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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

strebenden Bürgertum zuwenden. In Mainz war überdies der Hof des geist¬
lichen Kurfürsten keineswegs dazu angethan, eine geistvolle Frau für das Hofleben
zu gewinnen. Der alte Kurfürst Friedrich Karl Joseph von Erthal, der ver¬
haßte "Alte von Mainz" im Schillerschen Kreise, war ein eitler Verschwender,
der prunken und genießen wollte. Zwar hatte er 1734 eine Universität ge¬
gründet und sogar Protestantische Gelehrte berufen, um sich den Ruf großherziger
Genialität zu erwerben, aber er überließ die junge Stiftung den Umtrieben der
Dunkelmänner, damit die Aufklärung nicht zu groß würde. Am anstößigsten
war die Maitrcssenwirtschaft des geistlichen Herrn. Wo eine Aspasia, Frau
von Coudenhoven, eine Danae, Frau von Ferret, und andre regierten, mußte
das geistliche und das fürstliche Ansehen zugleich schwinden. Unter der Herrschaft
eines üppigen geistlichen und weltlichen Adels verwilderten die Sitten und
verarmte das Volk. Wohl hofften die Geduldigen das Beste von dem gegen
den Wunsch des Alten bereits erwählten Nachfolger Karl Theodor von Dalberg,
der mit dein Titel Koadjntor (später Statthalter) in Erfurt residirte und in
schon geistigen Bestrebungen Beschäftigung und Ruhm suchte. Tieferblickende
wollten aber schon damals unter der sanften, sentimentalen und idealseligen
Maske des Kvadjutors den wollüstigen, verschwenderischen und gcsinnungS-
brüchigcn Pfaffen erkennen, als der er sich später doch noch erwies.

Karoline schwärmte für Mirabeau, den Kraftmenschen, dessen Briefe, aus
dem Kerker an die Geliebte geschrieben, "so unaufhaltsam aus der Quelle
strömend zu der Seele, zu dem Herzen, zu den Sinnen reden," für den liebens¬
würdigen Bösewicht, "der für tausend andre ehrliche Leute noch Tugenden,
Talente und Kräfte übrig hatte und zu viel wahren Geist, um im Ernste ein
Bösewicht zu sein, wie man's aus einzelnen Zügen schließen möchte." Sie ist
empört über Goethes kulturhistorische Satiren, den Großkophta, den Bürger-
general. "Goethe ist ein übermütiger Mensch -- schreibt sie --, der sich aus dem
Publikum nichts macht und ihm giebt, was ihm beqnem ist." Die Festlichkeiten
bei der Kaiserwahl im Juli 1792, die Krönung Franz des Zweiten in Frank¬
furt berühren sie fast gar nicht, außer wenn sie ihr alte Freunde zuführen.
"Die Zusammenkunft des deutschen Reiches hat so auch für uns zum Feste
werden müssen, ohngeachtet es für unsern bürgerlichen Sinn eben keins sein
konnte," berichtet sie an Meyer. Demselben schildert sie auch ihren Verkehr im
Forsterschen Hause. "Sie ^Forsters^ genießen ihr Leben in dieser schönen Gegend,
sie arbeiten und gehen spazieren, nud ich teile das alles mit ihnen. Jeden Abend
bin ich dort, um Thee mit ihnen zu trinken, die interessantesten Zeitungen zu
lesen, selbst ein bischen zu schwatzen, Fremde zu sehen ?c. Außer Forsters
habe ich gar keinen Umgang. Darin habe ich vielleicht unrecht, aber ich mag
keinen andern. Forster ist mein Freund, wie Sie mir voraussagten, ich erkenne
alle seine Schwächen und kann die nicht von mir werfen, ihm gut zu sein --
ich thue alles, was ihm Freude machen kann. Im Anfange drückte es mich,


Dichterfreundinnen.

strebenden Bürgertum zuwenden. In Mainz war überdies der Hof des geist¬
lichen Kurfürsten keineswegs dazu angethan, eine geistvolle Frau für das Hofleben
zu gewinnen. Der alte Kurfürst Friedrich Karl Joseph von Erthal, der ver¬
haßte „Alte von Mainz" im Schillerschen Kreise, war ein eitler Verschwender,
der prunken und genießen wollte. Zwar hatte er 1734 eine Universität ge¬
gründet und sogar Protestantische Gelehrte berufen, um sich den Ruf großherziger
Genialität zu erwerben, aber er überließ die junge Stiftung den Umtrieben der
Dunkelmänner, damit die Aufklärung nicht zu groß würde. Am anstößigsten
war die Maitrcssenwirtschaft des geistlichen Herrn. Wo eine Aspasia, Frau
von Coudenhoven, eine Danae, Frau von Ferret, und andre regierten, mußte
das geistliche und das fürstliche Ansehen zugleich schwinden. Unter der Herrschaft
eines üppigen geistlichen und weltlichen Adels verwilderten die Sitten und
verarmte das Volk. Wohl hofften die Geduldigen das Beste von dem gegen
den Wunsch des Alten bereits erwählten Nachfolger Karl Theodor von Dalberg,
der mit dein Titel Koadjntor (später Statthalter) in Erfurt residirte und in
schon geistigen Bestrebungen Beschäftigung und Ruhm suchte. Tieferblickende
wollten aber schon damals unter der sanften, sentimentalen und idealseligen
Maske des Kvadjutors den wollüstigen, verschwenderischen und gcsinnungS-
brüchigcn Pfaffen erkennen, als der er sich später doch noch erwies.

