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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Überproduktion.

Wenn diese Menge nicht verbraucht wird, so liegt das nicht daran, daß das
Bedürfnis nicht vorhanden wäre. Es würden diese Millionen Kilo Zucker mit
Leichtigkeit verbraucht werden können, und die Ernährung der Nation würde
dadurch wesentlich aufgebessert werden. Wenn es trotzdem nicht geschieht, so
liegt der Grund einzig und allein darin, daß diejenigen, welche den Zucker ver¬
zehren möchten, nicht in der Lage sind, ihn zu bezahlen.

Ganz anders als mit dem Bedürfnis steht es mit der Kanfkraft. Sie ist
eine gegebene Größe, ist nicht erweiterungsfähig, geschweige denn unbegrenzt.
Auf die einzelnen Gegenstände des Verbrauchs wird von den vorhandnen Mitteln
der Bevölkerung soviel verwandt, als die Notwendigkeit der Erlangung der¬
selben vorschreibt und bei einer kleinern Zahl von Konsumenten, die sich in
besserer Lage befinden, durch Geschmack und Liebhaberei bestimmt wird.

Ist aber das Bedürfnis dehnbar und unbegrenzt, so kann von einer all¬
gemeinen Überproduktion über das Bedürfnis hinaus nicht die Rede sein. Wohl
könnten bestimmte Verbrauchsgegcnstünde vorübergehend in zu großer Masse
hervorgebracht werden. So könnte man sich denken, daß in einem Gemein¬
wesen, in welchem alle Bedürfnisse vollauf Befriedigung finden, mehr Hüte ge¬
fertigt worden wären, als erforderlich sind. Denn der Bedarf wäre ja befriedigt,
wenn jedermann mit einem neuen guten Hute versehen wäre. Aber man könnte
sich kaum eine Vorstellung davon machen, daß auch bei den Gegenständen des
Luxus, des Geschmacks, des Vergnügens eine Produktion über das Bedürfnis
hinaus eintreten könnte. Mithin kann man anch eine allgemeine Überproduktion
gegenüber dem Bedürfnis nicht fiir möglich halten.

Ganz anders verhält es sich, wenn man die Knufkraft der Produktion
gegenüberstellt. Die Kaufkraft ist beschränkt und nicht beliebig erweiterungs¬
fähig; die Möglichkeit der Produktion aber muß in gegenwärtiger Zeit als un¬
begrenzt gelten. Die Hilfsmittel, welche der Produktion zu Gebote stehen, siud
Kor solcher Ausdehnung, daß man kaum sagen kann, daß irgend ein Zweig der¬
selben über einen bestimmten Punkt hinaus nicht mehr erweiterungsfähig wäre.
Wenn am Anfang des Jahrhunderts Malthus behauptet hat. daß die Zahl
der Menschen rascher wachse als die Möglichkeit, sie zu ernähren, so hat die
Geschichte der Volkswirtschaft seitdem den Beweis geliefert, daß seine Behaup¬
tung vor der Hand keine Giltigkeit beanspruchen kann. Auf allen Gebieten
menschlicher Thätigkeit hat eine riesige Erweiterung der Produktion stattgefunden.
Es fragt sich nnr. ob eine kaufkräftige Nachfrage stattfindet; in diesem Falle
wird das Begehrte auch sicherlich hergestellt. Man kann sogar noch weiter
gehen und kann dreist behaupten, daß die Spekulation die Nachfrage gar nicht
abwartet, vielmehr schon, ehe sie sich geltend macht, vorarbeitet, um stets das
Geforderte schnell liefern zu können. Das ist ja gerade typisch für die gegen¬
wärtige Zeit, daß auf allen Gebieten das Angebot der Nachfrage weit voraus
ist- Nach Absatz schreit die ganze Welt, um Absatz zu gewinnen, werden alle


Grenzboten IV. 1887. 2
Überproduktion.

