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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Gneistschm Broschüre gegen die Konfessionsschule angeschlossen. Gegenwärtig ist
diese Ansicht nicht mehr zu halten. Vierung hat sie in seiner Schrift: "Die kon¬
fessionelle Schule in Preußen und ihr Recht" (1885) als unrichtig erwiesen.

Die Pädagogen sind, wenn sie nicht zugleich die Schule für politische Ab¬
sichten in Anspruch nehmen, grundsätzlich für konfessionelle Schulen eingenommen,
wenigstens was die Volksschule betrifft, in der sich einesteils die Unterrichtsfächer
noch wenig sondern lassen, andernteils auch Erziehung und Unterricht noch sehr
miteinander vermengt sind. Auf den höhern Schulen die Teilung auf den
Religionsunterricht zu beschränken, ist schon eher zu billigen, ja meist nicht zu
umgehen, wiewohl auch da die Lehrer möglichst zu einer einzigen Konfession
gehören. Also auch hier haben wir keine rein staatlichen Einrichtungen in den
Schulen, sondern staatlich-kirchliche unter der Ägide des Staates.

Die Aufsicht über die Schulen ist, wie erwähnt, ebenso gemischt. Die
Seminarien, aus denen die Elementarlehrer an niedern und höhern Schulen
hervorgehen, sind konfessionell getrennt und der kirchliche Einfluß spielt in ihnen
eine bedeutende Rolle; die Direktoren sind meist Geistliche, auch die Examina¬
toren. In höhern Schulen haben Bischof und Generalsuperintendent die Re¬
vision des Religionsunterrichts, auch die Kontrole der religiösen Lehrmittel und
der Neligionsprüfung der Abiturienten. Die Religionslehrer wählt dem Namen
nach der Staat aus den cipprobirten Geistlichen, thatsächlich hat er oft keine
Wahl, hat auch nicht die Möglichkeit, einen katholischen Religionslehrer zu
halten, wenn er nicht ein völlig dem Kollegium ungehöriger Gymnasiallehrer ist.

In allen diesen Dingen scheint die kirchliche Natur des Religionsunter¬
richts so reichlich anerkannt, daß der Staat eher auf Anerkennung der Kirchen
sollte rechnen können, als auf Bekämpfung. In der evangelischen Kirche herrscht
denn diese Gesinnung auch durchweg. Zwar empfanden es einige evangelische
Geistliche lutherischer Richtung unangenehm, daß sie im Jahre 1872 ihre be¬
schwerliche Lokalaufsicht über die Schule, für die sie meist nicht einen Pfennig
behalt beziehen, im Auftrage des Staates zu üben hätten, nicht kraft pfarr¬
amtlicher Vollmacht. Aber sie ließen sich bedeuten, daß dies Gesetz doch nur
den gesetzlichen alten Paragraphen des Allgemeinen preußischen Landrechts einen
klareren Ausdruck gebe und nichts neues lehre, und ihre kirchliche Behörde forderte
sie geradezu auf, ihr Schulaufsichtsamt im Interesse der Kirche beizubehalten.

Allerdings wurden hie und da den Geistlichen vom Staate die Aufsichts¬
rechte über das Lokalschulwesen und das Kreisschulwesen entzogen und weltliche
Inspektoren dafür eingesetzt. Aber meist waren national-politische Gründe ma߬
gebend, solche Schulinspektoren im Hauptamte anzustellen. Daher traten sie
besonders in Posen und Oberschlesien auf, auch in katholischen Gegenden am
Rhein, wo der Kulturkampf am heftigsten wütete. Die Negierung zeigte stets
^ Neigung, überall, wo sich die Geistlichen wieder etwas beruhigten und ihr
Schulamt nicht mehr zur Verhetzung gegen den "Racker" von Staat benutzten,


Grenzboten III. 1887. 77

Gneistschm Broschüre gegen die Konfessionsschule angeschlossen. Gegenwärtig ist
diese Ansicht nicht mehr zu halten. Vierung hat sie in seiner Schrift: „Die kon¬
fessionelle Schule in Preußen und ihr Recht" (1885) als unrichtig erwiesen.

Die Pädagogen sind, wenn sie nicht zugleich die Schule für politische Ab¬
sichten in Anspruch nehmen, grundsätzlich für konfessionelle Schulen eingenommen,
wenigstens was die Volksschule betrifft, in der sich einesteils die Unterrichtsfächer
noch wenig sondern lassen, andernteils auch Erziehung und Unterricht noch sehr
miteinander vermengt sind. Auf den höhern Schulen die Teilung auf den
Religionsunterricht zu beschränken, ist schon eher zu billigen, ja meist nicht zu
umgehen, wiewohl auch da die Lehrer möglichst zu einer einzigen Konfession
gehören. Also auch hier haben wir keine rein staatlichen Einrichtungen in den
Schulen, sondern staatlich-kirchliche unter der Ägide des Staates.

Die Aufsicht über die Schulen ist, wie erwähnt, ebenso gemischt. Die
Seminarien, aus denen die Elementarlehrer an niedern und höhern Schulen
hervorgehen, sind konfessionell getrennt und der kirchliche Einfluß spielt in ihnen
eine bedeutende Rolle; die Direktoren sind meist Geistliche, auch die Examina¬
toren. In höhern Schulen haben Bischof und Generalsuperintendent die Re¬
vision des Religionsunterrichts, auch die Kontrole der religiösen Lehrmittel und
der Neligionsprüfung der Abiturienten. Die Religionslehrer wählt dem Namen
nach der Staat aus den cipprobirten Geistlichen, thatsächlich hat er oft keine
Wahl, hat auch nicht die Möglichkeit, einen katholischen Religionslehrer zu
halten, wenn er nicht ein völlig dem Kollegium ungehöriger Gymnasiallehrer ist.

In allen diesen Dingen scheint die kirchliche Natur des Religionsunter¬
richts so reichlich anerkannt, daß der Staat eher auf Anerkennung der Kirchen
sollte rechnen können, als auf Bekämpfung. In der evangelischen Kirche herrscht
denn diese Gesinnung auch durchweg. Zwar empfanden es einige evangelische
Geistliche lutherischer Richtung unangenehm, daß sie im Jahre 1872 ihre be¬
schwerliche Lokalaufsicht über die Schule, für die sie meist nicht einen Pfennig
behalt beziehen, im Auftrage des Staates zu üben hätten, nicht kraft pfarr¬
amtlicher Vollmacht. Aber sie ließen sich bedeuten, daß dies Gesetz doch nur
den gesetzlichen alten Paragraphen des Allgemeinen preußischen Landrechts einen
klareren Ausdruck gebe und nichts neues lehre, und ihre kirchliche Behörde forderte
sie geradezu auf, ihr Schulaufsichtsamt im Interesse der Kirche beizubehalten.

Allerdings wurden hie und da den Geistlichen vom Staate die Aufsichts¬
rechte über das Lokalschulwesen und das Kreisschulwesen entzogen und weltliche
Inspektoren dafür eingesetzt. Aber meist waren national-politische Gründe ma߬
gebend, solche Schulinspektoren im Hauptamte anzustellen. Daher traten sie
besonders in Posen und Oberschlesien auf, auch in katholischen Gegenden am
Rhein, wo der Kulturkampf am heftigsten wütete. Die Negierung zeigte stets
^ Neigung, überall, wo sich die Geistlichen wieder etwas beruhigten und ihr
Schulamt nicht mehr zur Verhetzung gegen den „Racker" von Staat benutzten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/617>, abgerufen am 31.05.2024.