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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Line Fahrt in den Grient.

Bergen abschließen, wird immer ein herzerfreuender Anblick sein. Wir waren
vom Gehen und Sehen allmählich müde geworden und nach den reichen Ge¬
nüssen von Malerei und Architektur für weitere Kunstnahrung nicht mehr em¬
pfänglich. Aber ihr wißt, daß man in den ersten Tagen der Freiheit nicht
immer einen maßvollen und weisen Gebrauch von ihr macht. So gingen wir
noch in das prächtige Opernhaus, wo man Robert den Teufel gab. Unsre
Sinne neu zu beleben, hätte es aber mindestens einiger Wagnerscher Trom¬
petenstöße und Weckmotive bedurft; die weiten, allzu bequemen Lehnsessel trugen
den Sieg über die von uns ohnehin nicht geliebte Mcherbeersche Musik davon.
Wir fanden uns nach dem zweiten Akte völlig überflüssig in dem Hause, und
auch die dunkeln Augen der schönen Wienerinnen fesselten uns nicht.




Wir haben Wien in aller Frühe und ohne Trennungsschmerz verlassen;
denn es regnete schon seit dem verflossenen Abend unaufhörlich und wir glaubten
durch eine sofortige Abreise auch dem schlechten Wetter entgehen zu können. So
schnell erreichten wir freilich unsern Zweck nicht. Das Marchfeld und die ganze
weite fruchtbare Ebene bis Preßburg konnten wir kaum durch die vom Regen
undurchsichtig gewordenen Fenster betrachten, und wir wären gewiß über den
Beginn unsrer Orientsahrt in melancholische Gedanken versunken, hätte nicht die
ungarische Reisegesellschaft die Unterhaltung belebt -- lauter angeblich echte
Magyaren, die aber alle vortrefflich Deutsch sprachen und bei ihren deutschen
Namen wohl selbst nicht recht an ihr unverfälschtes Ungartum glaubten. Später
heiterte sich aber auch der Himmel auf, die Donau mit ihren schönen, hier an
den Rhein erinnernden Ufern wurde sichtbar; Gran mit seiner neuen Kuppel¬
kathedrale, Vischegrad mit seinen Ruinen zeigten sich von der einen Seite, von
der andern strotzten die Hügel von Weinstöcken, von denen wir um ein Geringes
bereits reife, dunkle Trauben erwarben. Schneller, als wir glaubten, hielten
wir in der zweiten Hauptstadt der österreichisch-ungarischen Monarchie unsern
Einzug.

Aus dem Nationalitätenprinzip unsrer Zeit hat sich alsbald als Aus¬
schreitung eine Nationalitäteneifersucht entwickelt, und es ist eigentümlich, daß,
während der Erfindungsgeist der Menschen sich abmüht, neue Mittel zu ent¬
decken, welche die Völker einander näher bringen, sich diese möglichst von
einander zu trennen suchen. Bei den großen knlturtrcigenden Nationen enthält
dieser Zug ein berechtigtes Selbstbewußtsein, bei den kleinen wird er zur Lächer¬
lichkeit und übertrifft die Grenz-, Zoll- und Postschercrei des früheren Abso¬
lutismus um ein bedeutendes. Denn was nützt es, daß in Pest auf der Straße
fast nur Deutsch gesprochen wird? Alle Straßennamen und Kaufmannsschilder,
alle Droschken- und Schiffstaxen, alle Eisenbahnpläne sind magyarisch. Die
deutschen Reisehandbücher reichen deshalb nicht aus, und es wäre nötig, daß


Line Fahrt in den Grient.

Bergen abschließen, wird immer ein herzerfreuender Anblick sein. Wir waren
vom Gehen und Sehen allmählich müde geworden und nach den reichen Ge¬
nüssen von Malerei und Architektur für weitere Kunstnahrung nicht mehr em¬
pfänglich. Aber ihr wißt, daß man in den ersten Tagen der Freiheit nicht
immer einen maßvollen und weisen Gebrauch von ihr macht. So gingen wir
noch in das prächtige Opernhaus, wo man Robert den Teufel gab. Unsre
Sinne neu zu beleben, hätte es aber mindestens einiger Wagnerscher Trom¬
petenstöße und Weckmotive bedurft; die weiten, allzu bequemen Lehnsessel trugen
den Sieg über die von uns ohnehin nicht geliebte Mcherbeersche Musik davon.
Wir fanden uns nach dem zweiten Akte völlig überflüssig in dem Hause, und
auch die dunkeln Augen der schönen Wienerinnen fesselten uns nicht.




Wir haben Wien in aller Frühe und ohne Trennungsschmerz verlassen;
denn es regnete schon seit dem verflossenen Abend unaufhörlich und wir glaubten
durch eine sofortige Abreise auch dem schlechten Wetter entgehen zu können. So
schnell erreichten wir freilich unsern Zweck nicht. Das Marchfeld und die ganze
weite fruchtbare Ebene bis Preßburg konnten wir kaum durch die vom Regen
undurchsichtig gewordenen Fenster betrachten, und wir wären gewiß über den
Beginn unsrer Orientsahrt in melancholische Gedanken versunken, hätte nicht die
ungarische Reisegesellschaft die Unterhaltung belebt — lauter angeblich echte
Magyaren, die aber alle vortrefflich Deutsch sprachen und bei ihren deutschen
Namen wohl selbst nicht recht an ihr unverfälschtes Ungartum glaubten. Später
heiterte sich aber auch der Himmel auf, die Donau mit ihren schönen, hier an
den Rhein erinnernden Ufern wurde sichtbar; Gran mit seiner neuen Kuppel¬
kathedrale, Vischegrad mit seinen Ruinen zeigten sich von der einen Seite, von
der andern strotzten die Hügel von Weinstöcken, von denen wir um ein Geringes
bereits reife, dunkle Trauben erwarben. Schneller, als wir glaubten, hielten
wir in der zweiten Hauptstadt der österreichisch-ungarischen Monarchie unsern
Einzug.

Aus dem Nationalitätenprinzip unsrer Zeit hat sich alsbald als Aus¬
schreitung eine Nationalitäteneifersucht entwickelt, und es ist eigentümlich, daß,
während der Erfindungsgeist der Menschen sich abmüht, neue Mittel zu ent¬
decken, welche die Völker einander näher bringen, sich diese möglichst von
einander zu trennen suchen. Bei den großen knlturtrcigenden Nationen enthält
dieser Zug ein berechtigtes Selbstbewußtsein, bei den kleinen wird er zur Lächer¬
lichkeit und übertrifft die Grenz-, Zoll- und Postschercrei des früheren Abso¬
lutismus um ein bedeutendes. Denn was nützt es, daß in Pest auf der Straße
fast nur Deutsch gesprochen wird? Alle Straßennamen und Kaufmannsschilder,
alle Droschken- und Schiffstaxen, alle Eisenbahnpläne sind magyarisch. Die
deutschen Reisehandbücher reichen deshalb nicht aus, und es wäre nötig, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/60>, abgerufen am 15.06.2024.