlich meinen Sommerurlaub in einem pommerschen. von kleinern Besitzern bewohnten Stranddorfe, machte aber auch häufig eiuen Ausflug zu Verwandten, die als Großgrundbesitzer in der Nähe wohnten. Während in dem Besitzerdorfe alles dafür sprach, daß die Leute in der letzten Zeit wohlhabender geworden und voll der landwirtschaftlichen Not, insbesondre dem Sinken der Betriebsprodnkte. nicht berührt waren, herrschte bei den Ver¬ wandten, die außer ihrem eignen Gute noch das eines bereits in Vermögens- verfall geratenen Verwandten hatten übernehmen müssen, trotz der größten Sparsamkeit und Einschränkung das Bewußtsein vor, daß es nicht vorwärts gehe. Daß ein solcher Fall nicht vereinzelt dasteht, sondern sich fast ausnahms¬ los über den gesamten größeren Besitz erstreckt, kann wohl als eine unbestrittene Thatsache hingestellt werden. Diesen in solcher Lage befindlichen Besitzern kann, dies darf man sich nicht verhehlen, durch nichts, auch uicht durch die ein¬ schneidendsten zollpolitischen agrarischen Schutzmaßregeln aufgeholfen werden. Zu den Gründen des Verfalls dieser größern Besitzer hat mancherlei mitgewirkt. In erster Reihe natürlich der Umstand, daß der Fundus für die Familie als teilbares Objekt angesehen und demgemäß auch bei Erbteilungeu, wenn auch Grenzboten III. 1837. 76

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/609>, abgerufen am 31.05.2024.