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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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David Beronski.

Angst. Versprich es mir! Ich würde sie nicht überleben, du würdest deine
Mutter damit töten.

Ich kann nichts versprechen. Mutter, quäle mich nicht mehr!

Nur daß du nichts sagst, niemandem davon sprichst. Schweig und schone
deine Frau, deine Kinder! Gedenke der Thränen deiner Mutter, die dich mehr
liebt als ihr Leben.

Soll ich ein Heuchler sein?

Er schlug die Hände vor sein Antlitz und atmete tief und schwer.

Sie würden dich strafen -- sie drängte sich dicht an ihn, und ihre Stimme
sank zum leisesten Hauch herab, während sie heftig zitterte --, sie würden dich
vielleicht toten, wie einst den Karaiten Mosche. Und du bist noch so jung, du
wirst anders denken lernen, laß Zeit darüber hingehen, David!

Sie faßte wieder seine Hände, und ihre Worte wurden eifriger, dringender:
Ich verlange es, ich befehle es dir! Sollen die Leute mit Fingern auf die
alte Rebekka weisen, weil ihr Sohn ein Ungehorsamer, ein Abtrünniger ge¬
worden ist? Verdankst du nicht alles mir? Wer hat deine Kindheit behütet,
deine Schritte gelenkt? Lebt denn kein Funke vou Dankbarkeit für mich in
deinem Herzen, daß meine Worte wie ein Windhauch an deinem Ohre vorüber
gehen, und dein Sinn sich von mir wendet?

Sie ließ seine Hände fallen, ihre Stirn zeigte drohende Falten. Als er
noch immer schwieg und nur tief aufseufzte, schrie sie plötzlich auf: Vergissest
du, daß Adonai Zebaoth einer Mutter Macht verliehen hat, ihre Kinder zu
segnen, oder -- zu verfluchen? Dann schwieg sie, als ob sie selber vor ihren
Worten erschrocken wäre.

Auf Davids Stirn standen große Schweißtropfe", seine Augen irrten wie
hilfesuchend umher. Alles blieb still. Der Wind trieb Staubwolken daher,
und in den Schilfbüscheln des Sumpfes raschelte es leise.

David blickte hin.

Denkst du das verfluchte Buch dort wieder zu finden? fragte Rebekka,
seinem Blicke folgend. Der schwarze Sumpf hält seine Toten fester als Erde
und Wasser getrennt. Nie giebt er heraus, was sein ist. O David, denke
deiner Kinder! Wie würde dein Herz empfinden, wenn du ihrer nicht mehr
liebend und segnend gedenken könntest? David! David! Hast du deine Mutter
nie geliebt?

Jeschla hatte ihr Haupt verhüllt und weinte heftig, aber lautlos. Als sie
endlich wieder aufblickte, sah sie Rebekka und David fortgehen. Rebekka hatte
zärtlich ihren Arm um ihn gelegt und führte ihn, denn er schwankte einher
wie ein müder Greis.

Die Nacht sandte schon ihre Dämmerungsboten vor sich her. Jeschka lag
noch immer im Grase. Endlich stand sie auf.

Was David Beronski glaubt, muß recht sein. Ich werde noch einmal
lesen, was er Rüben gegeben hat. Möge der Gott Abrahams, Jsaaks und
Jakobs mit ihm sein!

Auf die Kniee niedersinkend, faltete sie ihre Hände, und ein inbrünstiges
Gebet zu dem Ewigen stieg in ihrer Seele für David empor, der ihr heute in
seinem Seelenkämpfe, seinem Schmerze viel näher getreten war, als damals in
seinem gerechten Zorne über die Mißhandlung Rubens. Als sie wieder aufstand,
erfüllte 'ihre Seele nur der eine Wunsch, zu glaube", was David glaubte, und
darnach zu suchen.


David Beronski.

Angst. Versprich es mir! Ich würde sie nicht überleben, du würdest deine
Mutter damit töten.

Ich kann nichts versprechen. Mutter, quäle mich nicht mehr!

Nur daß du nichts sagst, niemandem davon sprichst. Schweig und schone
deine Frau, deine Kinder! Gedenke der Thränen deiner Mutter, die dich mehr
liebt als ihr Leben.

Soll ich ein Heuchler sein?

Er schlug die Hände vor sein Antlitz und atmete tief und schwer.

Sie würden dich strafen — sie drängte sich dicht an ihn, und ihre Stimme
sank zum leisesten Hauch herab, während sie heftig zitterte —, sie würden dich
vielleicht toten, wie einst den Karaiten Mosche. Und du bist noch so jung, du
wirst anders denken lernen, laß Zeit darüber hingehen, David!

Sie faßte wieder seine Hände, und ihre Worte wurden eifriger, dringender:
Ich verlange es, ich befehle es dir! Sollen die Leute mit Fingern auf die
alte Rebekka weisen, weil ihr Sohn ein Ungehorsamer, ein Abtrünniger ge¬
worden ist? Verdankst du nicht alles mir? Wer hat deine Kindheit behütet,
deine Schritte gelenkt? Lebt denn kein Funke vou Dankbarkeit für mich in
deinem Herzen, daß meine Worte wie ein Windhauch an deinem Ohre vorüber
gehen, und dein Sinn sich von mir wendet?

Sie ließ seine Hände fallen, ihre Stirn zeigte drohende Falten. Als er
noch immer schwieg und nur tief aufseufzte, schrie sie plötzlich auf: Vergissest
du, daß Adonai Zebaoth einer Mutter Macht verliehen hat, ihre Kinder zu
segnen, oder — zu verfluchen? Dann schwieg sie, als ob sie selber vor ihren
Worten erschrocken wäre.

