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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Line Fahrt in den Grient.

bei verschiednen tschechisch-mährischen Stationsnamen und zuletzt in Znaim.
Von dort ging es durch anmutige Strecken an Rebenhügeln vorüber durch
Gcinserndorf, von wo im Jahre 1866 preußische Soldaten nach dem Stephans¬
dom schauen konnten, nach der Stadt, welche einst allein in Deutschland den
Rang einer kaiserlichen in Anspruch nehmen durfte. Wollt ihr den Gegensatz
zwischen norddeutschen und österreichischem Wesen sofort erkennen, so genügt die
Erwähnung, daß unser Schnellzug mit der landesüblichen Verspätung von einer
halben Stunde in Wien anlangte.

In Wien, wo mich mein Reisebegleiter erwartete, sollte nur eine Tagesrast
gemacht werden, um diesem wenigstens einen oberflächlichen Einblick in die öster¬
reichische Hauptstadt zu gewähren. Wir nutzten daher unsern Tag tüchtig aus,
und es kam uns dabei sehr zu statten, daß ich in Wien, wie die Italiener sagen,
xrMeo bin, und weder eines Studiums von Plan und Bädeker noch sonstiger
Befragung bedürfte. Wenn es auch vom staatspolitischen Standpunkte aus
richtig ist, was Mäcenas dem Augustus bemerkte, daß nicht Häuser und Straßen
die Städte ausmachen, sondern die Menschen, so ließen wir doch diesen Satz
für unsern minder politischen Zweck nicht Richtschnur sein. Von dem inwen¬
digen Wien sahen wir nur die Bildergalerie im Belvedere, die wiederzusehen ich
nicht unterlassen konnte, Se. Stephan und die zierliche Votivkirche. Übrigens
ist uns Wien, wenn ich noch einmal von hier aus Berlinerisch reden kann,
nicht bloß in Bezug ans letztere "über," die wir es immer noch zu keiner
sehenswürdiger Kirche gebracht haben, es hat uns auch -- und hier teilen wir
das Schicksal mit Paris -- durch seine Ringstraße weit übertroffen. Seit
meiner letzten Anwesenheit sind die Prachtbauten auf ihr teils in ihrem Rohbau
vollendet, teils schon von ihren Gerüsten befreit oder gar ihrer Bestimmung
übergeben. Ich muß aber freilich bekennen, daß die Anwendung der verschiedensten
Baustile auf mich befremdend wirkte und daß sie sicherlich dazu beiträgt, daß
nicht jedem einzelnen Gebunde die volle Aufmerksamkeit zugewendet wird. Be¬
trachtet man die klassischen Museumsbauten, so schweift schon das Auge über
den Renaissancebau des Parlaments und das neue gotische Rathaus; vertieft
man sich in die einfachere Frührenaissance der Universität, so ziehen die durch¬
brochenen Türme und Spitzen der gotischen Votivkirche die Aufmerksamkeit auf
sich. Es war mir, wie wenn man Bücher mit ganz verschiednen Inhalt auf
einmal liest, indem man von dem Blatt des einen auf das Blatt des andern über¬
springt, wie es, wenn ich nicht irre, Philine im Wilhelm Meister einmal im
Übermute thut. Soll man also von dem Nachbarbau nicht gestört werden, so
müßte man jene Jsolirstühle haben, wie sie in den Kirchen der Zellengcfüng-
nisse üblich sind, die die Blicke des Sitzenden lediglich nach der Kanzel richten
und von Abschweifungen nach rechts und links fernhalten. Wie dem aber auch
sei, der lange Zug breiter Straßen mit monumentalen Bauten, von Zeit zu
Zeit durch breite Plätze durchbrochen, die im Hintergründe mit hohen grünen


Line Fahrt in den Grient.

bei verschiednen tschechisch-mährischen Stationsnamen und zuletzt in Znaim.
Von dort ging es durch anmutige Strecken an Rebenhügeln vorüber durch
Gcinserndorf, von wo im Jahre 1866 preußische Soldaten nach dem Stephans¬
dom schauen konnten, nach der Stadt, welche einst allein in Deutschland den
Rang einer kaiserlichen in Anspruch nehmen durfte. Wollt ihr den Gegensatz
zwischen norddeutschen und österreichischem Wesen sofort erkennen, so genügt die
Erwähnung, daß unser Schnellzug mit der landesüblichen Verspätung von einer
halben Stunde in Wien anlangte.

In Wien, wo mich mein Reisebegleiter erwartete, sollte nur eine Tagesrast
gemacht werden, um diesem wenigstens einen oberflächlichen Einblick in die öster¬
reichische Hauptstadt zu gewähren. Wir nutzten daher unsern Tag tüchtig aus,
und es kam uns dabei sehr zu statten, daß ich in Wien, wie die Italiener sagen,
xrMeo bin, und weder eines Studiums von Plan und Bädeker noch sonstiger
Befragung bedürfte. Wenn es auch vom staatspolitischen Standpunkte aus
richtig ist, was Mäcenas dem Augustus bemerkte, daß nicht Häuser und Straßen
die Städte ausmachen, sondern die Menschen, so ließen wir doch diesen Satz
für unsern minder politischen Zweck nicht Richtschnur sein. Von dem inwen¬
digen Wien sahen wir nur die Bildergalerie im Belvedere, die wiederzusehen ich
nicht unterlassen konnte, Se. Stephan und die zierliche Votivkirche. Übrigens
ist uns Wien, wenn ich noch einmal von hier aus Berlinerisch reden kann,
nicht bloß in Bezug ans letztere „über," die wir es immer noch zu keiner
sehenswürdiger Kirche gebracht haben, es hat uns auch — und hier teilen wir
das Schicksal mit Paris — durch seine Ringstraße weit übertroffen. Seit
meiner letzten Anwesenheit sind die Prachtbauten auf ihr teils in ihrem Rohbau
vollendet, teils schon von ihren Gerüsten befreit oder gar ihrer Bestimmung
übergeben. Ich muß aber freilich bekennen, daß die Anwendung der verschiedensten
Baustile auf mich befremdend wirkte und daß sie sicherlich dazu beiträgt, daß
nicht jedem einzelnen Gebunde die volle Aufmerksamkeit zugewendet wird. Be¬
trachtet man die klassischen Museumsbauten, so schweift schon das Auge über
den Renaissancebau des Parlaments und das neue gotische Rathaus; vertieft
man sich in die einfachere Frührenaissance der Universität, so ziehen die durch¬
brochenen Türme und Spitzen der gotischen Votivkirche die Aufmerksamkeit auf
sich. Es war mir, wie wenn man Bücher mit ganz verschiednen Inhalt auf
einmal liest, indem man von dem Blatt des einen auf das Blatt des andern über¬
springt, wie es, wenn ich nicht irre, Philine im Wilhelm Meister einmal im
Übermute thut. Soll man also von dem Nachbarbau nicht gestört werden, so
müßte man jene Jsolirstühle haben, wie sie in den Kirchen der Zellengcfüng-
nisse üblich sind, die die Blicke des Sitzenden lediglich nach der Kanzel richten
und von Abschweifungen nach rechts und links fernhalten. Wie dem aber auch
sei, der lange Zug breiter Straßen mit monumentalen Bauten, von Zeit zu
Zeit durch breite Plätze durchbrochen, die im Hintergründe mit hohen grünen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/59>, abgerufen am 22.05.2024.