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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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sei völlig unschuldig? Die Botschaft gleitet über diese Hauptfrage viel zu leicht
hinweg und sucht in ihren Schlußsätzen mit Pathos Frankreich gegen seine ge¬
setzmäßigen Vertreter aufzuregen. "Ich lege -- so heißt es da -- ohne Be¬
dauern, doch nicht ohne Trauer die Wurde nieder, zu der ich zwei mal ohne
mein Zuthun erhoben wurde, und in der ich mir meine Schuldigkeit gethan zu
haben bewußt bin. Dafür rufe ich Frankreichs Zeugnis an. Frankreich wird
sagen, daß meine Regierung dem Lande neun Jahre hindurch den Frieden, die
Ordnung und die Freiheit erhalten, daß sie Frankreich über die ganze Welt hin
geachtet gemacht, daß sie unablässig an seiner Hebung gearbeitet hat und es in¬
mitten des bewaffneten Europas in einer Verfassung verläßt, in der es seine
Ehre und seine Rechte zu verteidige" vermag. Sie ist außerdem imstande ge¬
wesen, im Innern die Republik in den weisen Geleisen zu erhalten, die für sie
dnrch die Interessen und Wünsche des Landes vorgezeichnet sind. Frankreich
wird sagen, daß ich zum Danke dafür von dem Posten entfernt worden bin,
auf den sein Vertrauen mich gestellt hat."

Hierin liegt ohne Zweifel manches, dem das Gewissen der Franzosen zu¬
stimmen wird, und es war nur in der Ordnung, daß beide Hänser des Pariser
Parlaments die Abschicdsworte ihres betagten Präsidenten mit einem tiefen
Schweigen, das mehr Hochachtung als Groll bedeutet haben wird, vorlesen
hörten. Die Eigenschaften des grauhaarigen Advokaten, der plötzlich aus Halb¬
dunkel auf die Höhe des Staatshauptes erhoben wurde, obwohl er kein glän¬
zender und ungewöhnlicher Geist, sondern wenig mehr als "gesinnungstüchtig" war,
haben in der That im großen und ganzen Gutes bewirkt. Sem nächster Vor¬
gänger spann Ränke zur Änderung der Regierungsform und hätte, wenn die
weiße Fahne Graf Chambords nicht gewesen wäre, die Rolle Monts gespielt.
Thiers, der Vorgänger Macmcihons, trug auf seinen Schultern die an Deutsch¬
land gezählten Milliarden und an seinen Händen das Blut der Pariser Kom¬
munarden. Grevy brachte mit sich ruhige Zeiten und feste Anhänglichkeit der
Mehrzahl der Franzosen an die Republik, der er in seiner politischen Denkweise
und Führung ein Beispiel hinterlassen hat, was ein Parlamentarisch beschränkter
Regent sein soll. Er zögerte nicht, kaiserliche und königliche Prinzen zu ver¬
bannen, als die Interessen der Republik es zu erfordern schienen. Mit nnstör-
barem Gleichmut nahm er jedes Ministerium an, welches die Kammer ihm zu¬
wies. Er war einfach und demokratisch in seinem Privatleben, wie es sein Amt
verlangte, und mehr als einmal führte er den Staat ohne Schaden neben
schweren politischen Gefahren hin. Noch jetzt hat kein Hauch von Verdacht
"nsanberer Selbstsucht den Expräsidentcn persönlich gestreift, kein Vorwurf ihn
getroffen, als der zu großer Liebe zu seiner Familie. Es ist möglich, daß man
einmal bedauert, ihm das nicht verziehen zu haben. Wir begegnen in den letzten
Worten seiner Botschaft einem aufrichtigen Patriotismus und Befürchtungen, die
augenscheinlich von Herzen kommen. Es heißt da: "Indem ich aus dem poli-


sei völlig unschuldig? Die Botschaft gleitet über diese Hauptfrage viel zu leicht
hinweg und sucht in ihren Schlußsätzen mit Pathos Frankreich gegen seine ge¬
setzmäßigen Vertreter aufzuregen. „Ich lege — so heißt es da — ohne Be¬
dauern, doch nicht ohne Trauer die Wurde nieder, zu der ich zwei mal ohne
mein Zuthun erhoben wurde, und in der ich mir meine Schuldigkeit gethan zu
haben bewußt bin. Dafür rufe ich Frankreichs Zeugnis an. Frankreich wird
sagen, daß meine Regierung dem Lande neun Jahre hindurch den Frieden, die
Ordnung und die Freiheit erhalten, daß sie Frankreich über die ganze Welt hin
geachtet gemacht, daß sie unablässig an seiner Hebung gearbeitet hat und es in¬
mitten des bewaffneten Europas in einer Verfassung verläßt, in der es seine
Ehre und seine Rechte zu verteidige» vermag. Sie ist außerdem imstande ge¬
wesen, im Innern die Republik in den weisen Geleisen zu erhalten, die für sie
dnrch die Interessen und Wünsche des Landes vorgezeichnet sind. Frankreich
wird sagen, daß ich zum Danke dafür von dem Posten entfernt worden bin,
auf den sein Vertrauen mich gestellt hat."

Hierin liegt ohne Zweifel manches, dem das Gewissen der Franzosen zu¬
stimmen wird, und es war nur in der Ordnung, daß beide Hänser des Pariser
Parlaments die Abschicdsworte ihres betagten Präsidenten mit einem tiefen
Schweigen, das mehr Hochachtung als Groll bedeutet haben wird, vorlesen
hörten. Die Eigenschaften des grauhaarigen Advokaten, der plötzlich aus Halb¬
dunkel auf die Höhe des Staatshauptes erhoben wurde, obwohl er kein glän¬
zender und ungewöhnlicher Geist, sondern wenig mehr als „gesinnungstüchtig" war,
haben in der That im großen und ganzen Gutes bewirkt. Sem nächster Vor¬
gänger spann Ränke zur Änderung der Regierungsform und hätte, wenn die
weiße Fahne Graf Chambords nicht gewesen wäre, die Rolle Monts gespielt.
Thiers, der Vorgänger Macmcihons, trug auf seinen Schultern die an Deutsch¬
land gezählten Milliarden und an seinen Händen das Blut der Pariser Kom¬
munarden. Grevy brachte mit sich ruhige Zeiten und feste Anhänglichkeit der
Mehrzahl der Franzosen an die Republik, der er in seiner politischen Denkweise
und Führung ein Beispiel hinterlassen hat, was ein Parlamentarisch beschränkter
Regent sein soll. Er zögerte nicht, kaiserliche und königliche Prinzen zu ver¬
bannen, als die Interessen der Republik es zu erfordern schienen. Mit nnstör-
barem Gleichmut nahm er jedes Ministerium an, welches die Kammer ihm zu¬
wies. Er war einfach und demokratisch in seinem Privatleben, wie es sein Amt
verlangte, und mehr als einmal führte er den Staat ohne Schaden neben
schweren politischen Gefahren hin. Noch jetzt hat kein Hauch von Verdacht
»nsanberer Selbstsucht den Expräsidentcn persönlich gestreift, kein Vorwurf ihn
getroffen, als der zu großer Liebe zu seiner Familie. Es ist möglich, daß man
einmal bedauert, ihm das nicht verziehen zu haben. Wir begegnen in den letzten
Worten seiner Botschaft einem aufrichtigen Patriotismus und Befürchtungen, die
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/571>, abgerufen am 15.06.2024.