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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die Bestrafung der Trunkenheit.

und der einseitigen privatrechtlichen Ausbildung der Juristen. Es stünde besser
um die Praxis des deutschen Strafrechtes, wenn dieser Umstand nicht zum
Merkmal für den Begriff des strafbaren Unrechtes gemacht worden wäre.
Es ist deshalb durchaus kein Grund vorhanden, dies bei der Bestrafung der
Trunkenheit abermals zu thun, und die Erfahrung in verschiednen Bundes¬
staaten, welche durch das Polizeistrafgesetz Betrunkene mit Strafe bedrohen,
wenn sie an öffentlichen Orten durch die Trunkenheit öffentliches Ärgernis er¬
regen, ist durchaus nicht geeignet, eine Nachahmung als angemessen erscheinen
zu lassen. Angemessener scheint es, die Trunkenheit stets dann zu bestrafen,
wenn sie geeignet war, Ärgernis zu erregen. Diese Fassung bietet vor jener
den bedeutenden Vorteil, daß bei ihr der Richter entscheidet, ob die Trunkenheit
habe Anstoß erregen können, und wenn auch die Mißbilligung der Völlerei
durch die deutschen Gerichte viel, sehr viel zu wünschen übrig läßt, so bedarf
es doch kaum der ausdrücklichen Bemerkung, daß der Richter im allgemeinen
die Trunkenheit doch nicht ganz so mild beurteilt wie der Durchschnittslaie.
Man macht nun allerdings gegen diese Fassung des Trunkenheitsvergehens
geltend, daß sie der weitesten Auslegung Spielraum lasse und demgemäß die
Gesahr der Anwendung des Gesetzes auch auf solche Fälle in sich schließe, bei
welchen dies nach Lage der Sache nicht gerechtfertigt erscheinen würde. Man
hat diese Bedenken auch in dem Vereine gegen den Mißbrauch geistiger Getränke
geltend gemacht und unter anderm darauf hingewiesen, daß nach dieser Fassung
auch Personen verurteilt werden könnten, welche von einer festlichen Vereinigung
angeheitert zurückkehren und in der Weinlaune sich zu einer an sich unbedeutenden
Ausschreitung hinreißen lassen. Diese Befürchtung ist gänzlich unbegründet; die
strafrechtliche Praxis in Deutschland, welche schon bisher mit dem Begriffe
"ärgcrniserregend" umgehen mußte (Strafgesetzbuch Z 360, Z. 13, Tierquälerei),
bietet keinen Anlaß zu der Behauptung, daß eine ausdehnende Auslegung zu
erwarten sei. Sodann muß aber betont werden, daß, wenn die öffentliche
Trunkenheit überhaupt bestraft werden soll, die gesellschaftliche Stellung des
Betrunkenen keinen Grund bietet, von der Strafe abzusehen oder auf ein milderes
Strafmaß zu erkennen. Der betrunkene Student und der bezechte Referendar
sollen ebensogut der Strafe unterliegen wie der Fabrikarbeiter und der Pack¬
träger, und es ist schwer zu verstehen, daß man in unserm Jahrhundert noch
meinen kann, die Ausschreitung, welche die Folge eines in der vornehmen Wein¬
stube angetrunkenen Rausches ist, sei anders zu beurteilen als die, die nach der
Sauferei in der Branntweinkneipe begangen wird; es kann nur als eine heil¬
same Wirkung der strafrechtlichen Ahndung betrachtet werden, wenn in der
Folge die bessere Gesellschaft Deutschlands die von Angehörigen ihres Standes
verübten Trunkenheitsvergehen schärfer beurteilt als jetzt.

Im Augenblick werden auf Veranlassung der Reichsregierung Anfragen
bei den Gemeindebehörden gehalten, um darnach zu beurteilen, in wie weit die


Die Bestrafung der Trunkenheit.

und der einseitigen privatrechtlichen Ausbildung der Juristen. Es stünde besser
um die Praxis des deutschen Strafrechtes, wenn dieser Umstand nicht zum
Merkmal für den Begriff des strafbaren Unrechtes gemacht worden wäre.
Es ist deshalb durchaus kein Grund vorhanden, dies bei der Bestrafung der
Trunkenheit abermals zu thun, und die Erfahrung in verschiednen Bundes¬
staaten, welche durch das Polizeistrafgesetz Betrunkene mit Strafe bedrohen,
wenn sie an öffentlichen Orten durch die Trunkenheit öffentliches Ärgernis er¬
regen, ist durchaus nicht geeignet, eine Nachahmung als angemessen erscheinen
zu lassen. Angemessener scheint es, die Trunkenheit stets dann zu bestrafen,
wenn sie geeignet war, Ärgernis zu erregen. Diese Fassung bietet vor jener
den bedeutenden Vorteil, daß bei ihr der Richter entscheidet, ob die Trunkenheit
habe Anstoß erregen können, und wenn auch die Mißbilligung der Völlerei
durch die deutschen Gerichte viel, sehr viel zu wünschen übrig läßt, so bedarf
es doch kaum der ausdrücklichen Bemerkung, daß der Richter im allgemeinen
die Trunkenheit doch nicht ganz so mild beurteilt wie der Durchschnittslaie.
Man macht nun allerdings gegen diese Fassung des Trunkenheitsvergehens
geltend, daß sie der weitesten Auslegung Spielraum lasse und demgemäß die
Gesahr der Anwendung des Gesetzes auch auf solche Fälle in sich schließe, bei
welchen dies nach Lage der Sache nicht gerechtfertigt erscheinen würde. Man
hat diese Bedenken auch in dem Vereine gegen den Mißbrauch geistiger Getränke
geltend gemacht und unter anderm darauf hingewiesen, daß nach dieser Fassung
auch Personen verurteilt werden könnten, welche von einer festlichen Vereinigung
angeheitert zurückkehren und in der Weinlaune sich zu einer an sich unbedeutenden
Ausschreitung hinreißen lassen. Diese Befürchtung ist gänzlich unbegründet; die
strafrechtliche Praxis in Deutschland, welche schon bisher mit dem Begriffe
„ärgcrniserregend" umgehen mußte (Strafgesetzbuch Z 360, Z. 13, Tierquälerei),
bietet keinen Anlaß zu der Behauptung, daß eine ausdehnende Auslegung zu
erwarten sei. Sodann muß aber betont werden, daß, wenn die öffentliche
Trunkenheit überhaupt bestraft werden soll, die gesellschaftliche Stellung des
Betrunkenen keinen Grund bietet, von der Strafe abzusehen oder auf ein milderes
Strafmaß zu erkennen. Der betrunkene Student und der bezechte Referendar
sollen ebensogut der Strafe unterliegen wie der Fabrikarbeiter und der Pack¬
träger, und es ist schwer zu verstehen, daß man in unserm Jahrhundert noch
meinen kann, die Ausschreitung, welche die Folge eines in der vornehmen Wein¬
stube angetrunkenen Rausches ist, sei anders zu beurteilen als die, die nach der
Sauferei in der Branntweinkneipe begangen wird; es kann nur als eine heil¬
same Wirkung der strafrechtlichen Ahndung betrachtet werden, wenn in der
Folge die bessere Gesellschaft Deutschlands die von Angehörigen ihres Standes
verübten Trunkenheitsvergehen schärfer beurteilt als jetzt.

