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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Zur Land- und Bodenfrage.

zerlegen, sondern auch alle diejenigen Anordnungen und Einrichtungen zu treffen,
welche das soziale Zusammenleben der Ansiedler ermöglichen. Das auf diese
Weise entstandene neue Dorf heißt Neufteesow. Die neue Gemeinde ist bereits
gebildet, sie hat ihren Ortsvorstand gewählt und ist mit der Errichtung der
Kirche und der Schule beschäftigt, deren Lehrer ans der Ortskasse besoldet wird.
Die Höfe messen 40 bis 60 Morgen Acker, 5 Morgen Wiesen und 25 Morgen
Holz. Zehn größere Höfe messen 200 bis 300 Morgen.

Die norddeutsche Allgemeine Zeitung fand noch im vorigen Jahre die
Nachrichten über Neufteesow etwas zu optimistisch. Interessant ist, wie sie sich
in folgender Auslassung zwischen den Anschauungen ihrer konservativen und
großgrundbesitzenden Freunde und den praktischen Bedürfnissen des kranken so¬
zialen Körpers hindnrchwindet, im Grunde aber doch ihren Standpunkt für ver¬
loren hält und sich hinter die Schwierigkeiten verschanzt, welche mit der Par-
zellirung der Domänengüter verbunden sein würden. Es ist allerdings be¬
greiflich, daß ein Organ der Staatsregierung einer Reformbewegung nicht
geradezu entgegentreten kann, welche der Staat selbst im Posenschen mit einem
Aufwande von hundert Millionen ins Leben ruft, und es ändert hieran nichts,
daß dieses Staatsunternehmen mehr aus politischen als aus wirtschaftlichen
Beweggründen hervorgegangen ist.

Die norddeutsche Allgemeine Zeitung erklärt, daß sie von Anfang an keine
Voreingenommenheit gegen das Unternehmen des Herrn Sombart gehabt habe,
daß vielmehr alle, welche wahrhaft staatserhaltenden Tendenzen anhängen, aus
sozialpolitischen Gründen und aus Interesse an der Stärkung des landwirt¬
schaftlichen Mittelstandes wünschten, das Sombartsche Unternehmen möge Erfolg
haben. Wenn aber die Anklage erhoben werde, daß die Negierung sich noch
nicht bereit gezeigt habe, nach dem ihr nun doch bekannten Sombartschen Rezept
einen großen Teil der Staatsdomänen zu Parzelliren, so entgegnet sie wörtlich
(für das schöne Deutsch bitten wir nicht die Grenzboten verantwortlich zu
machen):

Es braucht keineswegs verkannt zu werden, daß sowohl sozialpolitische, als
Erwägungen, die darauf abzielen, auf welche Weise unsre innern politischen und
wirtschaftlichen Verhältnisse zu konsolidiren sind, dazu führen können, eine Ver¬
mehrung des mittleren und kleineren Grundbesitzes, d. h. der mittleren und kleineren
landwirtschaftlich-selbständigen Existenzen, auf Kosten des landwirtschaftlichen Groß-
besitzes zu wünschen: aber das Projekt des Herrn Sombart erscheint doch hin¬
sichtlich des schließlichen durchschlagenden Erfolges noch lange nicht gesichert genug,
um auch nur theoretisch die Forderung erheben zu dürfen, der Staat solle es
aus eben berührten Bewegungen generalisiren -- abgesehen davon, daß praktisch
die Ausführung solcher, im Prinzip etwa beschlossenen, Parzellirungen je nach den
lokalen Bedingungen, die nun einmal stets gegebene sind, die man sich nicht um¬
gestalten kann, sehr verschieden gedacht werden könnte. Wir haben schon früher
darauf aufmerksam gemacht, daß die Frage der Grundbesitzverteilung zwei sich ent¬
gegenstehende Seiten hat. Der landwirtschaftliche Großbetrieb nämlich


Zur Land- und Bodenfrage.

zerlegen, sondern auch alle diejenigen Anordnungen und Einrichtungen zu treffen,
welche das soziale Zusammenleben der Ansiedler ermöglichen. Das auf diese
Weise entstandene neue Dorf heißt Neufteesow. Die neue Gemeinde ist bereits
gebildet, sie hat ihren Ortsvorstand gewählt und ist mit der Errichtung der
Kirche und der Schule beschäftigt, deren Lehrer ans der Ortskasse besoldet wird.
Die Höfe messen 40 bis 60 Morgen Acker, 5 Morgen Wiesen und 25 Morgen
Holz. Zehn größere Höfe messen 200 bis 300 Morgen.

Die norddeutsche Allgemeine Zeitung fand noch im vorigen Jahre die
Nachrichten über Neufteesow etwas zu optimistisch. Interessant ist, wie sie sich
in folgender Auslassung zwischen den Anschauungen ihrer konservativen und
großgrundbesitzenden Freunde und den praktischen Bedürfnissen des kranken so¬
zialen Körpers hindnrchwindet, im Grunde aber doch ihren Standpunkt für ver¬
loren hält und sich hinter die Schwierigkeiten verschanzt, welche mit der Par-
zellirung der Domänengüter verbunden sein würden. Es ist allerdings be¬
greiflich, daß ein Organ der Staatsregierung einer Reformbewegung nicht
geradezu entgegentreten kann, welche der Staat selbst im Posenschen mit einem
Aufwande von hundert Millionen ins Leben ruft, und es ändert hieran nichts,
daß dieses Staatsunternehmen mehr aus politischen als aus wirtschaftlichen
Beweggründen hervorgegangen ist.

