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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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sieht man noch die verstümmelten Reliefs jener blutigen Zirkusspicle, die auf
dieser Rennbahn ihren Schauplatz hatten und den blutigen Nikaaufstand hervor¬
riefen, welcher dem Kaiser Justinian fast Thron und Leben und der Nachwelt bei¬
nahe das Oorxv.8 M-is gekostet hätte. Der Kaiser Theodosius mit seinen Söhnen
Honorius und Arkadius, mit deren Thronbesteigung das große Reich in zwei
Hälften zerfiel, und die Großen seines Hofes sind trotz der Verstümmelung noch er¬
kennbar; es ist auch sichtbar, daß schon damals die schöne Kunst untergegangen
war. Nur die handwerkmäßige Fertigkeit war geblieben, das Gefühl für Schönheit
war in den theologischen Wortstreitigkeitcn, in den Metzeleien der Tyrannen,
in den Kämpfen gegen die Barbaren vernichtet worden. Noch ein paar Jahr¬
hunderte später, und auch das Handwerk bestand nicht mehr, und man war ge¬
nötigt, die Kunst durch gemeinen Reichtum zu ersetzen. Das zeigt uns ein dritter
schmuckloser Obelisk, den Kaiser Konstantin, der purpurgeborne, im zehnten
Jahrhundert dem Theodosischen zur Seite errichten und mit vergoldenen Platten
belegen ließ, die dann die goldgierigen lateinischen Kreuzfahrer herunterrissen
und wegschleppten. Schon aus diesen drei Denkmälern spricht eine Geschichte
von Jahrtausenden, in denen noch nichts von dem Muhamedanismus zu spüren
war, welcher dereinst der alten Kultur den letzten blutigen Tritt versetzen sollte.
Unvermittelt liegt freilich auch hier neben den Resten der antiken Zeit das
Türkcntum, an das schon ein großer Anschlag auf dem Theodosischen Obelisken:
Ils iirasöö Als ^Wissairss so trouve tavs erinnert. Laßt uns auch in dieses
wandern; denn der Zweck, für den wir unsre zehn Piaster Eintrittsgeld opfern,
ist diesmal ausnahmsweise gut, und solche Gelegenheit muß man wahrnehmen.
Das Museum befindet sich nämlich in dem Hintergebäude einer Handwerkerschule,
in welcher Kinder der im letzten Kriege gefallenen Offiziere und Soldaten un¬
entgeltlich Pflege und Unterricht in den Handwerken genießen, und das Eintritts¬
geld soll -- wenn der Kismeth es durch die Hände der türkischen Beamten bis
dahin gelangen läßt -- zum Besten der Schule verwendet werden. Das Museum
ist eigentlich ein Kastcmsches Panoptikum in verwahrlostem, türkischem Zustande;
lebensgroße, ungeschickt geschnitzte Holzfignren sind mit alten Kostümen und
Trachten bekleidet, und so erhält man wohl eine Vorstellung, wie es in den
Straßen Stambuls ausgesehen haben mag, ehe die Reformen Sultan Mahmuds
im Anfange dieses Jahrhunderts die Trachten vereinfachten. Janitscharen stellen
zu diesen Gruppen den Hauptteil, und so wurde uns sinnlich die alte Macht
dieser Prätorianer mit allen ihren Lastern vor Augen geführt; nebst vielen
anderen Gefolge hatten sie ihren Pagen, dessen nach Frauenart verhülltes Gesicht
nur zu deutlich die Dienste beweist, die sein Herr von ihm forderte. So waren
wir kaum wieder an das Turkmenen erinnert, als wir uns auch schon mit Ekel
davon abwendeten. Wir durchwanderten den Serailplatz, ohne in das Innere
einzutreten. Zum Teil vor noch nicht zwanzig Jahren verbrannt, dienen die
Überreste zu Wohnungen für die Frauen und Diener verstorbener Sultane.


Grenzboten IV. 1887. 25
Line Fahrt in den Grient.

