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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der neue Katalog der Dresdner Gemäldegalerie.

Künstlerbiographieen und der Bildcrbeschreibungen, mustergiltig ist, eine neue
Periode der Wissenschaft der Katalogisirung, welcher u. a. der von Franz
von Ueber verfaßte Katalog der alten Pinakothek zu München, ein Muster in
der knappen Behandlung des Stoffes und in der Berücksichtigung des prak¬
tischen Bedürfnisses, und das vor wenigen Wochen ausgegebene, in den Fach¬
kreisen rin großer Spannung erwartete Verzeichnis der Dresdner Gemälde¬
galerie von Dr, Karl Woermcinn angehören.*)

Mit der Ausgabe des letzter", welches in mehr als einer Hinsicht das
Interesse der Kunstfreunde in Anspruch nimmt, ist endlich einem Zustande ein
Ende gemacht worden, der seit fünfzehn Jahren das Ärgernis aller Einsichtigen
erregt hat. Woermanns Vorgänger, der 1882 verstorbene Maler Julius Hühner,
welcher den bis zum Erscheinen des neuen Verzeichnisses in der Galerie zum
Kauf aufgebotenen Katalog verfaßt hat -- er hatte es, Dank dem starken
Besuch der Dresdner Galerie, bis zu eiuer sechsten Auflage (1884) gebracht --,
verschloß sich so hartnäckig wie kaum ein zweiter aus dem jetzt völlig auf den Aus¬
sterbeetat gesetzten Kreise der Malerdirektoren gegen die Ergebnisse der geschicht¬
lichen Forschung. Jeden Versuch, einem verkannten oder mißachteten Meister sein
Besitztum zurückzugeben oder einen andern von ungerechter Belastung seines
Namens zu befreien, betrachtete er gewissermaßen als einen Einbruch in den
Besitzstand der Galerie, und da man den alten Herrn in seinen Eigentümlich¬
keiten schonen wollte, geschah es, daß eine der besten Galerien Deutschlands
lange Jahre hindurch den schlechtesten Katalog besaß, der die Besucher geradezu
irre führte. Das höchste Maß historischer Kritik, zu welchem sich Hübner in
der letzten Auflage seines Katalogs verstanden hat, bestand darin, daß er in
den Anmerkungen Crowe und Cavalcaselle und einmal auch ihren Antipoden,
Giovanni Morelli, zitirt hat, ohne sich jedoch unbedingt ihren Bestimmungen
anzuschließen. Dagegen hat er die Untersuchungen W. Bodes in Zahns Jahr¬
büchern (1873), in welchen der erste Versuch einer gründlichen kritischen Be¬
leuchtung der Galerie gemacht worden ist, beharrlich ignorirt, wie er sich auch
uicht dazu entschließen konnte, jemals auch nur dem leisesten Zweifel an der
Echtheit der Holbeinschen Madonna Raum zu geben. Das Dresdner Exemplar
galt ihm als die spätere Wiederholung des Darmstädter Exemplars von der
Hand desselben Meisters. Heute, nachdem das letztere durch das Geschick des
Nestaurators Hauser in München von den spätern Übermalungen befreit worden
ist, ist der Streit endgiltig erledigt, und es handelt sich nur noch um die Frage
nach dem niederländischen Maler, der das Holbeinsche Bild im ersten Viertel
des siebzehnten Jahrhunderts kopirt hat.

Die Periode der Wissenschaft der Katalogisirung, welche durch Hübners



*) Katalog der königlichen Gcmiildcgalerie zu Dresden von Karl Woer-
mann, Direktor der Gemäldegalerie. Dresden, Druck von Wilhelm Hoffmann.
Der neue Katalog der Dresdner Gemäldegalerie.

Künstlerbiographieen und der Bildcrbeschreibungen, mustergiltig ist, eine neue
Periode der Wissenschaft der Katalogisirung, welcher u. a. der von Franz
von Ueber verfaßte Katalog der alten Pinakothek zu München, ein Muster in
der knappen Behandlung des Stoffes und in der Berücksichtigung des prak¬
tischen Bedürfnisses, und das vor wenigen Wochen ausgegebene, in den Fach¬
kreisen rin großer Spannung erwartete Verzeichnis der Dresdner Gemälde¬
galerie von Dr, Karl Woermcinn angehören.*)

