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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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zurückkehrten, fanden wir dort die Leute in großer Aufregung. Ein junger
Hamburger Handlungsreisender war von einem bürgerlich gekleideten Manne nach
seinem Paß befragt worden. Der Hamburger hatte versprochen, dem Verlangen
nachzukommen, falls sich der Fragende, der sich Polizeikommissar naunte, als
solcher aufweise. Darauf hätte dieser eiuen Heiducken vom Laude geholt und
den Deutschen verhaften lassen. Während wir uns die Einzelheiten des Vorfalls
erzählen ließen, kam der Hamburger zurück und teilte uns mit, daß er wegen
Widerstandes gegen die Staatsgewalt zu 2^ Tagen Gefängnis oder 25 Gulden
Geldstrafe verurteilt sei. Letztere habe er uicht erlegen können und sei nur
durch die Bürgschaft eines Geschäftsfreundes wieder freigelassen worden. Der
Unwille, der über dieses Verfahren herrschte, war allgemein und wurde namentlich
auch von dem Kommandanten des Schiffes geteilt. Natürlich sollte sofort wieder
von -- Vismarck Abhilfe geschafft werden. Es kostete uns einige Mühe, die
Aufgeregten zu beschwichtigen. Übergriffe der Polizei kommen auch in zivilisirten
Ländern vor, und eine Beschwerde ist uur dann an die heimatliche Regierung
berechtigt, wenn im Lande selbst gegen jene Übergriffe keine Abhilfe gewährt
wird. Wir traten daher mit dem Kommandanten und dem österreichischen
Beamten zu einem Komitee zusammen, setzten sür unsern beleidigten Lnndsmcmn
eine Beschwerde und eine Vollmacht für einen Advokaten auf und rieten, erst
dann bei dem Auswärtigen Amt Genugthuung zu suche", wenn die ungarische
Regierung eine solche verweigern würde. So legten wir uns mit dem Bewußtsein
zur Ruhe, für die Aufrechthaltung des europäischen Friedens das Unsrige bei¬
getragen und die guten Beziehungen zwischen dem deutscheu Reiche und Ungarn
nicht gestört zu haben.

Aus Abend und Morgen war der dritte Tag geworden, freilich nicht ganz,
denn schon um vier Uhr begann wieder der allgemeine Aufstand. Diesmal mit
mehr Berechtigung als Tags zuvor. Wir mußten nämlich, da in der Nähe
des eisernen Thors die Donan ihrer Riffe und Wirbel wegen nur leichte Schiffe
zuläßt, ein kleineres Fahrzeug besteigen, das schon um fünf Uhr Orsova verließ
und uus durch den schmal gewordenen Strom mit seinen zahllosen Klippen
und Felsbänken in hvchrvmnntischer Gegend schon nach einer Stunde nach
Turu-Severin brachte, wo wir wieder in ein größeres Fahrzeug verladen wurden.
Wir hatten auch hier wieder Zeit, an das Land zu gehen, obwohl der Ort nur
noch seinem Namen nach an den römischen Kaiser Severus erinnert. Die Be¬
wohner möchten schwerlich Anspruch erheben, für Nachkommen der römischen
Kolonisten zu gelten, als welche sich die modernen Rumänen fo gern bezeichnen.
Sieht man die kleinen Gestalten mit ihren weißen Hemden, über welchen sie
einen weißen Schafpelz tragen, der noch die rauhe Außenseite zeigt, so möchte
man glauben, daß die europäische Zivilisation noch weit vor den Thoren Halt
gemacht habe. Die schönste Gegend hatten wir hinter uns, die Ufer wurden
flacher und öder, doch erschienen ab und zu Städte, welche, wie Kalafat und


Grenzboten IV. 1887. 1"
Line Fahrt in de>, Vrient.

zurückkehrten, fanden wir dort die Leute in großer Aufregung. Ein junger
Hamburger Handlungsreisender war von einem bürgerlich gekleideten Manne nach
seinem Paß befragt worden. Der Hamburger hatte versprochen, dem Verlangen
nachzukommen, falls sich der Fragende, der sich Polizeikommissar naunte, als
solcher aufweise. Darauf hätte dieser eiuen Heiducken vom Laude geholt und
den Deutschen verhaften lassen. Während wir uns die Einzelheiten des Vorfalls
erzählen ließen, kam der Hamburger zurück und teilte uns mit, daß er wegen
Widerstandes gegen die Staatsgewalt zu 2^ Tagen Gefängnis oder 25 Gulden
Geldstrafe verurteilt sei. Letztere habe er uicht erlegen können und sei nur
durch die Bürgschaft eines Geschäftsfreundes wieder freigelassen worden. Der
Unwille, der über dieses Verfahren herrschte, war allgemein und wurde namentlich
auch von dem Kommandanten des Schiffes geteilt. Natürlich sollte sofort wieder
von — Vismarck Abhilfe geschafft werden. Es kostete uns einige Mühe, die
Aufgeregten zu beschwichtigen. Übergriffe der Polizei kommen auch in zivilisirten
Ländern vor, und eine Beschwerde ist uur dann an die heimatliche Regierung
berechtigt, wenn im Lande selbst gegen jene Übergriffe keine Abhilfe gewährt
wird. Wir traten daher mit dem Kommandanten und dem österreichischen
Beamten zu einem Komitee zusammen, setzten sür unsern beleidigten Lnndsmcmn
eine Beschwerde und eine Vollmacht für einen Advokaten auf und rieten, erst
dann bei dem Auswärtigen Amt Genugthuung zu suche», wenn die ungarische
Regierung eine solche verweigern würde. So legten wir uns mit dem Bewußtsein
zur Ruhe, für die Aufrechthaltung des europäischen Friedens das Unsrige bei¬
getragen und die guten Beziehungen zwischen dem deutscheu Reiche und Ungarn
nicht gestört zu haben.

Aus Abend und Morgen war der dritte Tag geworden, freilich nicht ganz,
denn schon um vier Uhr begann wieder der allgemeine Aufstand. Diesmal mit
mehr Berechtigung als Tags zuvor. Wir mußten nämlich, da in der Nähe
des eisernen Thors die Donan ihrer Riffe und Wirbel wegen nur leichte Schiffe
zuläßt, ein kleineres Fahrzeug besteigen, das schon um fünf Uhr Orsova verließ
und uus durch den schmal gewordenen Strom mit seinen zahllosen Klippen
und Felsbänken in hvchrvmnntischer Gegend schon nach einer Stunde nach
Turu-Severin brachte, wo wir wieder in ein größeres Fahrzeug verladen wurden.
Wir hatten auch hier wieder Zeit, an das Land zu gehen, obwohl der Ort nur
noch seinem Namen nach an den römischen Kaiser Severus erinnert. Die Be¬
wohner möchten schwerlich Anspruch erheben, für Nachkommen der römischen
Kolonisten zu gelten, als welche sich die modernen Rumänen fo gern bezeichnen.
Sieht man die kleinen Gestalten mit ihren weißen Hemden, über welchen sie
einen weißen Schafpelz tragen, der noch die rauhe Außenseite zeigt, so möchte
man glauben, daß die europäische Zivilisation noch weit vor den Thoren Halt
gemacht habe. Die schönste Gegend hatten wir hinter uns, die Ufer wurden
flacher und öder, doch erschienen ab und zu Städte, welche, wie Kalafat und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/105>, abgerufen am 15.06.2024.