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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Der Kampf des Jentrums gegen die Staatsschule.

Bei der großen Unwahrscheinlichkeit, daß die Schulgelüste des Zentrums
eine Mehrheit in unsern Parlamenten finden werden, ist man versucht zu glauben,
wir hätten in jenem Schulknmpfe nur wieder ein Beispiel des Hasses gegen den
Staat, der bisher das Zentrum beseelte und nach neuen Anlässen seiner Be¬
thätigung sich umsehen mußte. Aber es ist nicht nötig, daß wir in diesem
Hasse den vorherrschenden Beweggrund der neuen Kampfeswcndung finden.
Der Beweggrund liegt, wie schon angedeutet wurde, zum großen Teil in der katho¬
lischen Ansicht vorn Staate. Wir müssen etwas näher ans diesen Punkt eingehen.

Wir sprechen vom Staate erst dann, wenn sich in einer landsässigen Gesell¬
schaft eine höchste unabhängige Macht gebildet hat. Daß diese Macht Ordnung
"ut Recht in den verschiedenen Schichten der Gesellschaft zu schützen habe, wird
kaum irgendwo bestritten. Von hier an aber gehen die Ansichten auseinander.
Die einen beschränken die Aufgabe des Staates auf dieses Stück, das Recht zu
hüten. Was sich sonst in der Gesellschaft regt, der Trieb nach Gesundheit,
Wohlstand, Bildung, Seligkeit, soll den Staat nichts angehen; er soll das der
Gesellschaft selbst überlassen und nur dafür sorgen, daß das gemeine Recht nicht
verletzt werde. Dies ist die Theorie, die in dem Staate eine "Brandkasse" oder
einen "Nachtwächter" sieht. Man kann sie nirgends durchführen, schon weil
die Gesellschaft kein allgemeines Recht irgendwie zur Verfügung hat, sondern
jedes gesellschaftliche Verhältnis, Familie, Gemeinde, Erwerbsinstitut, Handel,
Kirche, ein Recht für seine Interessen erzeugt und weiterbildet. In diese Rechts-
bildung einzugreifen im Interesse des Ganzen ist eine nicht abzuweisende Auf¬
gabe des Staates, und das geht nicht ohne "Einmischung" ab. So kommt
man denn zu einer andern Theorie vom Staate, die man Wohlfahrtstheorie
nennt, und zu einer dritten, die man die Sittlichkeitstheorie nennt, welche dem
Staate die Aufgabe stellt, die Gesellschaft schließlich zu sittlicher Freiheit zu
^ziehen.

Man begreift, daß die Theorie bei dieser Zerpflnckung des Staatsbegriffs
">ehe stehen bleiben konnte. Man sagte mit Savigny, der Staat sei eine To¬
talität, die leibliche Gestalt der ganzen Volksgemeinschaft. Weder wirtschaft¬
liches, "och gesellschaftliches, noch Bildungsleben ist vom Staate ausgeschlossen,
^er das Recht ist überall die Form seines Wirkens, nicht das unregierbare
innere der Gesinnung, nicht das Individuelle, soudern das, was sich gemeinsam
ordnen läßt, und wie der Staat mehr das Unrecht verhindert als das Rechte
istet, so milt er erst da positiv eingreifen, wo kleinere, in ihm befindliche Kor¬
porationen oder Gesellschaften die Verhältnisse und Aufgaben nicht oder nicht
jungend bewältigen können. Somit ist dem Staate ein allseitiges Leben und
"ne gewisse Entwicklungsfähigkeit gesichert. Vor allem, er bleibt ein sittliches
eher; ^ ^ ^ wertvoll macht, was gut und schön ist, was
^r sittlichen Bestimmung des Menschen dienlich ist. wie Mejer sagt, er hat ein


Der Kampf des Jentrums gegen die Staatsschule.

Bei der großen Unwahrscheinlichkeit, daß die Schulgelüste des Zentrums
eine Mehrheit in unsern Parlamenten finden werden, ist man versucht zu glauben,
wir hätten in jenem Schulknmpfe nur wieder ein Beispiel des Hasses gegen den
Staat, der bisher das Zentrum beseelte und nach neuen Anlässen seiner Be¬
thätigung sich umsehen mußte. Aber es ist nicht nötig, daß wir in diesem
Hasse den vorherrschenden Beweggrund der neuen Kampfeswcndung finden.
Der Beweggrund liegt, wie schon angedeutet wurde, zum großen Teil in der katho¬
lischen Ansicht vorn Staate. Wir müssen etwas näher ans diesen Punkt eingehen.

Wir sprechen vom Staate erst dann, wenn sich in einer landsässigen Gesell¬
schaft eine höchste unabhängige Macht gebildet hat. Daß diese Macht Ordnung
»ut Recht in den verschiedenen Schichten der Gesellschaft zu schützen habe, wird
kaum irgendwo bestritten. Von hier an aber gehen die Ansichten auseinander.
Die einen beschränken die Aufgabe des Staates auf dieses Stück, das Recht zu
hüten. Was sich sonst in der Gesellschaft regt, der Trieb nach Gesundheit,
Wohlstand, Bildung, Seligkeit, soll den Staat nichts angehen; er soll das der
Gesellschaft selbst überlassen und nur dafür sorgen, daß das gemeine Recht nicht
verletzt werde. Dies ist die Theorie, die in dem Staate eine „Brandkasse" oder
einen „Nachtwächter" sieht. Man kann sie nirgends durchführen, schon weil
die Gesellschaft kein allgemeines Recht irgendwie zur Verfügung hat, sondern
jedes gesellschaftliche Verhältnis, Familie, Gemeinde, Erwerbsinstitut, Handel,
Kirche, ein Recht für seine Interessen erzeugt und weiterbildet. In diese Rechts-
bildung einzugreifen im Interesse des Ganzen ist eine nicht abzuweisende Auf¬
gabe des Staates, und das geht nicht ohne „Einmischung" ab. So kommt
man denn zu einer andern Theorie vom Staate, die man Wohlfahrtstheorie
nennt, und zu einer dritten, die man die Sittlichkeitstheorie nennt, welche dem
Staate die Aufgabe stellt, die Gesellschaft schließlich zu sittlicher Freiheit zu
^ziehen.

