Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.politische Zustände und Aussichten in Frankreich. Aber Nußland, wirft man ein, und das durfte doch nicht vergessen werden. politische Zustände und Aussichten in Frankreich. Aber Nußland, wirft man ein, und das durfte doch nicht vergessen werden. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0320" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201749"/> <fw type="header" place="top"> politische Zustände und Aussichten in Frankreich.</fw><lb/> <p xml:id="ID_739" next="#ID_740"> Aber Nußland, wirft man ein, und das durfte doch nicht vergessen werden.<lb/> Unzweifelhaft — so sagt man weiter — hat Frankreich sich auf diplomatischem<lb/> Wege um das Wohlwollen des Zaren bemüht, und die französische Presse that<lb/> und thut ihr möglichstes, dem russischen Volke zu schmeicheln und ihm Sym¬<lb/> pathien mit den Franzosen einzuflößen und die schon vorhandenen zu steigern;<lb/> auch sind die Reisen Derouledes nach Moskau und andern russischen Städte»<lb/> und der Empfang desselben nicht außer Acht zu lassen. Wir thun dies auch<lb/> nicht, obwohl wir den Großkophta der Patriotenliga für einen eiteln Wind¬<lb/> beutel und Phantasten halten und die, welche ihn in Rußland feierten, teils<lb/> als ähnliche Geister, teils als Leute betrachten, denen er nur als Deutschen-<lb/> fresfer Zuneigung einflößte. Die Versuche aber, den Zaren zu gewinnen, fanden<lb/> ein auffallendes Gegenstück dadurch, daß man zu gleicher Zeit in Paris Nihi¬<lb/> listen und andre Umstürzler beschützte und sogar feiern ließ. Die Russen fühlen<lb/> sich zunächst gleich allen Slawen von dem Deutschen ohne erklärlichen Grund<lb/> abgestoßen, dann beneiden sie ihn, weil er Eigenschaften besitzt, die ihnen mangeln,<lb/> und weil das deutsche Reich einen großen Einfluß in Europa übt, endlich ver¬<lb/> drießt es sie, daß dieser Einfluß nicht vorwiegend in ihrem Interesse, sondern<lb/> in dem des Weltfriedens, benutzt wird. Sie behaupten, daß von der frühern<lb/> Freundschaft zwischen der Berliner und der Petersburger Politik jene nur Vor¬<lb/> teile, diese aber nur Schaden gehabt habe, was nicht zutrifft, und wenn es<lb/> zuträfe, nicht unsre Schuld, sondern die des Fürsten Gortschakoff mit seinem<lb/> geringen Geschick und seiner selbstsüchtigen Eitelkeit und überhaupt die eines<lb/> Strebens sein würde, welches mit Zähigkeit fernen Zielen nachtrachtet, statt mit<lb/> Einsicht und Billigkeit naheliegende Fragen erfolgreich zu lösen. Die Russen<lb/> ärgern sich über die Bedürfnislosigkeit der deutschen Politik von heute und da¬<lb/> neben wohl auch über die Kapitalkraft, die uns in den Stand setzte, einige<lb/> Milliarden in russischen Werten anzulegen und in Nußland selbst auf dem Ge¬<lb/> biete der Industrie und Landwirtschaft gute Geschäfte zu machen. Sie möchten<lb/> diese Überlegenheit „abschütteln," und die dahin gerichteten Versuche wurden<lb/> mit einer für Rußland nachteiligen Abschüttelung jener Werte beantwortet, da<lb/> der Ukas über den fremden Grundbesitz in den westlichen Provinzen den Ge¬<lb/> danken nahe legte, eine ähnliche Maßregel könne bald einmal auch die fremden<lb/> Inhaber russischer Papiere schädigen. Unsre Nachbarn im Osten haben bei<lb/> ihrem Schutzzollsysteme gar kein Recht, sich darüber zu beschweren, daß wir<lb/> ihre Rohprodukte an der Grenze durch hohe Zölle verteuern, aber sie empfinden<lb/> den Nachteil der Zollerhöhung und drohen mit Repressalien durch neue Kampf¬<lb/> zölle: sie wollen die Länder, welche ihrem Getreide zollfreien Eingang gestatten,<lb/> in ihrem Zolltarif derart begünstigen, daß die deutsche Industrie in dem rus¬<lb/> sischen Absatzgebiete nicht mehr mit ihnen konkurriren kann. So verbindet sich<lb/> mit der politischen Verstimmung der Streit der wirtschaftlichen Interessen, um<lb/> die Beziehungen zwischen Deutschland und Rußland zu lockern und zu ver-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0320]
politische Zustände und Aussichten in Frankreich.
