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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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zu keinem Turmbau vou Babel kommen wird, namentlich sind Ungarn und
Deutsche zwei Hälften, die kein Ganzes ausmachen. Ein junger ungarischer
Advokat war ganz der Typus eines Vollblutmagyaren, die Großmachtspolitik
seines Vaterlandes war für ihn das einzige Ziel; ein siebenbürger Sachse klagte
heimlich über die Unterdrückung seiner Nation, wie man selbst in den Volks¬
schulen die angestammte deutsche Sprache zu Gunsten der ungarischen vernichte,
das Provinzialvermögen in den allgemeinen Staatssäckel aufgehen lasse und an
sich reiße, was deutscher Fleiß seit Jahrhunderten erspart habe. Dem Ungarn
gegenüber mußte er freilich zugestehen, daß die siebenbürgischen Eigentümlichkeiten
zum Teil auf Privilegien beruhe", die sich mit der modernen konstitutionellen
Schablone nicht im Einklang befinden. Ein höherer österreichischer Beamter, der
mehrere Jahre im diplomatischen Dienste bei den verschiedenen Balkanländerii
war, erzählte von der inneren Haltlosigkeit z. B. des neuen Bulgariens, welches
lediglich den äußeren Schein und die bestechenden Formen der europäischen Kul¬
tur angenommen habe, sie aber dadurch, daß die Bildung nicht gründlich und
von unten anfange, zu einem Zerrbild mache. Was sich andre Nationen in dem
Ringen von Jahrhunderten erworben hätten, wolle man hier in einem Augenblicke
erreichen. Ein Bulgare aus den bessern Ständen, der die Erfolge eines in
Sofia angestellten deutschen Ingenieurs gesehen, habe diesem eine große Summe
versprochen, wenn er seinem jungen Sohne in sechs Monaten die Fähigkeit, eine
Eisenbahn zu bauen, beibringe. So, versicherte unser Reisegefährte, denke man
in allen diesen Ländern auch von dem Aufbaue eines Staatswesens; da aber
Ehrlichkeit und Fleiß nicht dekretirt und ein gewissenhafter Beamtenstand nicht
dnrch eine papierne Verfassung voll tönender Phrasen ins Leben gerufen werden
können, so sei überall die Verwaltung elend, Betrug und Bestechung an der
Tagesordnung. Er nannte eine Stadt, wo der Prüfekt ein ehemaliger Advokaten-
schrciber aus Wien und der Präsident des Appellationsgerichtes ein früherer
Krämer aus Konstantinopel ist, die beide ihre Stellung benutzt haben, um
schnell reich zu werden. Dann waren einige Armenier an Bord, darunter ein
hoher türkischer Militärarzt, welche mit tiefem Schmerz die Ufer betrachteten,
die der Herrschaft des Halbmondes entrissen waren; ich brauche uicht erst zu
erwähnen, daß auch für dieses Unglück Bismarck verantwortlich gemacht wurde,
hatte doch der Erzähler seine Ausbildung in Paris genossen, von wo er jetzt
wieder einmal nach einem längern Aufenthalte zurückkehrte. Auch das mag
nicht wenig zu den innern Gegensätzen in diesen Ländern beitragen, daß sich die
höhern Stände ihre Bildung oder doch ihren äußeren Schliff aus den ver¬
schiedensten Hauptstädten Europas holen und von dort mir halb verstandene,
aber immer unversöhnliche Gegensätze in die Heimat tragen. Endlich gab es
in unsrer Gruppe noch eine junge Levantinerin aus Konstantinopel, die mit
ihrem Mciuue uach eiuer längeren Reise durch Italien und Österreich nach Hause
zurückkehrte und immer nur von dem Bosporus schwärmte. Sie verdient, daß


Line Fahrt in den Grient.