Mit der Ausgabe des letzter», welches in mehr als einer Hinsicht das
Interesse der Kunstfreunde in Anspruch nimmt, ist endlich einem Zustande ein
Ende gemacht worden, der seit fünfzehn Jahren das Ärgernis aller Einsichtigen
erregt hat. Woermanns Vorgänger, der 1882 verstorbene Maler Julius Hühner,
welcher den bis zum Erscheinen des neuen Verzeichnisses in der Galerie zum
Kauf aufgebotenen Katalog verfaßt hat — er hatte es, Dank dem starken
Besuch der Dresdner Galerie, bis zu eiuer sechsten Auflage (1884) gebracht —,
verschloß sich so hartnäckig wie kaum ein zweiter aus dem jetzt völlig auf den Aus¬
sterbeetat gesetzten Kreise der Malerdirektoren gegen die Ergebnisse der geschicht¬
lichen Forschung. Jeden Versuch, einem verkannten oder mißachteten Meister sein
Besitztum zurückzugeben oder einen andern von ungerechter Belastung seines
Namens zu befreien, betrachtete er gewissermaßen als einen Einbruch in den
Besitzstand der Galerie, und da man den alten Herrn in seinen Eigentümlich¬
keiten schonen wollte, geschah es, daß eine der besten Galerien Deutschlands
lange Jahre hindurch den schlechtesten Katalog besaß, der die Besucher geradezu
irre führte. Das höchste Maß historischer Kritik, zu welchem sich Hübner in
der letzten Auflage seines Katalogs verstanden hat, bestand darin, daß er in
den Anmerkungen Crowe und Cavalcaselle und einmal auch ihren Antipoden,
Giovanni Morelli, zitirt hat, ohne sich jedoch unbedingt ihren Bestimmungen
anzuschließen. Dagegen hat er die Untersuchungen W. Bodes in Zahns Jahr¬
büchern (1873), in welchen der erste Versuch einer gründlichen kritischen Be¬
leuchtung der Galerie gemacht worden ist, beharrlich ignorirt, wie er sich auch
uicht dazu entschließen konnte, jemals auch nur dem leisesten Zweifel an der
Echtheit der Holbeinschen Madonna Raum zu geben. Das Dresdner Exemplar
galt ihm als die spätere Wiederholung des Darmstädter Exemplars von der
Hand desselben Meisters. Heute, nachdem das letztere durch das Geschick des
Nestaurators Hauser in München von den spätern Übermalungen befreit worden
ist, ist der Streit endgiltig erledigt, und es handelt sich nur noch um die Frage
nach dem niederländischen Maler, der das Holbeinsche Bild im ersten Viertel
des siebzehnten Jahrhunderts kopirt hat.

Die Periode der Wissenschaft der Katalogisirung, welche durch Hübners



*) Katalog der königlichen Gcmiildcgalerie zu Dresden von Karl Woer-
mann, Direktor der Gemäldegalerie. Dresden, Druck von Wilhelm Hoffmann.
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[0103] Der neue Katalog der Dresdner Gemäldegalerie. Künstlerbiographieen und der Bildcrbeschreibungen, mustergiltig ist, eine neue Periode der Wissenschaft der Katalogisirung, welcher u. a. der von Franz von Ueber verfaßte Katalog der alten Pinakothek zu München, ein Muster in der knappen Behandlung des Stoffes und in der Berücksichtigung des prak¬ tischen Bedürfnisses, und das vor wenigen Wochen ausgegebene, in den Fach¬ kreisen rin großer Spannung erwartete Verzeichnis der Dresdner Gemälde¬ galerie von Dr, Karl Woermcinn angehören.*) Mit der Ausgabe des letzter», welches in mehr als einer Hinsicht das Interesse der Kunstfreunde in Anspruch nimmt, ist endlich einem Zustande ein Ende gemacht worden, der seit fünfzehn Jahren das Ärgernis aller Einsichtigen erregt hat. Woermanns Vorgänger, der 1882 verstorbene Maler Julius Hühner, welcher den bis zum Erscheinen des neuen Verzeichnisses in der Galerie zum Kauf aufgebotenen Katalog verfaßt hat — er hatte es, Dank dem starken Besuch der Dresdner Galerie, bis zu eiuer sechsten Auflage (1884) gebracht —, verschloß sich so hartnäckig wie kaum ein zweiter aus dem jetzt völlig auf den Aus¬ sterbeetat gesetzten Kreise der Malerdirektoren gegen die Ergebnisse der geschicht¬ lichen Forschung. Jeden Versuch, einem verkannten oder mißachteten Meister sein Besitztum zurückzugeben oder einen andern von ungerechter Belastung seines Namens zu befreien, betrachtete er gewissermaßen als einen Einbruch in den Besitzstand der Galerie, und da man den alten Herrn in seinen Eigentümlich¬ keiten schonen wollte, geschah es, daß eine der besten Galerien Deutschlands lange Jahre hindurch den schlechtesten Katalog besaß, der die Besucher geradezu irre führte. Das höchste Maß historischer Kritik, zu welchem sich Hübner in der letzten Auflage seines Katalogs verstanden hat, bestand darin, daß er in den Anmerkungen Crowe und Cavalcaselle und einmal auch ihren Antipoden, Giovanni Morelli, zitirt hat, ohne sich jedoch unbedingt ihren Bestimmungen anzuschließen. Dagegen hat er die Untersuchungen W. Bodes in Zahns Jahr¬ büchern (1873), in welchen der erste Versuch einer gründlichen kritischen Be¬ leuchtung der Galerie gemacht worden ist, beharrlich ignorirt, wie er sich auch uicht dazu entschließen konnte, jemals auch nur dem leisesten Zweifel an der Echtheit der Holbeinschen Madonna Raum zu geben. Das Dresdner Exemplar galt ihm als die spätere Wiederholung des Darmstädter Exemplars von der Hand desselben Meisters. Heute, nachdem das letztere durch das Geschick des Nestaurators Hauser in München von den spätern Übermalungen befreit worden ist, ist der Streit endgiltig erledigt, und es handelt sich nur noch um die Frage nach dem niederländischen Maler, der das Holbeinsche Bild im ersten Viertel des siebzehnten Jahrhunderts kopirt hat. Die Periode der Wissenschaft der Katalogisirung, welche durch Hübners *) Katalog der königlichen Gcmiildcgalerie zu Dresden von Karl Woer- mann, Direktor der Gemäldegalerie. Dresden, Druck von Wilhelm Hoffmann.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/103>, abgerufen am 16.06.2024.