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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Nach dar Entscheidung in Paris.

kammer gegen ihn aussprach. Als die von ihm zugesagte Botschaft ausblieb,
und als die Kammer darauf mit großer Mehrheit -- 531 Stimmen -- er¬
klärte, sie gedenke darauf zu warten, begriff der Präsident, daß das Ende ge¬
kommen sei und daß er sich in sein Schicksal zu ergeben habe. Infolge dessen
ließ er am Morgen des nächsten Tages beiden Häusern eine Mitteilung zu¬
gehen, die mit den Worten schloß: ,,Jch lege hiermit den Vürcans meinen Ver¬
zicht auf die Funktionen des Präsidenten der französischen Republik vor." Lcm-
Zuinmawiii 68t! Einem verfassungsmäßigen Herrscher, der eine so hohe Stellung
verläßt, gebührt Achtung, besonders wenn man das vorgerückte Alter Grevys
und die wertvollen Dienste, die sein Land ihm zu danken hat, ins Auge faßt
und der Regel eingedenk ist, die von den Toten nur Gutes zu sagen er¬
laubt. Auch mangelte es seiner Botschaft nicht an Takt und Würde. Gleich¬
wohl müssen wir sagen, daß dieser Abschiedsbrief mir dünn eine verdrießliche
Selbstsucht verschleiert, das Volk und seine Vertretung als sich widersprechend
darstellt und in ungenügendem Maße der traurigen Umstände und Vorfälle Er¬
wähnung thut, welche den unerwarteten Sturz herbeiführten. Es war sehr zu
wünschen, daß der Präsident sich in der Botschaft entschieden von seinem un¬
seligen Schwiegersöhne lossagte. Statt dessen begnügte er sich mit Schweigen
über ihn. Er beginnt: "So lange ich nnr mit den Schwierigkeiten, die
sich in der letzten Zeit auf meinem Pfade häuften, mit den Angriffen der
Presse, der Abwendung der Männer, welche die Stimme der Republik an meine
Seite rief, und der zunehmenden Unmöglichkeit, ein Ministerium zu bilden, zu
kämpfen hatte, kämpfte ich weiter und verblieb, wo die Pflicht mich bleiben
hieß." Dann beklagt er sich über das gebieterische Votum der Kammer, welches
in dem Augenblicke ergangen sei, wo die öffentliche Meinung sich zu seinen
Gunsten verändert habe, und nennt es eine Aufforderung zum Rücktritte. Er
würde, sagt er, ferner aus verfassungsmäßigen Gründen "nach Pflicht und Recht"
widerstanden haben, wenn er nicht durch die Abneigung, einen Konflikt zwischen
dem Parlament und der ausübenden Gewalt hervorzurufen, zurückgehalten worden
wäre. "Klugheit und Vaterlandsliebe -- fährt er fort -- gebieten mir jetzt,
nachzugeben," worauf er in Betreff der Folgen des ihm aufgezwungenen Schrittes
seine Hände in Unschuld wäscht und die Verantwortung für einen solchen Prä-
zedenzfall und seine möglichen Folgen denen überläßt, welche sie übernehmen.
Hier ist die Stelle, wo Herr Grevy sich erinnern mußte, daß die Beschuldigungen
gegen Wilson, so lange sie nicht gerichtlich als grundlos erwiesen waren, die
Ehre Frankreichs besudelten und nicht aus verfassungsmäßigen Rücksichten bei¬
seite gelassen werden durften. Er mußte sich, wenn er dazu fähig war, zu
denen gesellen, welche behaupten, die Republik sei bereits zum Untergange reif,
wenn sie nicht moralisch reiner als das Kaisertum sei. Die eigentliche Frage,
der hier ins Gesicht zu sehen war, lautete: Hatte er seinen Schwiegersohn aus
Parteilichkeit mit seinem Ansehen zu decken versucht oder aus Überzeugung, er