Im Augenblick werden auf Veranlassung der Reichsregierung Anfragen
bei den Gemeindebehörden gehalten, um darnach zu beurteilen, in wie weit die


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[0075] Die Bestrafung der Trunkenheit. und der einseitigen privatrechtlichen Ausbildung der Juristen. Es stünde besser um die Praxis des deutschen Strafrechtes, wenn dieser Umstand nicht zum Merkmal für den Begriff des strafbaren Unrechtes gemacht worden wäre. Es ist deshalb durchaus kein Grund vorhanden, dies bei der Bestrafung der Trunkenheit abermals zu thun, und die Erfahrung in verschiednen Bundes¬ staaten, welche durch das Polizeistrafgesetz Betrunkene mit Strafe bedrohen, wenn sie an öffentlichen Orten durch die Trunkenheit öffentliches Ärgernis er¬ regen, ist durchaus nicht geeignet, eine Nachahmung als angemessen erscheinen zu lassen. Angemessener scheint es, die Trunkenheit stets dann zu bestrafen, wenn sie geeignet war, Ärgernis zu erregen. Diese Fassung bietet vor jener den bedeutenden Vorteil, daß bei ihr der Richter entscheidet, ob die Trunkenheit habe Anstoß erregen können, und wenn auch die Mißbilligung der Völlerei durch die deutschen Gerichte viel, sehr viel zu wünschen übrig läßt, so bedarf es doch kaum der ausdrücklichen Bemerkung, daß der Richter im allgemeinen die Trunkenheit doch nicht ganz so mild beurteilt wie der Durchschnittslaie. Man macht nun allerdings gegen diese Fassung des Trunkenheitsvergehens geltend, daß sie der weitesten Auslegung Spielraum lasse und demgemäß die Gesahr der Anwendung des Gesetzes auch auf solche Fälle in sich schließe, bei welchen dies nach Lage der Sache nicht gerechtfertigt erscheinen würde. Man hat diese Bedenken auch in dem Vereine gegen den Mißbrauch geistiger Getränke geltend gemacht und unter anderm darauf hingewiesen, daß nach dieser Fassung auch Personen verurteilt werden könnten, welche von einer festlichen Vereinigung angeheitert zurückkehren und in der Weinlaune sich zu einer an sich unbedeutenden Ausschreitung hinreißen lassen. Diese Befürchtung ist gänzlich unbegründet; die strafrechtliche Praxis in Deutschland, welche schon bisher mit dem Begriffe „ärgcrniserregend" umgehen mußte (Strafgesetzbuch Z 360, Z. 13, Tierquälerei), bietet keinen Anlaß zu der Behauptung, daß eine ausdehnende Auslegung zu erwarten sei. Sodann muß aber betont werden, daß, wenn die öffentliche Trunkenheit überhaupt bestraft werden soll, die gesellschaftliche Stellung des Betrunkenen keinen Grund bietet, von der Strafe abzusehen oder auf ein milderes Strafmaß zu erkennen. Der betrunkene Student und der bezechte Referendar sollen ebensogut der Strafe unterliegen wie der Fabrikarbeiter und der Pack¬ träger, und es ist schwer zu verstehen, daß man in unserm Jahrhundert noch meinen kann, die Ausschreitung, welche die Folge eines in der vornehmen Wein¬ stube angetrunkenen Rausches ist, sei anders zu beurteilen als die, die nach der Sauferei in der Branntweinkneipe begangen wird; es kann nur als eine heil¬ same Wirkung der strafrechtlichen Ahndung betrachtet werden, wenn in der Folge die bessere Gesellschaft Deutschlands die von Angehörigen ihres Standes verübten Trunkenheitsvergehen schärfer beurteilt als jetzt. Im Augenblick werden auf Veranlassung der Reichsregierung Anfragen bei den Gemeindebehörden gehalten, um darnach zu beurteilen, in wie weit die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/75>, abgerufen am 29.05.2024.