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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die Geheimbundsprozesse in Deutschland.

mühungen eines Most, Dcive und ihrer Spießgesellen. Es wäre auch ebenso
unrichtig wie ungerecht, wollte man die sozialdemokratischen Verbindungen, wie
sie in Hamburg, Posen. Stettin. Frankfurt a. M" Kassel. Mainz u. s. w. auf¬
gedeckt worden sind, mit den anarchistischen Geheimbünden, mit der spanischen
schwarzen Hand, mit den Mcizzinisten u. dergl. auf eine Stufe stellen. Es ist
nicht zu verkennen, daß die Bezeichnung dieser Vereinigungen als Verbin¬
dungen im Sinne des Strafgesetzbuches zum Teile uur durch eine Auffassung
dieses Begriffes möglich wird, die dem allgemeinen Verständnis noch nicht
gnug und gäbe ist. Wir lassen es hier dahingestellt, ob und inwieweit die
reichsgcrichtliche Auslegung des Begriffes der Verbindung vom Standpunkte
des Kriminalisten als irrtümlich bezeichnet werden kann; jedenfalls ist es un¬
zweifelhaft, daß die allgemeine Auffassung sich bisher mit ihr nicht gedeckt
hat und nicht deckt, jedenfalls darf es als keines Beweises bedürftig erachtet
werden, daß die gemeine Rechtsüberzeugung in der Mehrzahl der verurteilten
Vereinigungen keine Verbindungen im Sinne des Gesetzes erblickt hat. Hier¬
durch erklärt es sich, daß der ausländische Beobachter unsrer Zustände, dem die
Politischen und rechtlichen Verhältnisse bis zu einem gewissen Grade stets fremd
bleiben, aus der großen Zahl der Strafuntersuchungen wegen geheimer Ver¬
bindungen den Schluß zieht, in Deutschland bestehe eine weitverbreitete Geheim-
bündelei und eine verzweigte und verästelte Verschwörung, während dies doch
den Thatsachen durchaus nicht entspricht. Der Widerspruch zwischen der bis¬
herigen Rechtsüberzeugung, man kann wohl sagen des größten Teiles des
deutscheu Volkes, und dem durch die maßgebende Auslegung des obersten Ge¬
richtshofes festgestellten Inhalt des Gesetzes ist die Ursache der zahlreichen
Untersuchungen, nicht die Lust an geheimen Umtrieben, nicht das kindische Ver¬
gnügen an staatsgefährlichen Zettelungen, welches den Slawen und Romanen
eigentümlich ist. Dies kann gegenüber ausländischen Beurteilungen nicht be¬
stimmt genug hervorgehoben werden. Auch wenn in der nächsten Zeit die Ge¬
heimbundsprozesse eher zu- als abnehmen sollten, so wird man dies in erster
Linie auf den Widerspruch zwischen dem positiven Rechte und der Rechtsüber¬
zeugung zurückzuführen haben. Die öffentliche Rechtsüberzeugung kann ihre
während langer Zeit festgehaltene Ansicht nicht so leicht und nicht so rasch mit
einer andern vertauschen; hält es doch in dem engen Kreise des Juristenstandes
schwer, eine einmal eingebürgerte Anschauung durch eine andre zu verdrängen,
wie viel mehr in den Kreisen der Laienwelt! Es bedarf längerer Zeit, um
eine solche Umwandlung herbeizuführen, und dies gilt namentlich hier, wo es
sich darum handelt, der Rechtsüberzeugung eine Meinung beizubringen, gegen
welche die weitesten Kreise zur Zeit von Abneigung erfüllt sind.