Nach dar Entscheidung in Paris.

kammer gegen ihn aussprach. Als die von ihm zugesagte Botschaft ausblieb,
und als die Kammer darauf mit großer Mehrheit — 531 Stimmen — er¬
klärte, sie gedenke darauf zu warten, begriff der Präsident, daß das Ende ge¬
kommen sei und daß er sich in sein Schicksal zu ergeben habe. Infolge dessen
ließ er am Morgen des nächsten Tages beiden Häusern eine Mitteilung zu¬
gehen, die mit den Worten schloß: ,,Jch lege hiermit den Vürcans meinen Ver¬
zicht auf die Funktionen des Präsidenten der französischen Republik vor." Lcm-
Zuinmawiii 68t! Einem verfassungsmäßigen Herrscher, der eine so hohe Stellung
verläßt, gebührt Achtung, besonders wenn man das vorgerückte Alter Grevys
und die wertvollen Dienste, die sein Land ihm zu danken hat, ins Auge faßt
und der Regel eingedenk ist, die von den Toten nur Gutes zu sagen er¬
laubt. Auch mangelte es seiner Botschaft nicht an Takt und Würde. Gleich¬
wohl müssen wir sagen, daß dieser Abschiedsbrief mir dünn eine verdrießliche
Selbstsucht verschleiert, das Volk und seine Vertretung als sich widersprechend
darstellt und in ungenügendem Maße der traurigen Umstände und Vorfälle Er¬
wähnung thut, welche den unerwarteten Sturz herbeiführten. Es war sehr zu
wünschen, daß der Präsident sich in der Botschaft entschieden von seinem un¬
seligen Schwiegersöhne lossagte. Statt dessen begnügte er sich mit Schweigen
über ihn. Er beginnt: „So lange ich nnr mit den Schwierigkeiten, die
sich in der letzten Zeit auf meinem Pfade häuften, mit den Angriffen der
Presse, der Abwendung der Männer, welche die Stimme der Republik an meine
Seite rief, und der zunehmenden Unmöglichkeit, ein Ministerium zu bilden, zu
kämpfen hatte, kämpfte ich weiter und verblieb, wo die Pflicht mich bleiben
hieß." Dann beklagt er sich über das gebieterische Votum der Kammer, welches
in dem Augenblicke ergangen sei, wo die öffentliche Meinung sich zu seinen
Gunsten verändert habe, und nennt es eine Aufforderung zum Rücktritte. Er
würde, sagt er, ferner aus verfassungsmäßigen Gründen „nach Pflicht und Recht"
widerstanden haben, wenn er nicht durch die Abneigung, einen Konflikt zwischen
dem Parlament und der ausübenden Gewalt hervorzurufen, zurückgehalten worden
wäre. „Klugheit und Vaterlandsliebe — fährt er fort — gebieten mir jetzt,
nachzugeben," worauf er in Betreff der Folgen des ihm aufgezwungenen Schrittes
seine Hände in Unschuld wäscht und die Verantwortung für einen solchen Prä-
zedenzfall und seine möglichen Folgen denen überläßt, welche sie übernehmen.
Hier ist die Stelle, wo Herr Grevy sich erinnern mußte, daß die Beschuldigungen
gegen Wilson, so lange sie nicht gerichtlich als grundlos erwiesen waren, die
Ehre Frankreichs besudelten und nicht aus verfassungsmäßigen Rücksichten bei¬
seite gelassen werden durften. Er mußte sich, wenn er dazu fähig war, zu
denen gesellen, welche behaupten, die Republik sei bereits zum Untergange reif,
wenn sie nicht moralisch reiner als das Kaisertum sei. Die eigentliche Frage,
der hier ins Gesicht zu sehen war, lautete: Hatte er seinen Schwiegersohn aus
Parteilichkeit mit seinem Ansehen zu decken versucht oder aus Überzeugung, er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/570>, abgerufen am 22.05.2024.