Auf Davids Stirn standen große Schweißtropfe», seine Augen irrten wie
hilfesuchend umher. Alles blieb still. Der Wind trieb Staubwolken daher,
und in den Schilfbüscheln des Sumpfes raschelte es leise.

David blickte hin.

Denkst du das verfluchte Buch dort wieder zu finden? fragte Rebekka,
seinem Blicke folgend. Der schwarze Sumpf hält seine Toten fester als Erde
und Wasser getrennt. Nie giebt er heraus, was sein ist. O David, denke
deiner Kinder! Wie würde dein Herz empfinden, wenn du ihrer nicht mehr
liebend und segnend gedenken könntest? David! David! Hast du deine Mutter
nie geliebt?

Jeschla hatte ihr Haupt verhüllt und weinte heftig, aber lautlos. Als sie
endlich wieder aufblickte, sah sie Rebekka und David fortgehen. Rebekka hatte
zärtlich ihren Arm um ihn gelegt und führte ihn, denn er schwankte einher
wie ein müder Greis.

Die Nacht sandte schon ihre Dämmerungsboten vor sich her. Jeschka lag
noch immer im Grase. Endlich stand sie auf.

Was David Beronski glaubt, muß recht sein. Ich werde noch einmal
lesen, was er Rüben gegeben hat. Möge der Gott Abrahams, Jsaaks und
Jakobs mit ihm sein!

Auf die Kniee niedersinkend, faltete sie ihre Hände, und ein inbrünstiges
Gebet zu dem Ewigen stieg in ihrer Seele für David empor, der ihr heute in
seinem Seelenkämpfe, seinem Schmerze viel näher getreten war, als damals in
seinem gerechten Zorne über die Mißhandlung Rubens. Als sie wieder aufstand,
erfüllte 'ihre Seele nur der eine Wunsch, zu glaube», was David glaubte, und
darnach zu suchen.


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[0162] David Beronski. Angst. Versprich es mir! Ich würde sie nicht überleben, du würdest deine Mutter damit töten. Ich kann nichts versprechen. Mutter, quäle mich nicht mehr! Nur daß du nichts sagst, niemandem davon sprichst. Schweig und schone deine Frau, deine Kinder! Gedenke der Thränen deiner Mutter, die dich mehr liebt als ihr Leben. Soll ich ein Heuchler sein? Er schlug die Hände vor sein Antlitz und atmete tief und schwer. Sie würden dich strafen — sie drängte sich dicht an ihn, und ihre Stimme sank zum leisesten Hauch herab, während sie heftig zitterte —, sie würden dich vielleicht toten, wie einst den Karaiten Mosche. Und du bist noch so jung, du wirst anders denken lernen, laß Zeit darüber hingehen, David! Sie faßte wieder seine Hände, und ihre Worte wurden eifriger, dringender: Ich verlange es, ich befehle es dir! Sollen die Leute mit Fingern auf die alte Rebekka weisen, weil ihr Sohn ein Ungehorsamer, ein Abtrünniger ge¬ worden ist? Verdankst du nicht alles mir? Wer hat deine Kindheit behütet, deine Schritte gelenkt? Lebt denn kein Funke vou Dankbarkeit für mich in deinem Herzen, daß meine Worte wie ein Windhauch an deinem Ohre vorüber gehen, und dein Sinn sich von mir wendet? Sie ließ seine Hände fallen, ihre Stirn zeigte drohende Falten. Als er noch immer schwieg und nur tief aufseufzte, schrie sie plötzlich auf: Vergissest du, daß Adonai Zebaoth einer Mutter Macht verliehen hat, ihre Kinder zu segnen, oder — zu verfluchen? Dann schwieg sie, als ob sie selber vor ihren Worten erschrocken wäre. Auf Davids Stirn standen große Schweißtropfe», seine Augen irrten wie hilfesuchend umher. Alles blieb still. Der Wind trieb Staubwolken daher, und in den Schilfbüscheln des Sumpfes raschelte es leise. David blickte hin. Denkst du das verfluchte Buch dort wieder zu finden? fragte Rebekka, seinem Blicke folgend. Der schwarze Sumpf hält seine Toten fester als Erde und Wasser getrennt. Nie giebt er heraus, was sein ist. O David, denke deiner Kinder! Wie würde dein Herz empfinden, wenn du ihrer nicht mehr liebend und segnend gedenken könntest? David! David! Hast du deine Mutter nie geliebt? Jeschla hatte ihr Haupt verhüllt und weinte heftig, aber lautlos. Als sie endlich wieder aufblickte, sah sie Rebekka und David fortgehen. Rebekka hatte zärtlich ihren Arm um ihn gelegt und führte ihn, denn er schwankte einher wie ein müder Greis. Die Nacht sandte schon ihre Dämmerungsboten vor sich her. Jeschka lag noch immer im Grase. Endlich stand sie auf. Was David Beronski glaubt, muß recht sein. Ich werde noch einmal lesen, was er Rüben gegeben hat. Möge der Gott Abrahams, Jsaaks und Jakobs mit ihm sein! Auf die Kniee niedersinkend, faltete sie ihre Hände, und ein inbrünstiges Gebet zu dem Ewigen stieg in ihrer Seele für David empor, der ihr heute in seinem Seelenkämpfe, seinem Schmerze viel näher getreten war, als damals in seinem gerechten Zorne über die Mißhandlung Rubens. Als sie wieder aufstand, erfüllte 'ihre Seele nur der eine Wunsch, zu glaube», was David glaubte, und darnach zu suchen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/162>, abgerufen am 15.06.2024.