sieht man noch die verstümmelten Reliefs jener blutigen Zirkusspicle, die auf
dieser Rennbahn ihren Schauplatz hatten und den blutigen Nikaaufstand hervor¬
riefen, welcher dem Kaiser Justinian fast Thron und Leben und der Nachwelt bei¬
nahe das Oorxv.8 M-is gekostet hätte. Der Kaiser Theodosius mit seinen Söhnen
Honorius und Arkadius, mit deren Thronbesteigung das große Reich in zwei
Hälften zerfiel, und die Großen seines Hofes sind trotz der Verstümmelung noch er¬
kennbar; es ist auch sichtbar, daß schon damals die schöne Kunst untergegangen
war. Nur die handwerkmäßige Fertigkeit war geblieben, das Gefühl für Schönheit
war in den theologischen Wortstreitigkeitcn, in den Metzeleien der Tyrannen,
in den Kämpfen gegen die Barbaren vernichtet worden. Noch ein paar Jahr¬
hunderte später, und auch das Handwerk bestand nicht mehr, und man war ge¬
nötigt, die Kunst durch gemeinen Reichtum zu ersetzen. Das zeigt uns ein dritter
schmuckloser Obelisk, den Kaiser Konstantin, der purpurgeborne, im zehnten
Jahrhundert dem Theodosischen zur Seite errichten und mit vergoldenen Platten
belegen ließ, die dann die goldgierigen lateinischen Kreuzfahrer herunterrissen
und wegschleppten. Schon aus diesen drei Denkmälern spricht eine Geschichte
von Jahrtausenden, in denen noch nichts von dem Muhamedanismus zu spüren
war, welcher dereinst der alten Kultur den letzten blutigen Tritt versetzen sollte.
Unvermittelt liegt freilich auch hier neben den Resten der antiken Zeit das
Türkcntum, an das schon ein großer Anschlag auf dem Theodosischen Obelisken:
Ils iirasöö Als ^Wissairss so trouve tavs erinnert. Laßt uns auch in dieses
wandern; denn der Zweck, für den wir unsre zehn Piaster Eintrittsgeld opfern,
ist diesmal ausnahmsweise gut, und solche Gelegenheit muß man wahrnehmen.
Das Museum befindet sich nämlich in dem Hintergebäude einer Handwerkerschule,
in welcher Kinder der im letzten Kriege gefallenen Offiziere und Soldaten un¬
entgeltlich Pflege und Unterricht in den Handwerken genießen, und das Eintritts¬
geld soll — wenn der Kismeth es durch die Hände der türkischen Beamten bis
dahin gelangen läßt — zum Besten der Schule verwendet werden. Das Museum
ist eigentlich ein Kastcmsches Panoptikum in verwahrlostem, türkischem Zustande;
lebensgroße, ungeschickt geschnitzte Holzfignren sind mit alten Kostümen und
Trachten bekleidet, und so erhält man wohl eine Vorstellung, wie es in den
Straßen Stambuls ausgesehen haben mag, ehe die Reformen Sultan Mahmuds
im Anfange dieses Jahrhunderts die Trachten vereinfachten. Janitscharen stellen
zu diesen Gruppen den Hauptteil, und so wurde uns sinnlich die alte Macht
dieser Prätorianer mit allen ihren Lastern vor Augen geführt; nebst vielen
anderen Gefolge hatten sie ihren Pagen, dessen nach Frauenart verhülltes Gesicht
nur zu deutlich die Dienste beweist, die sein Herr von ihm forderte. So waren
wir kaum wieder an das Turkmenen erinnert, als wir uns auch schon mit Ekel
davon abwendeten. Wir durchwanderten den Serailplatz, ohne in das Innere
einzutreten. Zum Teil vor noch nicht zwanzig Jahren verbrannt, dienen die
Überreste zu Wohnungen für die Frauen und Diener verstorbener Sultane.


