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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Der Ramxf des Zentrums gegen die Staatsschule.

Wir haben das so harmlos hingeschrieben, ohne uns unterwegs zu unter¬
brechen, und wir sehen in der That, daß die Staatsrechtslehrer unsrer Tage
zu keinem wesentlich andern Ergebnis kommen. Nur verschiedne Gründe in der
Einwirkung des Staates auf die gesellschaftlichen Interessen kommen vor. Die
Fortschrittspartei will dem Staate viel weniger Einwirkung zugestehen als die
konservative. Aber ein grundsätzlicher Gegensatz findet nicht mehr statt.

Nur die katholische Theorie hat in einem Punkte eine völlig abweichende
Stellung, sie schreibt dem Staate zwar in Beziehung auf Recht und Wohlfahrt
gewisse, nicht unbedeutende Aufgaben zu, spricht ihm aber in allen Dingen, die
die katholische Kirche besorgen soll, jegliche Einsicht und daher jede Befugnis
selbständigen EinWirkens ab. Wie Mejer sagt, wird die Überzeugung des
Staates, er habe auch ein "Gewissen," von einem ultramontanen Schriftsteller
eine "unchristliche" Überzeugung genannt.*) Die Kirche soll dem Staate als
Ersatz des Gewissens dienen. Wie es kommt, daß die katholische Theorie den
Staat erst zu einem nicht-sittlichen Wesen erniedrigt, um ihm daraufhin nicht
bloß die kirchlichen Dinge, sondern auch die Erziehung zu entreißen, das ist
nicht schwierig zu erkennen.

Es ist zwar unrichtig, daß die katholische Richtung den Staat als solchen
gering schätze. Sie kann den Staat auf keine Weise entbehren, weil die Be¬
hütung des Rechtes erst das Zusammenleben der Gläubigen möglich macht. Sie
nennt den Staat in gewisser Beziehung nach Rom. 13 eine göttliche Ein¬
richtung, wenigstens in aostraot-o und sofern er der Kirche zu willen ist. Gleich
nach dem erlösenden Auftreten christlicher Kaiser im römischen Reiche wurde
sogar der christliche Kaiser ein Apostelgleicher und Gottgleicher genannt. Aber
der Unterschied zwischen Kirchlichen und Profanen war einmal so tief einge¬
prägt, daß es nie wieder zur vollen Würdigung des staatlichen Elements in
dem katholischen Denksystem kommen konnte. Der Staat hat nach dieser Auf¬
fassung durchweg der Kirche zu gehorchen (Friedbergs Kirchenrecht S. 31), er
hat ihr die Pflege aller ideellen Interessen, also auch der Schule, zu überlassen
und sich auf die der materiellen, die doch nur den ersteren dienstbar sein können,
zu beschränken. Denn der Staat ist an und für sich hurtig, kein Erzeugnis
Gottes selbst, sondern ein Produkt menschlichen Hochmuts, wie Gregor VII. es
als allgemein bekanntes Ergebnis der Geschichte hinstellt; der Teufel war dabei
thätig. Nach Thomas hat der Staat ebenso durch die Kirche Leben und Wirk¬
samkeit, wie der Leib durch die Seele. Die römischen Geistlichen stellen nach
dem amtlichen Katechismus (II, 2) Gott auf Erden dar. "sie werden daher mit
Recht Engel, auch Götter genannt," aber der Laie versteht davon nichts und
der Staat erst recht nichts. Wie sollte er denn etwas von Religion und Sitt¬
lichkeit verstehen? wie könnte er sich anmaßen, Schulen zu regieren? Er kann



*) Mejer, Die Naturgeschichte des Zentrums, 1882, S, 31.
Der Ramxf des Zentrums gegen die Staatsschule.

Wir haben das so harmlos hingeschrieben, ohne uns unterwegs zu unter¬
brechen, und wir sehen in der That, daß die Staatsrechtslehrer unsrer Tage
zu keinem wesentlich andern Ergebnis kommen. Nur verschiedne Gründe in der
Einwirkung des Staates auf die gesellschaftlichen Interessen kommen vor. Die
Fortschrittspartei will dem Staate viel weniger Einwirkung zugestehen als die
konservative. Aber ein grundsätzlicher Gegensatz findet nicht mehr statt.

Nur die katholische Theorie hat in einem Punkte eine völlig abweichende
Stellung, sie schreibt dem Staate zwar in Beziehung auf Recht und Wohlfahrt
gewisse, nicht unbedeutende Aufgaben zu, spricht ihm aber in allen Dingen, die
die katholische Kirche besorgen soll, jegliche Einsicht und daher jede Befugnis
selbständigen EinWirkens ab. Wie Mejer sagt, wird die Überzeugung des
Staates, er habe auch ein „Gewissen," von einem ultramontanen Schriftsteller
eine „unchristliche" Überzeugung genannt.*) Die Kirche soll dem Staate als
Ersatz des Gewissens dienen. Wie es kommt, daß die katholische Theorie den
Staat erst zu einem nicht-sittlichen Wesen erniedrigt, um ihm daraufhin nicht
bloß die kirchlichen Dinge, sondern auch die Erziehung zu entreißen, das ist
nicht schwierig zu erkennen.