Die Geheimbundsprozcsse sind alles eher als erfreuliche Erscheinungen in
unserm politischen Leben, aber sie berechtigen nicht zu den pessimistischen und
wahrhaft trostlosen Auslastungen, welche manche daran anknüpfen zu müssen


Grenzboten IV. 1387. 22
Die Geheimbundsprozesse in Deutschland.

mühungen eines Most, Dcive und ihrer Spießgesellen. Es wäre auch ebenso
unrichtig wie ungerecht, wollte man die sozialdemokratischen Verbindungen, wie
sie in Hamburg, Posen. Stettin. Frankfurt a. M„ Kassel. Mainz u. s. w. auf¬
gedeckt worden sind, mit den anarchistischen Geheimbünden, mit der spanischen
schwarzen Hand, mit den Mcizzinisten u. dergl. auf eine Stufe stellen. Es ist
nicht zu verkennen, daß die Bezeichnung dieser Vereinigungen als Verbin¬
dungen im Sinne des Strafgesetzbuches zum Teile uur durch eine Auffassung
dieses Begriffes möglich wird, die dem allgemeinen Verständnis noch nicht
gnug und gäbe ist. Wir lassen es hier dahingestellt, ob und inwieweit die
reichsgcrichtliche Auslegung des Begriffes der Verbindung vom Standpunkte
des Kriminalisten als irrtümlich bezeichnet werden kann; jedenfalls ist es un¬
zweifelhaft, daß die allgemeine Auffassung sich bisher mit ihr nicht gedeckt
hat und nicht deckt, jedenfalls darf es als keines Beweises bedürftig erachtet
werden, daß die gemeine Rechtsüberzeugung in der Mehrzahl der verurteilten
Vereinigungen keine Verbindungen im Sinne des Gesetzes erblickt hat. Hier¬
durch erklärt es sich, daß der ausländische Beobachter unsrer Zustände, dem die
Politischen und rechtlichen Verhältnisse bis zu einem gewissen Grade stets fremd
bleiben, aus der großen Zahl der Strafuntersuchungen wegen geheimer Ver¬
bindungen den Schluß zieht, in Deutschland bestehe eine weitverbreitete Geheim-
bündelei und eine verzweigte und verästelte Verschwörung, während dies doch
den Thatsachen durchaus nicht entspricht. Der Widerspruch zwischen der bis¬
herigen Rechtsüberzeugung, man kann wohl sagen des größten Teiles des
deutscheu Volkes, und dem durch die maßgebende Auslegung des obersten Ge¬
richtshofes festgestellten Inhalt des Gesetzes ist die Ursache der zahlreichen
Untersuchungen, nicht die Lust an geheimen Umtrieben, nicht das kindische Ver¬
gnügen an staatsgefährlichen Zettelungen, welches den Slawen und Romanen
eigentümlich ist. Dies kann gegenüber ausländischen Beurteilungen nicht be¬
stimmt genug hervorgehoben werden. Auch wenn in der nächsten Zeit die Ge¬
heimbundsprozesse eher zu- als abnehmen sollten, so wird man dies in erster
Linie auf den Widerspruch zwischen dem positiven Rechte und der Rechtsüber¬
zeugung zurückzuführen haben. Die öffentliche Rechtsüberzeugung kann ihre
während langer Zeit festgehaltene Ansicht nicht so leicht und nicht so rasch mit
einer andern vertauschen; hält es doch in dem engen Kreise des Juristenstandes
schwer, eine einmal eingebürgerte Anschauung durch eine andre zu verdrängen,
wie viel mehr in den Kreisen der Laienwelt! Es bedarf längerer Zeit, um
eine solche Umwandlung herbeizuführen, und dies gilt namentlich hier, wo es
sich darum handelt, der Rechtsüberzeugung eine Meinung beizubringen, gegen
welche die weitesten Kreise zur Zeit von Abneigung erfüllt sind.

