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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die Bestrafung der Trunkenheit.

Reichsgesetzgebung in der Lage sei, den auf Bestrafung der Trunkenheit, Ent¬
mündigung von Gewohnheitstrinkern, Zwangsheilung derselben u. s. w. gerichteten
Wünschen des Vereins gegen den Mißbrauch geistiger Getränke zu entsprechen.
Obgleich diese zur Zeit noch nicht abgeschlossen sind, läßt sich doch aus den
bisher in die Öffentlichkeit gedrungenen Mitteilungen so viel entnehmen, daß die
Bestrafung der ärgeruiserregenden Trunkenheit der großen Mehrheit der be¬
fragten Behörden überaus wünschenswert erscheint, und es ist daher die Hoff¬
nung nicht unbegründet, daß das deutsche Strafrecht wohl bald eine der
notwendigsten und dringlichsten Ergänzungen erhalten wird. Über die mutma߬
lichen Wirkungen dieser Neuerung ein Urteil abzugeben, ist schwierig, wenn
nicht geradezu unmöglich, da es ganz auf die Art und Weise ankommt, wie
die Rechtsprechung das neue Gebot anwenden wird. In Frankreich und den
Niederlanden macht man von den Strafbestimmungen gegen die Trunkenheit
einen ausgedehnten, energischen Gebrauch, und die Zahl der in beiden Ländern
auf Grund derselben verurteilten Personen erreicht eine sehr beträchtliche Höhe;
die Strafen, die man dort ausspricht, bewegen sich auch nicht mit einseitiger
Vorliebe um die niedrigsten Maße des Gesetzes, sondern sie steigen bis zu einer
ganz empfindlichen Stufe. Dieser vernünftigen, zweckentsprechenden Rechtspflege
der französischen Magistratur ist es zuzuschreiben, wenn die erzieherische Wirk¬
samkeit des Gesetzes von 1873 mit jedem Jahre mehr hervortritt. Nachdem es
nunmehr seit vierzehn Jahren in Geltung steht, darf man wohl die seither
bezüglich seiner Wirksamkeit gemachten Erfahrungen für genügend erachten, um
die Behauptung aufzustellen, es habe sich als Kampfmittel gegen Völlerei
durchaus bewährt. Ob man in Deutschland zu dem gleichen Ergebnis gelangen
wird, ist zweifelhaft. Die unverständige Neigung zur Milde, welche in der
deutschen Rechtspflege herrscht, und die geradezu unerhörte Berücksichtigung, die
man jetzt der Trunkenheit als Strafansschließungs- und Strafmindernngsgrund
schenkt, sind nicht geeignet, große Hoffnungen zu nähren; es ist im Gegenteil
zu befürchten, daß die Rechtsprechung die geringste Strafe des Trunkenheitsgesetzes
in den meisten Fällen zur Anwendung bringen und so die strafrechtliche Ahndung
zu einem Zerrbilde machen wird, es muß ernstlich besorgt werden, daß die
alberne Sentimentalität und der kindische Humanitätsdusel sich bei Anwendung
dieses Strafgesetzes in demselben verhängnisvollen Grade geltend machen werden,
wie bei der des deutschen Strafgesetzbuches. Mau wird also gut daran thun,
auf eine baldige erzieherische Wirkung eines Strafgesetzes gegen die Trunken¬
heit nicht allzu große Hoffnungen zu setzen, um vor der sonst schwerlich zu
vermeidenden Enttäuschung behütet zu werden. Allein wenn auch die prak¬
tischen Ergebnisse vielleicht nicht so bald zum Vorschein kämen, so wäre doch
schon die Bestrafung der Trunkenheit ein wichtiger Fortschritt. Durch sie
spräche der Staat in der schärfsten Form seine Mißbilligung der Trunkenheit
aus, durch sie bekundete er, daß dieser Zustand nicht nur die Sitte, sondern


Die Bestrafung der Trunkenheit.