Karoline schwärmte für Mirabeau, den Kraftmenschen, dessen Briefe, aus
dem Kerker an die Geliebte geschrieben, „so unaufhaltsam aus der Quelle
strömend zu der Seele, zu dem Herzen, zu den Sinnen reden," für den liebens¬
würdigen Bösewicht, „der für tausend andre ehrliche Leute noch Tugenden,
Talente und Kräfte übrig hatte und zu viel wahren Geist, um im Ernste ein
Bösewicht zu sein, wie man's aus einzelnen Zügen schließen möchte." Sie ist
empört über Goethes kulturhistorische Satiren, den Großkophta, den Bürger-
general. „Goethe ist ein übermütiger Mensch — schreibt sie —, der sich aus dem
Publikum nichts macht und ihm giebt, was ihm beqnem ist." Die Festlichkeiten
bei der Kaiserwahl im Juli 1792, die Krönung Franz des Zweiten in Frank¬
furt berühren sie fast gar nicht, außer wenn sie ihr alte Freunde zuführen.
„Die Zusammenkunft des deutschen Reiches hat so auch für uns zum Feste
werden müssen, ohngeachtet es für unsern bürgerlichen Sinn eben keins sein
konnte," berichtet sie an Meyer. Demselben schildert sie auch ihren Verkehr im
Forsterschen Hause. „Sie ^Forsters^ genießen ihr Leben in dieser schönen Gegend,
sie arbeiten und gehen spazieren, nud ich teile das alles mit ihnen. Jeden Abend
bin ich dort, um Thee mit ihnen zu trinken, die interessantesten Zeitungen zu
lesen, selbst ein bischen zu schwatzen, Fremde zu sehen ?c. Außer Forsters
habe ich gar keinen Umgang. Darin habe ich vielleicht unrecht, aber ich mag
keinen andern. Forster ist mein Freund, wie Sie mir voraussagten, ich erkenne
alle seine Schwächen und kann die nicht von mir werfen, ihm gut zu sein —
ich thue alles, was ihm Freude machen kann. Im Anfange drückte es mich,


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[0184] Dichterfreundinnen. strebenden Bürgertum zuwenden. In Mainz war überdies der Hof des geist¬ lichen Kurfürsten keineswegs dazu angethan, eine geistvolle Frau für das Hofleben zu gewinnen. Der alte Kurfürst Friedrich Karl Joseph von Erthal, der ver¬ haßte „Alte von Mainz" im Schillerschen Kreise, war ein eitler Verschwender, der prunken und genießen wollte. Zwar hatte er 1734 eine Universität ge¬ gründet und sogar Protestantische Gelehrte berufen, um sich den Ruf großherziger Genialität zu erwerben, aber er überließ die junge Stiftung den Umtrieben der Dunkelmänner, damit die Aufklärung nicht zu groß würde. Am anstößigsten war die Maitrcssenwirtschaft des geistlichen Herrn. Wo eine Aspasia, Frau von Coudenhoven, eine Danae, Frau von Ferret, und andre regierten, mußte das geistliche und das fürstliche Ansehen zugleich schwinden. Unter der Herrschaft eines üppigen geistlichen und weltlichen Adels verwilderten die Sitten und verarmte das Volk. Wohl hofften die Geduldigen das Beste von dem gegen den Wunsch des Alten bereits erwählten Nachfolger Karl Theodor von Dalberg, der mit dein Titel Koadjntor (später Statthalter) in Erfurt residirte und in schon geistigen Bestrebungen Beschäftigung und Ruhm suchte. Tieferblickende wollten aber schon damals unter der sanften, sentimentalen und idealseligen Maske des Kvadjutors den wollüstigen, verschwenderischen und gcsinnungS- brüchigcn Pfaffen erkennen, als der er sich später doch noch erwies. Karoline schwärmte für Mirabeau, den Kraftmenschen, dessen Briefe, aus dem Kerker an die Geliebte geschrieben, „so unaufhaltsam aus der Quelle strömend zu der Seele, zu dem Herzen, zu den Sinnen reden," für den liebens¬ würdigen Bösewicht, „der für tausend andre ehrliche Leute noch Tugenden, Talente und Kräfte übrig hatte und zu viel wahren Geist, um im Ernste ein Bösewicht zu sein, wie man's aus einzelnen Zügen schließen möchte." Sie ist empört über Goethes kulturhistorische Satiren, den Großkophta, den Bürger- general. „Goethe ist ein übermütiger Mensch — schreibt sie —, der sich aus dem Publikum nichts macht und ihm giebt, was ihm beqnem ist." Die Festlichkeiten bei der Kaiserwahl im Juli 1792, die Krönung Franz des Zweiten in Frank¬ furt berühren sie fast gar nicht, außer wenn sie ihr alte Freunde zuführen. „Die Zusammenkunft des deutschen Reiches hat so auch für uns zum Feste werden müssen, ohngeachtet es für unsern bürgerlichen Sinn eben keins sein konnte," berichtet sie an Meyer. Demselben schildert sie auch ihren Verkehr im Forsterschen Hause. „Sie ^Forsters^ genießen ihr Leben in dieser schönen Gegend, sie arbeiten und gehen spazieren, nud ich teile das alles mit ihnen. Jeden Abend bin ich dort, um Thee mit ihnen zu trinken, die interessantesten Zeitungen zu lesen, selbst ein bischen zu schwatzen, Fremde zu sehen ?c. Außer Forsters habe ich gar keinen Umgang. Darin habe ich vielleicht unrecht, aber ich mag keinen andern. Forster ist mein Freund, wie Sie mir voraussagten, ich erkenne alle seine Schwächen und kann die nicht von mir werfen, ihm gut zu sein — ich thue alles, was ihm Freude machen kann. Im Anfange drückte es mich,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/184>, abgerufen am 22.05.2024.