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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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?er neue Katalog der Dresdner Gemäldegalerie.

eine Aufzählung seiner Hauptwerke hinzugefügt wird. Am weitesten ist in
dieser Hinsicht Eduard von Engerth in dem beschreibenden Verzeichnis der Ge¬
mälde des Wiener Belvedere gegangen, in welchem nicht nur die Biographieen
der Künstler zu kleineren oder größeren Charakterbildern erweitert worden sind,
sondern auch die Geschichte vieler Bilder sehr ausführlich behandelt worden ist.
Dadurch ist der Katalog zu drei stattlichen Bänden in Großoktav angewachsen,
welche als wissenschaftliches Hilfsmittel gewiß sehr brauchbar sind, aber die
nächste Bestimmung eines Gemäldeverzeichnisses, in der Galerie vor den Bildern
benutzt zu werden, nicht erfüllen. Ein Zuviel nach einer andern Seite bietet
das im übrigen ebenfalls sehr verdienstliche und fleißig gearbeitete "Beschreibende
Verzeichnis der Werke älterer Meister in der großherzoglichen Gemäldegalerie
zu Schwerin" von Dr. Friedrich Schlie, indem der Verfasser unter Anwendung
der Grundsätze der klassischen Archäologie einerseits die Gemälde zu ausführlich
beschrieb, anderseits in der Facsimilcnachln'ldung der Monogramme und Namen¬
inschriften verschiedner Meister von untergeordneter Bedeutung zu weit ging
und dadurch überflüssige Wiederholungen verursachte, welche den Umfang des
Katalogs unbequem gemacht haben.

Gegen die Anwendung solcher Grundsätze hat Julius Meyer im Vorwort
zur zweiten Auflage des Verzeichnisses der Berliner Gemäldegalerie (1833)
treffende Gründe angeführt, indem er n. a. darauf hinwies, daß die antike
Kunstgeschichte es "vorwiegend mit Typen zu thun" und "insbesondre plastische
Denkmäler und damit Figuren und Gegenstände zu verzeichnen habe, welche,
aus dem Weltganzen gleichsam herausgehoben, von ihrer Umgebung abgetrennt,
zu fester, in sich abgeschlossener Gestaltung gebracht sind." Die Malerei da¬
gegen "umfaßt umgekehrt die Gegenstände ebensowohl in ihrem individuellen
Charakter als in der unendlichen Mannichfaltigkeit ihrer Beziehungen zur um¬
gebenden Welt; sie giebt mithin nicht typische Gestalten, sondern ganze Welt¬
ausschnitte. . .. Hier scheint eine erschöpfende Beschreibung gar nicht möglich,
und wo sie dennoch versucht werden sollte, eher verwirrend als aufklärend
zu sein."

War schon die erste Auflage des Berliner Katalogs (1373) gleichsam der
Niederschlag des damaligen kunstgeschichtlichen Wissens, das Spiegelbild des
damaligen Standpunktes der Bilderkritik, so gilt dies in noch höherm Grade
von der zweiten Auflage. Man war inzwischen zu der Erkenntnis gelangt, daß
ein kritisches Verzeichnis von Bildern, welche verschiednen Zeiten und ver-
schiednen Schulen angehören, und die damit verbundenen Untersuchungen über
die Lebensumstände ihrer Urheber die wissenschaftlichen Kräfte eines Einzelnen
übersteigen, daß vielmehr Spezialisten. welche die Erforschung abgesonderter
Gebiete der Kunstgeschichte zu ihrer Lebensaufgabe gemacht haben, zur Mit¬
arbeiterschaft herangezogen werden müssen. So eröffnet das Berliner Verzeichnis,
das auch noch in andern Punkten, namentlich in Bezug auf die Fassung der


?er neue Katalog der Dresdner Gemäldegalerie.

eine Aufzählung seiner Hauptwerke hinzugefügt wird. Am weitesten ist in
dieser Hinsicht Eduard von Engerth in dem beschreibenden Verzeichnis der Ge¬
mälde des Wiener Belvedere gegangen, in welchem nicht nur die Biographieen
der Künstler zu kleineren oder größeren Charakterbildern erweitert worden sind,
sondern auch die Geschichte vieler Bilder sehr ausführlich behandelt worden ist.
Dadurch ist der Katalog zu drei stattlichen Bänden in Großoktav angewachsen,
welche als wissenschaftliches Hilfsmittel gewiß sehr brauchbar sind, aber die
nächste Bestimmung eines Gemäldeverzeichnisses, in der Galerie vor den Bildern
benutzt zu werden, nicht erfüllen. Ein Zuviel nach einer andern Seite bietet
das im übrigen ebenfalls sehr verdienstliche und fleißig gearbeitete „Beschreibende
Verzeichnis der Werke älterer Meister in der großherzoglichen Gemäldegalerie
zu Schwerin" von Dr. Friedrich Schlie, indem der Verfasser unter Anwendung
der Grundsätze der klassischen Archäologie einerseits die Gemälde zu ausführlich
beschrieb, anderseits in der Facsimilcnachln'ldung der Monogramme und Namen¬
inschriften verschiedner Meister von untergeordneter Bedeutung zu weit ging
und dadurch überflüssige Wiederholungen verursachte, welche den Umfang des
Katalogs unbequem gemacht haben.

