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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Hiddensee.

Zeitung 1886 erschienen), der geistvoll und launig die Eigenart des Landes und
seiner Bewohner zur Anschauung bringt. Hier soll nur von dem seltsamen
Namen der Insel die Rede sein, der zu allerlei Betrachtungen Anlaß bietet.
Von echtdeutschem Klänge, tritt er uns doch fremdartig genug entgegen, und
nach einer Deutung desselben sehen wir uns vergebens um.

Was zunächst die Schreibungen des Wortes betrifft, so teilt G. v. d. Lancken
bei Ersch und Gruber folgende Formen als noch jetzt oder ehemals gebräuchliche
mit: Hhthim, Haddescha, Hythims-Ö, Hyddens-O, Hudentze, Hithinsö, Hidden-
sehe. Dazu würde man noch das in Goethes "Sprüchen in Prosa" (Bd. 19,
Hempel, S. 156) gebrauchte Hiodensee anführen können, wenn es nicht klar wäre,
daß hier ein Schreib- oder Lesefehler des Dichters vorliegt. "Liebes gewaschenes
Seelchen -- heißt es hier -- ist der verliebteste Ausdruck auf Hiodensee."*)
G. v. Loeper, der in längerer Fußnote die Angabe des Dichters im allgemeinen
bestätigt und auf Ausdrücke, die noch jetzt auf der Insel gangbar sind, zurück¬
führt, setzt dabei Hiddensee gleich Hythimsö und erklärt dieses als Hütteninsel.
Das ist sicherlich verkehrt, aber bei andern findet sich nichts besseres. Förste-
mann stellt in seinem Namensbnche Hiddensö, was ja selbstverständlich ist, als
die Grundform fest, und wirft die Frage auf. ob der Name nicht etwa dänischen
Ursprunges sei. Auch Umdrehen in der "Volksetymologie" läßt sich auf eine
vollständige Erklärung des Wortes nicht ein. Selbst Otto Font, der gründliche
Kenner der baltischen Geschichte, erwähnt in seinem trefflichen Werke: "Nügensch-
Pvmmcrsche Geschichten" gelegentlich nur soviel, daß die Insel insuls, H^tuis
oder N^tuiro. bei Saxo, Lsäiuse^ in der Knytlingasaga genannt werde. Die
gangbaren geographischen Handbücher endlich geben wie die Neisebücher den
Namen in der einen oder andern der bekannten Schreibungen, übergehen aber,
soviel ich sehe, die Deutung oder geben unbrauchbare Erklärungen, wie sich
z. B. in einem der sogenannten Fremdenführer die Bemerkung findet, Hiddensee,
d. h. Hiddensö, stamme von dem dänischen Worte Hidda, welches Hütte bedeute.

Und doch ist die Sache einfach genug. Saxo Grammaticus erzählt nämlich
im fünften Buche seiner dänischen Geschichte, daß Hithinus und Hoginus, beide
Vasallen des mächtigen Dänenkönigs Frotho, der eine ein jüdischer, der andre
ein norwegischer Häuptling, sich a,MA insnlam, IIMiusocz gegenseitig im Kampfe
getötet hätten. Auch in den spätern Büchern des genannten Werkes, in welchen
die Eroberung Rügens durch die Dänen dargestellt wird, spielt die wsutg, Hi-
tuini als Landungsplatz, Rhede- und Flottenstation eine nicht unwichtige Rolle.
Denn nicht insrüg, UMis oder Hz^uim, welches die ältern Ausgaben bieten,
sondern iusulg. UMivi ist zu lesen, was denn auch von A. Holder in seiner



*) In manchen Ausgaben ist übrigens der Fehler von den Herausgebern beseitigt.
Fragt man nach der Quelle der Bemerkung, so liegt es nahe, an Kosegarten zu denken, mit
dem ja der Dichter in brieflicher Verbindung stand.
Hiddensee.