Man begreift, daß die Theorie bei dieser Zerpflnckung des Staatsbegriffs
">ehe stehen bleiben konnte. Man sagte mit Savigny, der Staat sei eine To¬
talität, die leibliche Gestalt der ganzen Volksgemeinschaft. Weder wirtschaft¬
liches, »och gesellschaftliches, noch Bildungsleben ist vom Staate ausgeschlossen,
^er das Recht ist überall die Form seines Wirkens, nicht das unregierbare
innere der Gesinnung, nicht das Individuelle, soudern das, was sich gemeinsam
ordnen läßt, und wie der Staat mehr das Unrecht verhindert als das Rechte
istet, so milt er erst da positiv eingreifen, wo kleinere, in ihm befindliche Kor¬
porationen oder Gesellschaften die Verhältnisse und Aufgaben nicht oder nicht
jungend bewältigen können. Somit ist dem Staate ein allseitiges Leben und
"ne gewisse Entwicklungsfähigkeit gesichert. Vor allem, er bleibt ein sittliches
eher; ^ ^ ^ wertvoll macht, was gut und schön ist, was
^r sittlichen Bestimmung des Menschen dienlich ist. wie Mejer sagt, er hat ein


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[0619] Der Kampf des Jentrums gegen die Staatsschule. Bei der großen Unwahrscheinlichkeit, daß die Schulgelüste des Zentrums eine Mehrheit in unsern Parlamenten finden werden, ist man versucht zu glauben, wir hätten in jenem Schulknmpfe nur wieder ein Beispiel des Hasses gegen den Staat, der bisher das Zentrum beseelte und nach neuen Anlässen seiner Be¬ thätigung sich umsehen mußte. Aber es ist nicht nötig, daß wir in diesem Hasse den vorherrschenden Beweggrund der neuen Kampfeswcndung finden. Der Beweggrund liegt, wie schon angedeutet wurde, zum großen Teil in der katho¬ lischen Ansicht vorn Staate. Wir müssen etwas näher ans diesen Punkt eingehen. Wir sprechen vom Staate erst dann, wenn sich in einer landsässigen Gesell¬ schaft eine höchste unabhängige Macht gebildet hat. Daß diese Macht Ordnung »ut Recht in den verschiedenen Schichten der Gesellschaft zu schützen habe, wird kaum irgendwo bestritten. Von hier an aber gehen die Ansichten auseinander. Die einen beschränken die Aufgabe des Staates auf dieses Stück, das Recht zu hüten. Was sich sonst in der Gesellschaft regt, der Trieb nach Gesundheit, Wohlstand, Bildung, Seligkeit, soll den Staat nichts angehen; er soll das der Gesellschaft selbst überlassen und nur dafür sorgen, daß das gemeine Recht nicht verletzt werde. Dies ist die Theorie, die in dem Staate eine „Brandkasse" oder einen „Nachtwächter" sieht. Man kann sie nirgends durchführen, schon weil die Gesellschaft kein allgemeines Recht irgendwie zur Verfügung hat, sondern jedes gesellschaftliche Verhältnis, Familie, Gemeinde, Erwerbsinstitut, Handel, Kirche, ein Recht für seine Interessen erzeugt und weiterbildet. In diese Rechts- bildung einzugreifen im Interesse des Ganzen ist eine nicht abzuweisende Auf¬ gabe des Staates, und das geht nicht ohne „Einmischung" ab. So kommt man denn zu einer andern Theorie vom Staate, die man Wohlfahrtstheorie nennt, und zu einer dritten, die man die Sittlichkeitstheorie nennt, welche dem Staate die Aufgabe stellt, die Gesellschaft schließlich zu sittlicher Freiheit zu ^ziehen. Man begreift, daß die Theorie bei dieser Zerpflnckung des Staatsbegriffs ">ehe stehen bleiben konnte. Man sagte mit Savigny, der Staat sei eine To¬ talität, die leibliche Gestalt der ganzen Volksgemeinschaft. Weder wirtschaft¬ liches, »och gesellschaftliches, noch Bildungsleben ist vom Staate ausgeschlossen, ^er das Recht ist überall die Form seines Wirkens, nicht das unregierbare innere der Gesinnung, nicht das Individuelle, soudern das, was sich gemeinsam ordnen läßt, und wie der Staat mehr das Unrecht verhindert als das Rechte istet, so milt er erst da positiv eingreifen, wo kleinere, in ihm befindliche Kor¬ porationen oder Gesellschaften die Verhältnisse und Aufgaben nicht oder nicht jungend bewältigen können. Somit ist dem Staate ein allseitiges Leben und "ne gewisse Entwicklungsfähigkeit gesichert. Vor allem, er bleibt ein sittliches eher; ^ ^ ^ wertvoll macht, was gut und schön ist, was ^r sittlichen Bestimmung des Menschen dienlich ist. wie Mejer sagt, er hat ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/619>, abgerufen am 29.05.2024.