Gegen die Anwendung solcher Grundsätze hat Julius Meyer im Vorwort
zur zweiten Auflage des Verzeichnisses der Berliner Gemäldegalerie (1833)
treffende Gründe angeführt, indem er n. a. darauf hinwies, daß die antike
Kunstgeschichte es „vorwiegend mit Typen zu thun" und „insbesondre plastische
Denkmäler und damit Figuren und Gegenstände zu verzeichnen habe, welche,
aus dem Weltganzen gleichsam herausgehoben, von ihrer Umgebung abgetrennt,
zu fester, in sich abgeschlossener Gestaltung gebracht sind." Die Malerei da¬
gegen „umfaßt umgekehrt die Gegenstände ebensowohl in ihrem individuellen
Charakter als in der unendlichen Mannichfaltigkeit ihrer Beziehungen zur um¬
gebenden Welt; sie giebt mithin nicht typische Gestalten, sondern ganze Welt¬
ausschnitte. . .. Hier scheint eine erschöpfende Beschreibung gar nicht möglich,
und wo sie dennoch versucht werden sollte, eher verwirrend als aufklärend
zu sein."

War schon die erste Auflage des Berliner Katalogs (1373) gleichsam der
Niederschlag des damaligen kunstgeschichtlichen Wissens, das Spiegelbild des
damaligen Standpunktes der Bilderkritik, so gilt dies in noch höherm Grade
von der zweiten Auflage. Man war inzwischen zu der Erkenntnis gelangt, daß
ein kritisches Verzeichnis von Bildern, welche verschiednen Zeiten und ver-
schiednen Schulen angehören, und die damit verbundenen Untersuchungen über
die Lebensumstände ihrer Urheber die wissenschaftlichen Kräfte eines Einzelnen
übersteigen, daß vielmehr Spezialisten. welche die Erforschung abgesonderter
Gebiete der Kunstgeschichte zu ihrer Lebensaufgabe gemacht haben, zur Mit¬
arbeiterschaft herangezogen werden müssen. So eröffnet das Berliner Verzeichnis,
das auch noch in andern Punkten, namentlich in Bezug auf die Fassung der


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[0102] ?er neue Katalog der Dresdner Gemäldegalerie. eine Aufzählung seiner Hauptwerke hinzugefügt wird. Am weitesten ist in dieser Hinsicht Eduard von Engerth in dem beschreibenden Verzeichnis der Ge¬ mälde des Wiener Belvedere gegangen, in welchem nicht nur die Biographieen der Künstler zu kleineren oder größeren Charakterbildern erweitert worden sind, sondern auch die Geschichte vieler Bilder sehr ausführlich behandelt worden ist. Dadurch ist der Katalog zu drei stattlichen Bänden in Großoktav angewachsen, welche als wissenschaftliches Hilfsmittel gewiß sehr brauchbar sind, aber die nächste Bestimmung eines Gemäldeverzeichnisses, in der Galerie vor den Bildern benutzt zu werden, nicht erfüllen. Ein Zuviel nach einer andern Seite bietet das im übrigen ebenfalls sehr verdienstliche und fleißig gearbeitete „Beschreibende Verzeichnis der Werke älterer Meister in der großherzoglichen Gemäldegalerie zu Schwerin" von Dr. Friedrich Schlie, indem der Verfasser unter Anwendung der Grundsätze der klassischen Archäologie einerseits die Gemälde zu ausführlich beschrieb, anderseits in der Facsimilcnachln'ldung der Monogramme und Namen¬ inschriften verschiedner Meister von untergeordneter Bedeutung zu weit ging und dadurch überflüssige Wiederholungen verursachte, welche den Umfang des Katalogs unbequem gemacht haben. Gegen die Anwendung solcher Grundsätze hat Julius Meyer im Vorwort zur zweiten Auflage des Verzeichnisses der Berliner Gemäldegalerie (1833) treffende Gründe angeführt, indem er n. a. darauf hinwies, daß die antike Kunstgeschichte es „vorwiegend mit Typen zu thun" und „insbesondre plastische Denkmäler und damit Figuren und Gegenstände zu verzeichnen habe, welche, aus dem Weltganzen gleichsam herausgehoben, von ihrer Umgebung abgetrennt, zu fester, in sich abgeschlossener Gestaltung gebracht sind." Die Malerei da¬ gegen „umfaßt umgekehrt die Gegenstände ebensowohl in ihrem individuellen Charakter als in der unendlichen Mannichfaltigkeit ihrer Beziehungen zur um¬ gebenden Welt; sie giebt mithin nicht typische Gestalten, sondern ganze Welt¬ ausschnitte. . .. Hier scheint eine erschöpfende Beschreibung gar nicht möglich, und wo sie dennoch versucht werden sollte, eher verwirrend als aufklärend zu sein." War schon die erste Auflage des Berliner Katalogs (1373) gleichsam der Niederschlag des damaligen kunstgeschichtlichen Wissens, das Spiegelbild des damaligen Standpunktes der Bilderkritik, so gilt dies in noch höherm Grade von der zweiten Auflage. Man war inzwischen zu der Erkenntnis gelangt, daß ein kritisches Verzeichnis von Bildern, welche verschiednen Zeiten und ver- schiednen Schulen angehören, und die damit verbundenen Untersuchungen über die Lebensumstände ihrer Urheber die wissenschaftlichen Kräfte eines Einzelnen übersteigen, daß vielmehr Spezialisten. welche die Erforschung abgesonderter Gebiete der Kunstgeschichte zu ihrer Lebensaufgabe gemacht haben, zur Mit¬ arbeiterschaft herangezogen werden müssen. So eröffnet das Berliner Verzeichnis, das auch noch in andern Punkten, namentlich in Bezug auf die Fassung der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/102>, abgerufen am 22.05.2024.