Zeitung 1886 erschienen), der geistvoll und launig die Eigenart des Landes und
seiner Bewohner zur Anschauung bringt. Hier soll nur von dem seltsamen
Namen der Insel die Rede sein, der zu allerlei Betrachtungen Anlaß bietet.
Von echtdeutschem Klänge, tritt er uns doch fremdartig genug entgegen, und
nach einer Deutung desselben sehen wir uns vergebens um.

Was zunächst die Schreibungen des Wortes betrifft, so teilt G. v. d. Lancken
bei Ersch und Gruber folgende Formen als noch jetzt oder ehemals gebräuchliche
mit: Hhthim, Haddescha, Hythims-Ö, Hyddens-O, Hudentze, Hithinsö, Hidden-
sehe. Dazu würde man noch das in Goethes „Sprüchen in Prosa" (Bd. 19,
Hempel, S. 156) gebrauchte Hiodensee anführen können, wenn es nicht klar wäre,
daß hier ein Schreib- oder Lesefehler des Dichters vorliegt. „Liebes gewaschenes
Seelchen — heißt es hier — ist der verliebteste Ausdruck auf Hiodensee."*)
G. v. Loeper, der in längerer Fußnote die Angabe des Dichters im allgemeinen
bestätigt und auf Ausdrücke, die noch jetzt auf der Insel gangbar sind, zurück¬
führt, setzt dabei Hiddensee gleich Hythimsö und erklärt dieses als Hütteninsel.
Das ist sicherlich verkehrt, aber bei andern findet sich nichts besseres. Förste-
mann stellt in seinem Namensbnche Hiddensö, was ja selbstverständlich ist, als
die Grundform fest, und wirft die Frage auf. ob der Name nicht etwa dänischen
Ursprunges sei. Auch Umdrehen in der „Volksetymologie" läßt sich auf eine
vollständige Erklärung des Wortes nicht ein. Selbst Otto Font, der gründliche
Kenner der baltischen Geschichte, erwähnt in seinem trefflichen Werke: „Nügensch-
Pvmmcrsche Geschichten" gelegentlich nur soviel, daß die Insel insuls, H^tuis
oder N^tuiro. bei Saxo, Lsäiuse^ in der Knytlingasaga genannt werde. Die
gangbaren geographischen Handbücher endlich geben wie die Neisebücher den
Namen in der einen oder andern der bekannten Schreibungen, übergehen aber,
soviel ich sehe, die Deutung oder geben unbrauchbare Erklärungen, wie sich
z. B. in einem der sogenannten Fremdenführer die Bemerkung findet, Hiddensee,
d. h. Hiddensö, stamme von dem dänischen Worte Hidda, welches Hütte bedeute.

Und doch ist die Sache einfach genug. Saxo Grammaticus erzählt nämlich
im fünften Buche seiner dänischen Geschichte, daß Hithinus und Hoginus, beide
Vasallen des mächtigen Dänenkönigs Frotho, der eine ein jüdischer, der andre
ein norwegischer Häuptling, sich a,MA insnlam, IIMiusocz gegenseitig im Kampfe
getötet hätten. Auch in den spätern Büchern des genannten Werkes, in welchen
die Eroberung Rügens durch die Dänen dargestellt wird, spielt die wsutg, Hi-
tuini als Landungsplatz, Rhede- und Flottenstation eine nicht unwichtige Rolle.
Denn nicht insrüg, UMis oder Hz^uim, welches die ältern Ausgaben bieten,
sondern iusulg. UMivi ist zu lesen, was denn auch von A. Holder in seiner



*) In manchen Ausgaben ist übrigens der Fehler von den Herausgebern beseitigt.
Fragt man nach der Quelle der Bemerkung, so liegt es nahe, an Kosegarten zu denken, mit
dem ja der Dichter in brieflicher Verbindung stand.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/624>, abgerufen am 09.06.2024.