Aber Nußland, wirft man ein, und das durfte doch nicht vergessen werden.
Unzweifelhaft — so sagt man weiter — hat Frankreich sich auf diplomatischem
Wege um das Wohlwollen des Zaren bemüht, und die französische Presse that
und thut ihr möglichstes, dem russischen Volke zu schmeicheln und ihm Sym¬
pathien mit den Franzosen einzuflößen und die schon vorhandenen zu steigern;
auch sind die Reisen Derouledes nach Moskau und andern russischen Städte»
und der Empfang desselben nicht außer Acht zu lassen. Wir thun dies auch
nicht, obwohl wir den Großkophta der Patriotenliga für einen eiteln Wind¬
beutel und Phantasten halten und die, welche ihn in Rußland feierten, teils
als ähnliche Geister, teils als Leute betrachten, denen er nur als Deutschen-
fresfer Zuneigung einflößte. Die Versuche aber, den Zaren zu gewinnen, fanden
ein auffallendes Gegenstück dadurch, daß man zu gleicher Zeit in Paris Nihi¬
listen und andre Umstürzler beschützte und sogar feiern ließ. Die Russen fühlen
sich zunächst gleich allen Slawen von dem Deutschen ohne erklärlichen Grund
abgestoßen, dann beneiden sie ihn, weil er Eigenschaften besitzt, die ihnen mangeln,
und weil das deutsche Reich einen großen Einfluß in Europa übt, endlich ver¬
drießt es sie, daß dieser Einfluß nicht vorwiegend in ihrem Interesse, sondern
in dem des Weltfriedens, benutzt wird. Sie behaupten, daß von der frühern
Freundschaft zwischen der Berliner und der Petersburger Politik jene nur Vor¬
teile, diese aber nur Schaden gehabt habe, was nicht zutrifft, und wenn es
zuträfe, nicht unsre Schuld, sondern die des Fürsten Gortschakoff mit seinem
geringen Geschick und seiner selbstsüchtigen Eitelkeit und überhaupt die eines
Strebens sein würde, welches mit Zähigkeit fernen Zielen nachtrachtet, statt mit
Einsicht und Billigkeit naheliegende Fragen erfolgreich zu lösen. Die Russen
ärgern sich über die Bedürfnislosigkeit der deutschen Politik von heute und da¬
neben wohl auch über die Kapitalkraft, die uns in den Stand setzte, einige
Milliarden in russischen Werten anzulegen und in Nußland selbst auf dem Ge¬
biete der Industrie und Landwirtschaft gute Geschäfte zu machen. Sie möchten
diese Überlegenheit „abschütteln," und die dahin gerichteten Versuche wurden
mit einer für Rußland nachteiligen Abschüttelung jener Werte beantwortet, da
der Ukas über den fremden Grundbesitz in den westlichen Provinzen den Ge¬
danken nahe legte, eine ähnliche Maßregel könne bald einmal auch die fremden
Inhaber russischer Papiere schädigen. Unsre Nachbarn im Osten haben bei
ihrem Schutzzollsysteme gar kein Recht, sich darüber zu beschweren, daß wir
ihre Rohprodukte an der Grenze durch hohe Zölle verteuern, aber sie empfinden
den Nachteil der Zollerhöhung und drohen mit Repressalien durch neue Kampf¬
zölle: sie wollen die Länder, welche ihrem Getreide zollfreien Eingang gestatten,
in ihrem Zolltarif derart begünstigen, daß die deutsche Industrie in dem rus¬
sischen Absatzgebiete nicht mehr mit ihnen konkurriren kann. So verbindet sich
mit der politischen Verstimmung der Streit der wirtschaftlichen Interessen, um
die Beziehungen zwischen Deutschland und Rußland zu lockern und zu ver-
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