Die Geheimbundsprozcsse sind alles eher als erfreuliche Erscheinungen in
unserm politischen Leben, aber sie berechtigen nicht zu den pessimistischen und
wahrhaft trostlosen Auslastungen, welche manche daran anknüpfen zu müssen


Grenzboten IV. 1387. 22
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[0177] Die Geheimbundsprozesse in Deutschland. mühungen eines Most, Dcive und ihrer Spießgesellen. Es wäre auch ebenso unrichtig wie ungerecht, wollte man die sozialdemokratischen Verbindungen, wie sie in Hamburg, Posen. Stettin. Frankfurt a. M„ Kassel. Mainz u. s. w. auf¬ gedeckt worden sind, mit den anarchistischen Geheimbünden, mit der spanischen schwarzen Hand, mit den Mcizzinisten u. dergl. auf eine Stufe stellen. Es ist nicht zu verkennen, daß die Bezeichnung dieser Vereinigungen als Verbin¬ dungen im Sinne des Strafgesetzbuches zum Teile uur durch eine Auffassung dieses Begriffes möglich wird, die dem allgemeinen Verständnis noch nicht gnug und gäbe ist. Wir lassen es hier dahingestellt, ob und inwieweit die reichsgcrichtliche Auslegung des Begriffes der Verbindung vom Standpunkte des Kriminalisten als irrtümlich bezeichnet werden kann; jedenfalls ist es un¬ zweifelhaft, daß die allgemeine Auffassung sich bisher mit ihr nicht gedeckt hat und nicht deckt, jedenfalls darf es als keines Beweises bedürftig erachtet werden, daß die gemeine Rechtsüberzeugung in der Mehrzahl der verurteilten Vereinigungen keine Verbindungen im Sinne des Gesetzes erblickt hat. Hier¬ durch erklärt es sich, daß der ausländische Beobachter unsrer Zustände, dem die Politischen und rechtlichen Verhältnisse bis zu einem gewissen Grade stets fremd bleiben, aus der großen Zahl der Strafuntersuchungen wegen geheimer Ver¬ bindungen den Schluß zieht, in Deutschland bestehe eine weitverbreitete Geheim- bündelei und eine verzweigte und verästelte Verschwörung, während dies doch den Thatsachen durchaus nicht entspricht. Der Widerspruch zwischen der bis¬ herigen Rechtsüberzeugung, man kann wohl sagen des größten Teiles des deutscheu Volkes, und dem durch die maßgebende Auslegung des obersten Ge¬ richtshofes festgestellten Inhalt des Gesetzes ist die Ursache der zahlreichen Untersuchungen, nicht die Lust an geheimen Umtrieben, nicht das kindische Ver¬ gnügen an staatsgefährlichen Zettelungen, welches den Slawen und Romanen eigentümlich ist. Dies kann gegenüber ausländischen Beurteilungen nicht be¬ stimmt genug hervorgehoben werden. Auch wenn in der nächsten Zeit die Ge¬ heimbundsprozesse eher zu- als abnehmen sollten, so wird man dies in erster Linie auf den Widerspruch zwischen dem positiven Rechte und der Rechtsüber¬ zeugung zurückzuführen haben. Die öffentliche Rechtsüberzeugung kann ihre während langer Zeit festgehaltene Ansicht nicht so leicht und nicht so rasch mit einer andern vertauschen; hält es doch in dem engen Kreise des Juristenstandes schwer, eine einmal eingebürgerte Anschauung durch eine andre zu verdrängen, wie viel mehr in den Kreisen der Laienwelt! Es bedarf längerer Zeit, um eine solche Umwandlung herbeizuführen, und dies gilt namentlich hier, wo es sich darum handelt, der Rechtsüberzeugung eine Meinung beizubringen, gegen welche die weitesten Kreise zur Zeit von Abneigung erfüllt sind. Die Geheimbundsprozcsse sind alles eher als erfreuliche Erscheinungen in unserm politischen Leben, aber sie berechtigen nicht zu den pessimistischen und wahrhaft trostlosen Auslastungen, welche manche daran anknüpfen zu müssen Grenzboten IV. 1387. 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/177>, abgerufen am 16.06.2024.