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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die Aussteuerversicherung.

schnell das unvorbereitete Eindringen, das taktwidrig Belehrende und Morali-
sirende seiner Rede vergessen gemacht? Um es kurz zu sagen: er war ein Ver¬
sicherungsagent.

Er kannte eure Verhältnisse, er ging geradeswegs auf die wunde Stelle
euers Herzens los, er sprach vor euch dieselben Zweifel, dieselben Befürchtungen
wegen der Zukunft eurer Kinder aus, die schon tausendmal in euch aufgestiegen
waren, und schließlich zeigte er euch ein Zaubermittel, das alle eure Sorgen
zerstreute und euch die spätern Jahre im glänzendsten Lichte erscheinen ließ.
Dieses Zaubermittel war die Aussteuerversichernng.

Was die Ausstenerversichernng sei? fragt der Leser. Nun, die Versicherung
eines Kapitals, das zahlbar ist, wenn euer Kind ein bestimmtes Lebensalter
erreicht hat, etwa das achtzehnte, das einundzwanzigste, das vierundzwanzigste
Jahr, die Versicherung eines solchen Kapitals gegen feste, alljährlich oder auch
in kleineren Zeiträumen zu zahlende Beiträge. Bei früherem Todesfalle des
Kindes können nach besonderer Vereinbarung die eingezahlten Prämiengelder
auch mit oder ohne Zinsen zurückvergütet werden.

Ihr habt z. B. ein sechsjähriges Töchterchen und wollt diesem zu seinem
einundzwanzigsten Lebensjahre ein Aussteuerkapital sichern. Ihr zahlt dann für
je tausend Mark Versicherungssumme bei der Gesellschaft jährlich 50 Mark
90 Pf. ein. Wie euch der Agent vorrechnet, habt ihr dann in den fünfzehn
Jahren bis zum Ablauf der Versicherung erst 763 Mark 50 Pf. eingelegt!
Trotzdem gelangen zu diesem Zeitpunkte die versicherten 1000 Mark voll zur
Auszahlung, während bei früherem Tode euers Töchterchens die von euch ge¬
leisteten Beiträge nicht verloren sind, sondern mit 3^ Prozent einfachen Zinsen
nach Abzug eines kleinen Betrages für die Verwaltungskosten an euch zurück¬
gezahlt werden.

Ihr seid natürlich entzückt von dieser Idee, und uoch mehr werdet ihr
dafür gewonnen, wenn der Agent euch auseinandersetzt, daß ihr, einmal im
Besitz des Versicherungsscheins, gewissermaßen durch die Gesellschaft zum Sparen
angehalten werdet. Den löblichen Vorsatz dazu faßt ja wohl so mancher von
euch; aber, du lieber Gott, kommt dann der Vierteljahrsschluß heran, wo
Mietzins und Schulgeld fällig wird, wo die Rechnungen einlaufen vom Fleischer
und vom Bäcker, vom Schuhmacher und vom Schneider, so wendet ihr euch
seufzend ab und verschiebt das Zurücklegen von Ersparnissen auf den nächsten
Termin. Ist aber euer Kind erst versichert, so hebt ihr die Versicherung uicht so
leicht wieder auf, und kommt der Bote mit der Prämienquittung, so bezahlt ihr sie
wie so manches andre, was im Haushalt ursprünglich nicht vorgesehen war.

Nun aber die Kehrseite der Sache!

Fünfzehn Jahre sind ein langer Zeitraum. Darin können eure Vermögens¬
verhältnisse eine völlige Änderung erfahren, ihr selbst könnt durch den Tod
hinweggerafft werden, und eure Hinterbliebenen können zu Entbehrungen und


Die Aussteuerversicherung.

schnell das unvorbereitete Eindringen, das taktwidrig Belehrende und Morali-
sirende seiner Rede vergessen gemacht? Um es kurz zu sagen: er war ein Ver¬
sicherungsagent.

Er kannte eure Verhältnisse, er ging geradeswegs auf die wunde Stelle
euers Herzens los, er sprach vor euch dieselben Zweifel, dieselben Befürchtungen
wegen der Zukunft eurer Kinder aus, die schon tausendmal in euch aufgestiegen
waren, und schließlich zeigte er euch ein Zaubermittel, das alle eure Sorgen
zerstreute und euch die spätern Jahre im glänzendsten Lichte erscheinen ließ.
Dieses Zaubermittel war die Aussteuerversichernng.

Was die Ausstenerversichernng sei? fragt der Leser. Nun, die Versicherung
eines Kapitals, das zahlbar ist, wenn euer Kind ein bestimmtes Lebensalter
erreicht hat, etwa das achtzehnte, das einundzwanzigste, das vierundzwanzigste
Jahr, die Versicherung eines solchen Kapitals gegen feste, alljährlich oder auch
in kleineren Zeiträumen zu zahlende Beiträge. Bei früherem Todesfalle des
Kindes können nach besonderer Vereinbarung die eingezahlten Prämiengelder
auch mit oder ohne Zinsen zurückvergütet werden.

