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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Eine Fahrt in den Grient.

hätte ich mich trotz seines "üorpus M-is, das noch heute die Völker regiert, keine
Rührung empfunden. Konstantin dagegen, wenn er auch ebensowenig wie alle
Despoten der römischen Kaiserzeit unserm Herzen nahesteht, ist doch einer jener
Angelpunkte, durch welchen die Weltgeschichte in eine ganz neue Bahn geriet.
Julianus Apostat" aber wird trotz seiner Venrrung alle diejenigen rühren, die
den dichterischen Weheruf über den Untergang der griechischen Götter verstehen:


Als ihr noch die schöne Welt regiertet,
Wie günz anders, anders war es da.

Mit welchen Gefühlen würde wohl vor diesem Sarkophag Gibbon gestanden
haben, der in seiner Geschichte des Unterganges des Römerreiches dem philo¬
sophischen Zeloten gegen das Christentum so glänzende Seiten gewidmet hat! Ich
dachte an jene Zeit, wo ich von schwerer Krankheit kaum wieder genesen und
mit geringen Hoffnungen auf eine gänzliche Wiederherstellung jene Seelenkämpfe
von Julian-Gibbon mit der dem Kranken eigentümlichen nervösen Rührung las.
Damals hätte ich nicht gedacht, daß ich dereinst an dem Grabmal des letzten
heidnischen Römerfürsten weilen würde. Aber diese Stimmung konnte nicht
lange vorhalten, deun Skepsis und Forschung zerstören alle Illusionen. Man
muß es sehr stark bezweifeln, ob wirklich jene Sarkophage diese kostbaren Gebeine
bergen und nicht vielleicht irgend ein Obercunuch oder kaiserlicher Kammerherr,
von der Gunst der Prinzessinnen schon bei seinen Lebzeiten getragen, auch nach
seinem Tode die grandiose und kostbare Hülle gefunden hat. Eins aber sieht
man noch aus den wenigen vorhandenen Trümmern, daß, wie die erste Kaiser¬
hauptstadt aus Diebstahl und Raub ihren Ursprung nahm, so auch die zweite
nicht eigne Kunstwerke hervorbrachte, sondern die Schätze der ihr unterworfenen
Welt aus alle" Teilen des Reiches zusammenraffen ließ, um dem jungen Sitze
des Kaisertums den Glanz des alten zu verleihen. Konstantin gab der Welt
in großem Stile das Beispiel, welches spätere Eroberer eifrig befolgt haben
und welches in den französischen Kriegen, besonders durch den ersten Napoleon,
hoffentlich seinen Abschluß gefunden hat. Viele Ruinen, deren Untergang allzu
leichtfertig den wilden Germnnenhorden zugeschrieben wird, sind auf die Rechnung
jener Fürsten zu stellen, welche ihre Prachtliebe nicht mehr aus den Werken
der eignen Zeit befriedigen konnten, und so sank das, was einst fromme Ge¬
sinnung von edler Künstlerhand herstellen ließ, zum Schaustück für eine ver¬
ständnislose Menge herab. So steht auf dem Platze des ehemaligen Hippodroms
die bronzene Schlangenhäute, die als Weihgeschenk nach der siegreichen Schlacht
von Platciä von den Griechen für den Apollontempel in Delphi bestimmt war
und die noch heute in ihren gewundenen Schlangeuleibern die sorgfältige Technik
erkennen läßt. In ihrer Nachbarschaft befindet sich der ägyptische Obelisk, der
in Heliopolis etwa 1600 v. Chr. von Thntmes III. errichtet, von dem Kaiser
Theodosius in die neue Hauptstadt gebracht worden war. Auf seinem Piedestal


Eine Fahrt in den Grient.

hätte ich mich trotz seines «üorpus M-is, das noch heute die Völker regiert, keine
Rührung empfunden. Konstantin dagegen, wenn er auch ebensowenig wie alle
Despoten der römischen Kaiserzeit unserm Herzen nahesteht, ist doch einer jener
Angelpunkte, durch welchen die Weltgeschichte in eine ganz neue Bahn geriet.
Julianus Apostat« aber wird trotz seiner Venrrung alle diejenigen rühren, die
den dichterischen Weheruf über den Untergang der griechischen Götter verstehen:


Als ihr noch die schöne Welt regiertet,
Wie günz anders, anders war es da.

Mit welchen Gefühlen würde wohl vor diesem Sarkophag Gibbon gestanden
haben, der in seiner Geschichte des Unterganges des Römerreiches dem philo¬
sophischen Zeloten gegen das Christentum so glänzende Seiten gewidmet hat! Ich
dachte an jene Zeit, wo ich von schwerer Krankheit kaum wieder genesen und
mit geringen Hoffnungen auf eine gänzliche Wiederherstellung jene Seelenkämpfe
von Julian-Gibbon mit der dem Kranken eigentümlichen nervösen Rührung las.
Damals hätte ich nicht gedacht, daß ich dereinst an dem Grabmal des letzten
heidnischen Römerfürsten weilen würde. Aber diese Stimmung konnte nicht
lange vorhalten, deun Skepsis und Forschung zerstören alle Illusionen. Man
muß es sehr stark bezweifeln, ob wirklich jene Sarkophage diese kostbaren Gebeine
bergen und nicht vielleicht irgend ein Obercunuch oder kaiserlicher Kammerherr,
von der Gunst der Prinzessinnen schon bei seinen Lebzeiten getragen, auch nach
seinem Tode die grandiose und kostbare Hülle gefunden hat. Eins aber sieht
man noch aus den wenigen vorhandenen Trümmern, daß, wie die erste Kaiser¬
hauptstadt aus Diebstahl und Raub ihren Ursprung nahm, so auch die zweite
nicht eigne Kunstwerke hervorbrachte, sondern die Schätze der ihr unterworfenen
Welt aus alle» Teilen des Reiches zusammenraffen ließ, um dem jungen Sitze
des Kaisertums den Glanz des alten zu verleihen. Konstantin gab der Welt
in großem Stile das Beispiel, welches spätere Eroberer eifrig befolgt haben
und welches in den französischen Kriegen, besonders durch den ersten Napoleon,
hoffentlich seinen Abschluß gefunden hat. Viele Ruinen, deren Untergang allzu
leichtfertig den wilden Germnnenhorden zugeschrieben wird, sind auf die Rechnung
jener Fürsten zu stellen, welche ihre Prachtliebe nicht mehr aus den Werken
der eignen Zeit befriedigen konnten, und so sank das, was einst fromme Ge¬
sinnung von edler Künstlerhand herstellen ließ, zum Schaustück für eine ver¬
ständnislose Menge herab. So steht auf dem Platze des ehemaligen Hippodroms
die bronzene Schlangenhäute, die als Weihgeschenk nach der siegreichen Schlacht
von Platciä von den Griechen für den Apollontempel in Delphi bestimmt war
und die noch heute in ihren gewundenen Schlangeuleibern die sorgfältige Technik
erkennen läßt. In ihrer Nachbarschaft befindet sich der ägyptische Obelisk, der
in Heliopolis etwa 1600 v. Chr. von Thntmes III. errichtet, von dem Kaiser
Theodosius in die neue Hauptstadt gebracht worden war. Auf seinem Piedestal


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/200>, abgerufen am 22.05.2024.