zu keinem Turmbau vou Babel kommen wird, namentlich sind Ungarn und
Deutsche zwei Hälften, die kein Ganzes ausmachen. Ein junger ungarischer
Advokat war ganz der Typus eines Vollblutmagyaren, die Großmachtspolitik
seines Vaterlandes war für ihn das einzige Ziel; ein siebenbürger Sachse klagte
heimlich über die Unterdrückung seiner Nation, wie man selbst in den Volks¬
schulen die angestammte deutsche Sprache zu Gunsten der ungarischen vernichte,
das Provinzialvermögen in den allgemeinen Staatssäckel aufgehen lasse und an
sich reiße, was deutscher Fleiß seit Jahrhunderten erspart habe. Dem Ungarn
gegenüber mußte er freilich zugestehen, daß die siebenbürgischen Eigentümlichkeiten
zum Teil auf Privilegien beruhe», die sich mit der modernen konstitutionellen
Schablone nicht im Einklang befinden. Ein höherer österreichischer Beamter, der
mehrere Jahre im diplomatischen Dienste bei den verschiedenen Balkanländerii
war, erzählte von der inneren Haltlosigkeit z. B. des neuen Bulgariens, welches
lediglich den äußeren Schein und die bestechenden Formen der europäischen Kul¬
tur angenommen habe, sie aber dadurch, daß die Bildung nicht gründlich und
von unten anfange, zu einem Zerrbild mache. Was sich andre Nationen in dem
Ringen von Jahrhunderten erworben hätten, wolle man hier in einem Augenblicke
erreichen. Ein Bulgare aus den bessern Ständen, der die Erfolge eines in
Sofia angestellten deutschen Ingenieurs gesehen, habe diesem eine große Summe
versprochen, wenn er seinem jungen Sohne in sechs Monaten die Fähigkeit, eine
Eisenbahn zu bauen, beibringe. So, versicherte unser Reisegefährte, denke man
in allen diesen Ländern auch von dem Aufbaue eines Staatswesens; da aber
Ehrlichkeit und Fleiß nicht dekretirt und ein gewissenhafter Beamtenstand nicht
dnrch eine papierne Verfassung voll tönender Phrasen ins Leben gerufen werden
können, so sei überall die Verwaltung elend, Betrug und Bestechung an der
Tagesordnung. Er nannte eine Stadt, wo der Prüfekt ein ehemaliger Advokaten-
schrciber aus Wien und der Präsident des Appellationsgerichtes ein früherer
Krämer aus Konstantinopel ist, die beide ihre Stellung benutzt haben, um
schnell reich zu werden. Dann waren einige Armenier an Bord, darunter ein
hoher türkischer Militärarzt, welche mit tiefem Schmerz die Ufer betrachteten,
die der Herrschaft des Halbmondes entrissen waren; ich brauche uicht erst zu
erwähnen, daß auch für dieses Unglück Bismarck verantwortlich gemacht wurde,
hatte doch der Erzähler seine Ausbildung in Paris genossen, von wo er jetzt
wieder einmal nach einem längern Aufenthalte zurückkehrte. Auch das mag
nicht wenig zu den innern Gegensätzen in diesen Ländern beitragen, daß sich die
höhern Stände ihre Bildung oder doch ihren äußeren Schliff aus den ver¬
schiedensten Hauptstädten Europas holen und von dort mir halb verstandene,
aber immer unversöhnliche Gegensätze in die Heimat tragen. Endlich gab es
in unsrer Gruppe noch eine junge Levantinerin aus Konstantinopel, die mit
ihrem Mciuue uach eiuer längeren Reise durch Italien und Österreich nach Hause
zurückkehrte und immer nur von dem Bosporus schwärmte. Sie verdient, daß


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[0103] Line Fahrt in den Grient. zu keinem Turmbau vou Babel kommen wird, namentlich sind Ungarn und Deutsche zwei Hälften, die kein Ganzes ausmachen. Ein junger ungarischer Advokat war ganz der Typus eines Vollblutmagyaren, die Großmachtspolitik seines Vaterlandes war für ihn das einzige Ziel; ein siebenbürger Sachse klagte heimlich über die Unterdrückung seiner Nation, wie man selbst in den Volks¬ schulen die angestammte deutsche Sprache zu Gunsten der ungarischen vernichte, das Provinzialvermögen in den allgemeinen Staatssäckel aufgehen lasse und an sich reiße, was deutscher Fleiß seit Jahrhunderten erspart habe. Dem Ungarn gegenüber mußte er freilich zugestehen, daß die siebenbürgischen Eigentümlichkeiten zum Teil auf Privilegien beruhe», die sich mit der modernen konstitutionellen Schablone nicht im Einklang befinden. Ein höherer österreichischer Beamter, der mehrere Jahre im diplomatischen Dienste bei den verschiedenen Balkanländerii war, erzählte von der inneren Haltlosigkeit z. B. des neuen Bulgariens, welches lediglich den äußeren Schein und die bestechenden Formen der europäischen Kul¬ tur angenommen habe, sie aber dadurch, daß die Bildung nicht gründlich und von unten anfange, zu einem Zerrbild mache. Was sich andre Nationen in dem Ringen von Jahrhunderten erworben hätten, wolle man hier in einem Augenblicke erreichen. Ein Bulgare aus den bessern Ständen, der die Erfolge eines in Sofia angestellten deutschen Ingenieurs gesehen, habe diesem eine große Summe versprochen, wenn er seinem jungen Sohne in sechs Monaten die Fähigkeit, eine Eisenbahn zu bauen, beibringe. So, versicherte unser Reisegefährte, denke man in allen diesen Ländern auch von dem Aufbaue eines Staatswesens; da aber Ehrlichkeit und Fleiß nicht dekretirt und ein gewissenhafter Beamtenstand nicht dnrch eine papierne Verfassung voll tönender Phrasen ins Leben gerufen werden können, so sei überall die Verwaltung elend, Betrug und Bestechung an der Tagesordnung. Er nannte eine Stadt, wo der Prüfekt ein ehemaliger Advokaten- schrciber aus Wien und der Präsident des Appellationsgerichtes ein früherer Krämer aus Konstantinopel ist, die beide ihre Stellung benutzt haben, um schnell reich zu werden. Dann waren einige Armenier an Bord, darunter ein hoher türkischer Militärarzt, welche mit tiefem Schmerz die Ufer betrachteten, die der Herrschaft des Halbmondes entrissen waren; ich brauche uicht erst zu erwähnen, daß auch für dieses Unglück Bismarck verantwortlich gemacht wurde, hatte doch der Erzähler seine Ausbildung in Paris genossen, von wo er jetzt wieder einmal nach einem längern Aufenthalte zurückkehrte. Auch das mag nicht wenig zu den innern Gegensätzen in diesen Ländern beitragen, daß sich die höhern Stände ihre Bildung oder doch ihren äußeren Schliff aus den ver¬ schiedensten Hauptstädten Europas holen und von dort mir halb verstandene, aber immer unversöhnliche Gegensätze in die Heimat tragen. Endlich gab es in unsrer Gruppe noch eine junge Levantinerin aus Konstantinopel, die mit ihrem Mciuue uach eiuer längeren Reise durch Italien und Österreich nach Hause zurückkehrte und immer nur von dem Bosporus schwärmte. Sie verdient, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/103>, abgerufen am 05.06.2024.