Ihr habt z. B. ein sechsjähriges Töchterchen und wollt diesem zu seinem
einundzwanzigsten Lebensjahre ein Aussteuerkapital sichern. Ihr zahlt dann für
je tausend Mark Versicherungssumme bei der Gesellschaft jährlich 50 Mark
90 Pf. ein. Wie euch der Agent vorrechnet, habt ihr dann in den fünfzehn
Jahren bis zum Ablauf der Versicherung erst 763 Mark 50 Pf. eingelegt!
Trotzdem gelangen zu diesem Zeitpunkte die versicherten 1000 Mark voll zur
Auszahlung, während bei früherem Tode euers Töchterchens die von euch ge¬
leisteten Beiträge nicht verloren sind, sondern mit 3^ Prozent einfachen Zinsen
nach Abzug eines kleinen Betrages für die Verwaltungskosten an euch zurück¬
gezahlt werden.

Ihr seid natürlich entzückt von dieser Idee, und uoch mehr werdet ihr
dafür gewonnen, wenn der Agent euch auseinandersetzt, daß ihr, einmal im
Besitz des Versicherungsscheins, gewissermaßen durch die Gesellschaft zum Sparen
angehalten werdet. Den löblichen Vorsatz dazu faßt ja wohl so mancher von
euch; aber, du lieber Gott, kommt dann der Vierteljahrsschluß heran, wo
Mietzins und Schulgeld fällig wird, wo die Rechnungen einlaufen vom Fleischer
und vom Bäcker, vom Schuhmacher und vom Schneider, so wendet ihr euch
seufzend ab und verschiebt das Zurücklegen von Ersparnissen auf den nächsten
Termin. Ist aber euer Kind erst versichert, so hebt ihr die Versicherung uicht so
leicht wieder auf, und kommt der Bote mit der Prämienquittung, so bezahlt ihr sie
wie so manches andre, was im Haushalt ursprünglich nicht vorgesehen war.

Nun aber die Kehrseite der Sache!

Fünfzehn Jahre sind ein langer Zeitraum. Darin können eure Vermögens¬
verhältnisse eine völlige Änderung erfahren, ihr selbst könnt durch den Tod
hinweggerafft werden, und eure Hinterbliebenen können zu Entbehrungen und


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[0350] Die Aussteuerversicherung. schnell das unvorbereitete Eindringen, das taktwidrig Belehrende und Morali- sirende seiner Rede vergessen gemacht? Um es kurz zu sagen: er war ein Ver¬ sicherungsagent. Er kannte eure Verhältnisse, er ging geradeswegs auf die wunde Stelle euers Herzens los, er sprach vor euch dieselben Zweifel, dieselben Befürchtungen wegen der Zukunft eurer Kinder aus, die schon tausendmal in euch aufgestiegen waren, und schließlich zeigte er euch ein Zaubermittel, das alle eure Sorgen zerstreute und euch die spätern Jahre im glänzendsten Lichte erscheinen ließ. Dieses Zaubermittel war die Aussteuerversichernng. Was die Ausstenerversichernng sei? fragt der Leser. Nun, die Versicherung eines Kapitals, das zahlbar ist, wenn euer Kind ein bestimmtes Lebensalter erreicht hat, etwa das achtzehnte, das einundzwanzigste, das vierundzwanzigste Jahr, die Versicherung eines solchen Kapitals gegen feste, alljährlich oder auch in kleineren Zeiträumen zu zahlende Beiträge. Bei früherem Todesfalle des Kindes können nach besonderer Vereinbarung die eingezahlten Prämiengelder auch mit oder ohne Zinsen zurückvergütet werden. Ihr habt z. B. ein sechsjähriges Töchterchen und wollt diesem zu seinem einundzwanzigsten Lebensjahre ein Aussteuerkapital sichern. Ihr zahlt dann für je tausend Mark Versicherungssumme bei der Gesellschaft jährlich 50 Mark 90 Pf. ein. Wie euch der Agent vorrechnet, habt ihr dann in den fünfzehn Jahren bis zum Ablauf der Versicherung erst 763 Mark 50 Pf. eingelegt! Trotzdem gelangen zu diesem Zeitpunkte die versicherten 1000 Mark voll zur Auszahlung, während bei früherem Tode euers Töchterchens die von euch ge¬ leisteten Beiträge nicht verloren sind, sondern mit 3^ Prozent einfachen Zinsen nach Abzug eines kleinen Betrages für die Verwaltungskosten an euch zurück¬ gezahlt werden. Ihr seid natürlich entzückt von dieser Idee, und uoch mehr werdet ihr dafür gewonnen, wenn der Agent euch auseinandersetzt, daß ihr, einmal im Besitz des Versicherungsscheins, gewissermaßen durch die Gesellschaft zum Sparen angehalten werdet. Den löblichen Vorsatz dazu faßt ja wohl so mancher von euch; aber, du lieber Gott, kommt dann der Vierteljahrsschluß heran, wo Mietzins und Schulgeld fällig wird, wo die Rechnungen einlaufen vom Fleischer und vom Bäcker, vom Schuhmacher und vom Schneider, so wendet ihr euch seufzend ab und verschiebt das Zurücklegen von Ersparnissen auf den nächsten Termin. Ist aber euer Kind erst versichert, so hebt ihr die Versicherung uicht so leicht wieder auf, und kommt der Bote mit der Prämienquittung, so bezahlt ihr sie wie so manches andre, was im Haushalt ursprünglich nicht vorgesehen war. Nun aber die Kehrseite der Sache! Fünfzehn Jahre sind ein langer Zeitraum. Darin können eure Vermögens¬ verhältnisse eine völlige Änderung erfahren, ihr selbst könnt durch den Tod hinweggerafft werden, und eure Hinterbliebenen können zu Entbehrungen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/350>, abgerufen am 22.05.2024.