Reichsgesetzgebung in der Lage sei, den auf Bestrafung der Trunkenheit, Ent¬
mündigung von Gewohnheitstrinkern, Zwangsheilung derselben u. s. w. gerichteten
Wünschen des Vereins gegen den Mißbrauch geistiger Getränke zu entsprechen.
Obgleich diese zur Zeit noch nicht abgeschlossen sind, läßt sich doch aus den
bisher in die Öffentlichkeit gedrungenen Mitteilungen so viel entnehmen, daß die
Bestrafung der ärgeruiserregenden Trunkenheit der großen Mehrheit der be¬
fragten Behörden überaus wünschenswert erscheint, und es ist daher die Hoff¬
nung nicht unbegründet, daß das deutsche Strafrecht wohl bald eine der
notwendigsten und dringlichsten Ergänzungen erhalten wird. Über die mutma߬
lichen Wirkungen dieser Neuerung ein Urteil abzugeben, ist schwierig, wenn
nicht geradezu unmöglich, da es ganz auf die Art und Weise ankommt, wie
die Rechtsprechung das neue Gebot anwenden wird. In Frankreich und den
Niederlanden macht man von den Strafbestimmungen gegen die Trunkenheit
einen ausgedehnten, energischen Gebrauch, und die Zahl der in beiden Ländern
auf Grund derselben verurteilten Personen erreicht eine sehr beträchtliche Höhe;
die Strafen, die man dort ausspricht, bewegen sich auch nicht mit einseitiger
Vorliebe um die niedrigsten Maße des Gesetzes, sondern sie steigen bis zu einer
ganz empfindlichen Stufe. Dieser vernünftigen, zweckentsprechenden Rechtspflege
der französischen Magistratur ist es zuzuschreiben, wenn die erzieherische Wirk¬
samkeit des Gesetzes von 1873 mit jedem Jahre mehr hervortritt. Nachdem es
nunmehr seit vierzehn Jahren in Geltung steht, darf man wohl die seither
bezüglich seiner Wirksamkeit gemachten Erfahrungen für genügend erachten, um
die Behauptung aufzustellen, es habe sich als Kampfmittel gegen Völlerei
durchaus bewährt. Ob man in Deutschland zu dem gleichen Ergebnis gelangen
wird, ist zweifelhaft. Die unverständige Neigung zur Milde, welche in der
deutschen Rechtspflege herrscht, und die geradezu unerhörte Berücksichtigung, die
man jetzt der Trunkenheit als Strafansschließungs- und Strafmindernngsgrund
schenkt, sind nicht geeignet, große Hoffnungen zu nähren; es ist im Gegenteil
zu befürchten, daß die Rechtsprechung die geringste Strafe des Trunkenheitsgesetzes
in den meisten Fällen zur Anwendung bringen und so die strafrechtliche Ahndung
zu einem Zerrbilde machen wird, es muß ernstlich besorgt werden, daß die
alberne Sentimentalität und der kindische Humanitätsdusel sich bei Anwendung
dieses Strafgesetzes in demselben verhängnisvollen Grade geltend machen werden,
wie bei der des deutschen Strafgesetzbuches. Mau wird also gut daran thun,
auf eine baldige erzieherische Wirkung eines Strafgesetzes gegen die Trunken¬
heit nicht allzu große Hoffnungen zu setzen, um vor der sonst schwerlich zu
vermeidenden Enttäuschung behütet zu werden. Allein wenn auch die prak¬
tischen Ergebnisse vielleicht nicht so bald zum Vorschein kämen, so wäre doch
schon die Bestrafung der Trunkenheit ein wichtiger Fortschritt. Durch sie
spräche der Staat in der schärfsten Form seine Mißbilligung der Trunkenheit
aus, durch sie bekundete er, daß dieser Zustand nicht nur die Sitte, sondern


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[0076] Die Bestrafung der Trunkenheit. Reichsgesetzgebung in der Lage sei, den auf Bestrafung der Trunkenheit, Ent¬ mündigung von Gewohnheitstrinkern, Zwangsheilung derselben u. s. w. gerichteten Wünschen des Vereins gegen den Mißbrauch geistiger Getränke zu entsprechen. Obgleich diese zur Zeit noch nicht abgeschlossen sind, läßt sich doch aus den bisher in die Öffentlichkeit gedrungenen Mitteilungen so viel entnehmen, daß die Bestrafung der ärgeruiserregenden Trunkenheit der großen Mehrheit der be¬ fragten Behörden überaus wünschenswert erscheint, und es ist daher die Hoff¬ nung nicht unbegründet, daß das deutsche Strafrecht wohl bald eine der notwendigsten und dringlichsten Ergänzungen erhalten wird. Über die mutma߬ lichen Wirkungen dieser Neuerung ein Urteil abzugeben, ist schwierig, wenn nicht geradezu unmöglich, da es ganz auf die Art und Weise ankommt, wie die Rechtsprechung das neue Gebot anwenden wird. In Frankreich und den Niederlanden macht man von den Strafbestimmungen gegen die Trunkenheit einen ausgedehnten, energischen Gebrauch, und die Zahl der in beiden Ländern auf Grund derselben verurteilten Personen erreicht eine sehr beträchtliche Höhe; die Strafen, die man dort ausspricht, bewegen sich auch nicht mit einseitiger Vorliebe um die niedrigsten Maße des Gesetzes, sondern sie steigen bis zu einer ganz empfindlichen Stufe. Dieser vernünftigen, zweckentsprechenden Rechtspflege der französischen Magistratur ist es zuzuschreiben, wenn die erzieherische Wirk¬ samkeit des Gesetzes von 1873 mit jedem Jahre mehr hervortritt. Nachdem es nunmehr seit vierzehn Jahren in Geltung steht, darf man wohl die seither bezüglich seiner Wirksamkeit gemachten Erfahrungen für genügend erachten, um die Behauptung aufzustellen, es habe sich als Kampfmittel gegen Völlerei durchaus bewährt. Ob man in Deutschland zu dem gleichen Ergebnis gelangen wird, ist zweifelhaft. Die unverständige Neigung zur Milde, welche in der deutschen Rechtspflege herrscht, und die geradezu unerhörte Berücksichtigung, die man jetzt der Trunkenheit als Strafansschließungs- und Strafmindernngsgrund schenkt, sind nicht geeignet, große Hoffnungen zu nähren; es ist im Gegenteil zu befürchten, daß die Rechtsprechung die geringste Strafe des Trunkenheitsgesetzes in den meisten Fällen zur Anwendung bringen und so die strafrechtliche Ahndung zu einem Zerrbilde machen wird, es muß ernstlich besorgt werden, daß die alberne Sentimentalität und der kindische Humanitätsdusel sich bei Anwendung dieses Strafgesetzes in demselben verhängnisvollen Grade geltend machen werden, wie bei der des deutschen Strafgesetzbuches. Mau wird also gut daran thun, auf eine baldige erzieherische Wirkung eines Strafgesetzes gegen die Trunken¬ heit nicht allzu große Hoffnungen zu setzen, um vor der sonst schwerlich zu vermeidenden Enttäuschung behütet zu werden. Allein wenn auch die prak¬ tischen Ergebnisse vielleicht nicht so bald zum Vorschein kämen, so wäre doch schon die Bestrafung der Trunkenheit ein wichtiger Fortschritt. Durch sie spräche der Staat in der schärfsten Form seine Mißbilligung der Trunkenheit aus, durch sie bekundete er, daß dieser Zustand nicht nur die Sitte, sondern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/76>, abgerufen am 14.05.2024.