Wenn diese Menge nicht verbraucht wird, so liegt das nicht daran, daß das
Bedürfnis nicht vorhanden wäre. Es würden diese Millionen Kilo Zucker mit
Leichtigkeit verbraucht werden können, und die Ernährung der Nation würde
dadurch wesentlich aufgebessert werden. Wenn es trotzdem nicht geschieht, so
liegt der Grund einzig und allein darin, daß diejenigen, welche den Zucker ver¬
zehren möchten, nicht in der Lage sind, ihn zu bezahlen.

Ganz anders als mit dem Bedürfnis steht es mit der Kanfkraft. Sie ist
eine gegebene Größe, ist nicht erweiterungsfähig, geschweige denn unbegrenzt.
Auf die einzelnen Gegenstände des Verbrauchs wird von den vorhandnen Mitteln
der Bevölkerung soviel verwandt, als die Notwendigkeit der Erlangung der¬
selben vorschreibt und bei einer kleinern Zahl von Konsumenten, die sich in
besserer Lage befinden, durch Geschmack und Liebhaberei bestimmt wird.

Ist aber das Bedürfnis dehnbar und unbegrenzt, so kann von einer all¬
gemeinen Überproduktion über das Bedürfnis hinaus nicht die Rede sein. Wohl
könnten bestimmte Verbrauchsgegcnstünde vorübergehend in zu großer Masse
hervorgebracht werden. So könnte man sich denken, daß in einem Gemein¬
wesen, in welchem alle Bedürfnisse vollauf Befriedigung finden, mehr Hüte ge¬
fertigt worden wären, als erforderlich sind. Denn der Bedarf wäre ja befriedigt,
wenn jedermann mit einem neuen guten Hute versehen wäre. Aber man könnte
sich kaum eine Vorstellung davon machen, daß auch bei den Gegenständen des
Luxus, des Geschmacks, des Vergnügens eine Produktion über das Bedürfnis
hinaus eintreten könnte. Mithin kann man anch eine allgemeine Überproduktion
gegenüber dem Bedürfnis nicht fiir möglich halten.

Ganz anders verhält es sich, wenn man die Knufkraft der Produktion
gegenüberstellt. Die Kaufkraft ist beschränkt und nicht beliebig erweiterungs¬
fähig; die Möglichkeit der Produktion aber muß in gegenwärtiger Zeit als un¬
begrenzt gelten. Die Hilfsmittel, welche der Produktion zu Gebote stehen, siud
Kor solcher Ausdehnung, daß man kaum sagen kann, daß irgend ein Zweig der¬
selben über einen bestimmten Punkt hinaus nicht mehr erweiterungsfähig wäre.
Wenn am Anfang des Jahrhunderts Malthus behauptet hat. daß die Zahl
der Menschen rascher wachse als die Möglichkeit, sie zu ernähren, so hat die
Geschichte der Volkswirtschaft seitdem den Beweis geliefert, daß seine Behaup¬
tung vor der Hand keine Giltigkeit beanspruchen kann. Auf allen Gebieten
menschlicher Thätigkeit hat eine riesige Erweiterung der Produktion stattgefunden.
Es fragt sich nnr. ob eine kaufkräftige Nachfrage stattfindet; in diesem Falle
wird das Begehrte auch sicherlich hergestellt. Man kann sogar noch weiter
gehen und kann dreist behaupten, daß die Spekulation die Nachfrage gar nicht
abwartet, vielmehr schon, ehe sie sich geltend macht, vorarbeitet, um stets das
Geforderte schnell liefern zu können. Das ist ja gerade typisch für die gegen¬
wärtige Zeit, daß auf allen Gebieten das Angebot der Nachfrage weit voraus
ist- Nach Absatz schreit die ganze Welt, um Absatz zu gewinnen, werden alle


Grenzboten IV. 1887. 2
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/17>, abgerufen am 15.05.2024.