Die norddeutsche Allgemeine Zeitung erklärt, daß sie von Anfang an keine
Voreingenommenheit gegen das Unternehmen des Herrn Sombart gehabt habe,
daß vielmehr alle, welche wahrhaft staatserhaltenden Tendenzen anhängen, aus
sozialpolitischen Gründen und aus Interesse an der Stärkung des landwirt¬
schaftlichen Mittelstandes wünschten, das Sombartsche Unternehmen möge Erfolg
haben. Wenn aber die Anklage erhoben werde, daß die Negierung sich noch
nicht bereit gezeigt habe, nach dem ihr nun doch bekannten Sombartschen Rezept
einen großen Teil der Staatsdomänen zu Parzelliren, so entgegnet sie wörtlich
(für das schöne Deutsch bitten wir nicht die Grenzboten verantwortlich zu
machen):

Es braucht keineswegs verkannt zu werden, daß sowohl sozialpolitische, als
Erwägungen, die darauf abzielen, auf welche Weise unsre innern politischen und
wirtschaftlichen Verhältnisse zu konsolidiren sind, dazu führen können, eine Ver¬
mehrung des mittleren und kleineren Grundbesitzes, d. h. der mittleren und kleineren
landwirtschaftlich-selbständigen Existenzen, auf Kosten des landwirtschaftlichen Groß-
besitzes zu wünschen: aber das Projekt des Herrn Sombart erscheint doch hin¬
sichtlich des schließlichen durchschlagenden Erfolges noch lange nicht gesichert genug,
um auch nur theoretisch die Forderung erheben zu dürfen, der Staat solle es
aus eben berührten Bewegungen generalisiren — abgesehen davon, daß praktisch
die Ausführung solcher, im Prinzip etwa beschlossenen, Parzellirungen je nach den
lokalen Bedingungen, die nun einmal stets gegebene sind, die man sich nicht um¬
gestalten kann, sehr verschieden gedacht werden könnte. Wir haben schon früher
darauf aufmerksam gemacht, daß die Frage der Grundbesitzverteilung zwei sich ent¬
gegenstehende Seiten hat. Der landwirtschaftliche Großbetrieb nämlich


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[0522] Zur Land- und Bodenfrage. zerlegen, sondern auch alle diejenigen Anordnungen und Einrichtungen zu treffen, welche das soziale Zusammenleben der Ansiedler ermöglichen. Das auf diese Weise entstandene neue Dorf heißt Neufteesow. Die neue Gemeinde ist bereits gebildet, sie hat ihren Ortsvorstand gewählt und ist mit der Errichtung der Kirche und der Schule beschäftigt, deren Lehrer ans der Ortskasse besoldet wird. Die Höfe messen 40 bis 60 Morgen Acker, 5 Morgen Wiesen und 25 Morgen Holz. Zehn größere Höfe messen 200 bis 300 Morgen. Die norddeutsche Allgemeine Zeitung fand noch im vorigen Jahre die Nachrichten über Neufteesow etwas zu optimistisch. Interessant ist, wie sie sich in folgender Auslassung zwischen den Anschauungen ihrer konservativen und großgrundbesitzenden Freunde und den praktischen Bedürfnissen des kranken so¬ zialen Körpers hindnrchwindet, im Grunde aber doch ihren Standpunkt für ver¬ loren hält und sich hinter die Schwierigkeiten verschanzt, welche mit der Par- zellirung der Domänengüter verbunden sein würden. Es ist allerdings be¬ greiflich, daß ein Organ der Staatsregierung einer Reformbewegung nicht geradezu entgegentreten kann, welche der Staat selbst im Posenschen mit einem Aufwande von hundert Millionen ins Leben ruft, und es ändert hieran nichts, daß dieses Staatsunternehmen mehr aus politischen als aus wirtschaftlichen Beweggründen hervorgegangen ist. Die norddeutsche Allgemeine Zeitung erklärt, daß sie von Anfang an keine Voreingenommenheit gegen das Unternehmen des Herrn Sombart gehabt habe, daß vielmehr alle, welche wahrhaft staatserhaltenden Tendenzen anhängen, aus sozialpolitischen Gründen und aus Interesse an der Stärkung des landwirt¬ schaftlichen Mittelstandes wünschten, das Sombartsche Unternehmen möge Erfolg haben. Wenn aber die Anklage erhoben werde, daß die Negierung sich noch nicht bereit gezeigt habe, nach dem ihr nun doch bekannten Sombartschen Rezept einen großen Teil der Staatsdomänen zu Parzelliren, so entgegnet sie wörtlich (für das schöne Deutsch bitten wir nicht die Grenzboten verantwortlich zu machen): Es braucht keineswegs verkannt zu werden, daß sowohl sozialpolitische, als Erwägungen, die darauf abzielen, auf welche Weise unsre innern politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu konsolidiren sind, dazu führen können, eine Ver¬ mehrung des mittleren und kleineren Grundbesitzes, d. h. der mittleren und kleineren landwirtschaftlich-selbständigen Existenzen, auf Kosten des landwirtschaftlichen Groß- besitzes zu wünschen: aber das Projekt des Herrn Sombart erscheint doch hin¬ sichtlich des schließlichen durchschlagenden Erfolges noch lange nicht gesichert genug, um auch nur theoretisch die Forderung erheben zu dürfen, der Staat solle es aus eben berührten Bewegungen generalisiren — abgesehen davon, daß praktisch die Ausführung solcher, im Prinzip etwa beschlossenen, Parzellirungen je nach den lokalen Bedingungen, die nun einmal stets gegebene sind, die man sich nicht um¬ gestalten kann, sehr verschieden gedacht werden könnte. Wir haben schon früher darauf aufmerksam gemacht, daß die Frage der Grundbesitzverteilung zwei sich ent¬ gegenstehende Seiten hat. Der landwirtschaftliche Großbetrieb nämlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/522>, abgerufen am 22.05.2024.