Es ist zwar unrichtig, daß die katholische Richtung den Staat als solchen
gering schätze. Sie kann den Staat auf keine Weise entbehren, weil die Be¬
hütung des Rechtes erst das Zusammenleben der Gläubigen möglich macht. Sie
nennt den Staat in gewisser Beziehung nach Rom. 13 eine göttliche Ein¬
richtung, wenigstens in aostraot-o und sofern er der Kirche zu willen ist. Gleich
nach dem erlösenden Auftreten christlicher Kaiser im römischen Reiche wurde
sogar der christliche Kaiser ein Apostelgleicher und Gottgleicher genannt. Aber
der Unterschied zwischen Kirchlichen und Profanen war einmal so tief einge¬
prägt, daß es nie wieder zur vollen Würdigung des staatlichen Elements in
dem katholischen Denksystem kommen konnte. Der Staat hat nach dieser Auf¬
fassung durchweg der Kirche zu gehorchen (Friedbergs Kirchenrecht S. 31), er
hat ihr die Pflege aller ideellen Interessen, also auch der Schule, zu überlassen
und sich auf die der materiellen, die doch nur den ersteren dienstbar sein können,
zu beschränken. Denn der Staat ist an und für sich hurtig, kein Erzeugnis
Gottes selbst, sondern ein Produkt menschlichen Hochmuts, wie Gregor VII. es
als allgemein bekanntes Ergebnis der Geschichte hinstellt; der Teufel war dabei
thätig. Nach Thomas hat der Staat ebenso durch die Kirche Leben und Wirk¬
samkeit, wie der Leib durch die Seele. Die römischen Geistlichen stellen nach
dem amtlichen Katechismus (II, 2) Gott auf Erden dar. „sie werden daher mit
Recht Engel, auch Götter genannt," aber der Laie versteht davon nichts und
der Staat erst recht nichts. Wie sollte er denn etwas von Religion und Sitt¬
lichkeit verstehen? wie könnte er sich anmaßen, Schulen zu regieren? Er kann



*) Mejer, Die Naturgeschichte des Zentrums, 1882, S, 31.
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[0620] Der Ramxf des Zentrums gegen die Staatsschule. Wir haben das so harmlos hingeschrieben, ohne uns unterwegs zu unter¬ brechen, und wir sehen in der That, daß die Staatsrechtslehrer unsrer Tage zu keinem wesentlich andern Ergebnis kommen. Nur verschiedne Gründe in der Einwirkung des Staates auf die gesellschaftlichen Interessen kommen vor. Die Fortschrittspartei will dem Staate viel weniger Einwirkung zugestehen als die konservative. Aber ein grundsätzlicher Gegensatz findet nicht mehr statt. Nur die katholische Theorie hat in einem Punkte eine völlig abweichende Stellung, sie schreibt dem Staate zwar in Beziehung auf Recht und Wohlfahrt gewisse, nicht unbedeutende Aufgaben zu, spricht ihm aber in allen Dingen, die die katholische Kirche besorgen soll, jegliche Einsicht und daher jede Befugnis selbständigen EinWirkens ab. Wie Mejer sagt, wird die Überzeugung des Staates, er habe auch ein „Gewissen," von einem ultramontanen Schriftsteller eine „unchristliche" Überzeugung genannt.*) Die Kirche soll dem Staate als Ersatz des Gewissens dienen. Wie es kommt, daß die katholische Theorie den Staat erst zu einem nicht-sittlichen Wesen erniedrigt, um ihm daraufhin nicht bloß die kirchlichen Dinge, sondern auch die Erziehung zu entreißen, das ist nicht schwierig zu erkennen. Es ist zwar unrichtig, daß die katholische Richtung den Staat als solchen gering schätze. Sie kann den Staat auf keine Weise entbehren, weil die Be¬ hütung des Rechtes erst das Zusammenleben der Gläubigen möglich macht. Sie nennt den Staat in gewisser Beziehung nach Rom. 13 eine göttliche Ein¬ richtung, wenigstens in aostraot-o und sofern er der Kirche zu willen ist. Gleich nach dem erlösenden Auftreten christlicher Kaiser im römischen Reiche wurde sogar der christliche Kaiser ein Apostelgleicher und Gottgleicher genannt. Aber der Unterschied zwischen Kirchlichen und Profanen war einmal so tief einge¬ prägt, daß es nie wieder zur vollen Würdigung des staatlichen Elements in dem katholischen Denksystem kommen konnte. Der Staat hat nach dieser Auf¬ fassung durchweg der Kirche zu gehorchen (Friedbergs Kirchenrecht S. 31), er hat ihr die Pflege aller ideellen Interessen, also auch der Schule, zu überlassen und sich auf die der materiellen, die doch nur den ersteren dienstbar sein können, zu beschränken. Denn der Staat ist an und für sich hurtig, kein Erzeugnis Gottes selbst, sondern ein Produkt menschlichen Hochmuts, wie Gregor VII. es als allgemein bekanntes Ergebnis der Geschichte hinstellt; der Teufel war dabei thätig. Nach Thomas hat der Staat ebenso durch die Kirche Leben und Wirk¬ samkeit, wie der Leib durch die Seele. Die römischen Geistlichen stellen nach dem amtlichen Katechismus (II, 2) Gott auf Erden dar. „sie werden daher mit Recht Engel, auch Götter genannt," aber der Laie versteht davon nichts und der Staat erst recht nichts. Wie sollte er denn etwas von Religion und Sitt¬ lichkeit verstehen? wie könnte er sich anmaßen, Schulen zu regieren? Er kann *) Mejer, Die Naturgeschichte des Zentrums, 1882, S, 31.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/620>, abgerufen am 31.05.2024.