Grenzboten IV. 1887. 25
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[0201] Line Fahrt in den Grient. sieht man noch die verstümmelten Reliefs jener blutigen Zirkusspicle, die auf dieser Rennbahn ihren Schauplatz hatten und den blutigen Nikaaufstand hervor¬ riefen, welcher dem Kaiser Justinian fast Thron und Leben und der Nachwelt bei¬ nahe das Oorxv.8 M-is gekostet hätte. Der Kaiser Theodosius mit seinen Söhnen Honorius und Arkadius, mit deren Thronbesteigung das große Reich in zwei Hälften zerfiel, und die Großen seines Hofes sind trotz der Verstümmelung noch er¬ kennbar; es ist auch sichtbar, daß schon damals die schöne Kunst untergegangen war. Nur die handwerkmäßige Fertigkeit war geblieben, das Gefühl für Schönheit war in den theologischen Wortstreitigkeitcn, in den Metzeleien der Tyrannen, in den Kämpfen gegen die Barbaren vernichtet worden. Noch ein paar Jahr¬ hunderte später, und auch das Handwerk bestand nicht mehr, und man war ge¬ nötigt, die Kunst durch gemeinen Reichtum zu ersetzen. Das zeigt uns ein dritter schmuckloser Obelisk, den Kaiser Konstantin, der purpurgeborne, im zehnten Jahrhundert dem Theodosischen zur Seite errichten und mit vergoldenen Platten belegen ließ, die dann die goldgierigen lateinischen Kreuzfahrer herunterrissen und wegschleppten. Schon aus diesen drei Denkmälern spricht eine Geschichte von Jahrtausenden, in denen noch nichts von dem Muhamedanismus zu spüren war, welcher dereinst der alten Kultur den letzten blutigen Tritt versetzen sollte. Unvermittelt liegt freilich auch hier neben den Resten der antiken Zeit das Türkcntum, an das schon ein großer Anschlag auf dem Theodosischen Obelisken: Ils iirasöö Als ^Wissairss so trouve tavs erinnert. Laßt uns auch in dieses wandern; denn der Zweck, für den wir unsre zehn Piaster Eintrittsgeld opfern, ist diesmal ausnahmsweise gut, und solche Gelegenheit muß man wahrnehmen. Das Museum befindet sich nämlich in dem Hintergebäude einer Handwerkerschule, in welcher Kinder der im letzten Kriege gefallenen Offiziere und Soldaten un¬ entgeltlich Pflege und Unterricht in den Handwerken genießen, und das Eintritts¬ geld soll — wenn der Kismeth es durch die Hände der türkischen Beamten bis dahin gelangen läßt — zum Besten der Schule verwendet werden. Das Museum ist eigentlich ein Kastcmsches Panoptikum in verwahrlostem, türkischem Zustande; lebensgroße, ungeschickt geschnitzte Holzfignren sind mit alten Kostümen und Trachten bekleidet, und so erhält man wohl eine Vorstellung, wie es in den Straßen Stambuls ausgesehen haben mag, ehe die Reformen Sultan Mahmuds im Anfange dieses Jahrhunderts die Trachten vereinfachten. Janitscharen stellen zu diesen Gruppen den Hauptteil, und so wurde uns sinnlich die alte Macht dieser Prätorianer mit allen ihren Lastern vor Augen geführt; nebst vielen anderen Gefolge hatten sie ihren Pagen, dessen nach Frauenart verhülltes Gesicht nur zu deutlich die Dienste beweist, die sein Herr von ihm forderte. So waren wir kaum wieder an das Turkmenen erinnert, als wir uns auch schon mit Ekel davon abwendeten. Wir durchwanderten den Serailplatz, ohne in das Innere einzutreten. Zum Teil vor noch nicht zwanzig Jahren verbrannt, dienen die Überreste zu Wohnungen für die Frauen und Diener verstorbener Sultane. Grenzboten IV. 1887. 25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/201>, abgerufen am 15.06.2024.