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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der Feldzug der Italiener gegen Abessinien.

zur Vertreibung der Türken in der Hafenstadt Massaua antrug, nicht persön¬
lich und ein zweites durch ihren Minister ablehnend beantwortete. Hierdurch
schwer verletzt, ließ der König die Missionare und zugleich den britischen Konsul
Cameron verhaften, um sie so lange festzuhalten, bis ihm Genugthuung geworden.
Versuche, die Gefangenen auf gütlichem Wege zu befreien, schlugen fehl, und so
erfolgte am 9. September 1867 von feiten der britischen Regierung ein mit
Krieg drohendes Ultimatum, und es wurde zu dessen Ausführung in Bombay
ein Heer von 12 000 Mann (4000 Europäer und 8000 Inder) mit 20 Ele¬
fanten, zahlreichen andern Trcmsportticren und starker Artillerie, namentlich
Berggeschützen, ausgerüstet, über welches der General Napier den Oberbefehl
führte. Dessen Vortrab landete im Oktober 1867 im Hafen von Znlla, und
am 3. Januar des nächsten Jahres traf Napier mit dem Neste der Truppen
hier ein, worauf der Marsch ins Innere angetreten wurde. Am 31. Januar
war Senafe erreicht, von wo man über Adigirat und Antalo nach dem Felsen¬
neste Magdala weiterzog, in welchem Theodor mit den Gefangenen zuletzt Posto
gefaßt hatte. Auf dem Marsche waren bedeutende Schwierigkeiten zu über¬
winden, Pässe von 3100 Meter Höhe und wilde Schluchten ohne Wege. Als
die Engländer sich der Feste näherten, stürmte Theodor von oben her mit seinen
Musketieren und Speerträgern gegen sie an, wurde aber von deren Snyder-
gewehren und gezogenen Kanonen so wirksam empfangen, daß binnen kurzem
fast die Hälfte seiner Leute tot oder verwundet die Wahlstatt bedeckte und die
übrigen die Flucht ergriffen, wogegen der Verlust der Briten nur in zwanzig
Verwundeten bestand. Tags darauf, am 11. April, schickte Theodor Unterhändler
an Napier, welche Freilassung sämtlicher Gefangenen anboten, wofern mau sich
dafür verpflichtete, dem Könige bei der Dämpfung des Aufstandes beizustehen,
welcher sich inzwischen unter seinen Unterthanen gegen ihn erhoben hatte. Napier
verlangte dagegen Übergabe Magdalas und unbedingte Freigebung der Ge¬
fangenen, und die letztere wurde nun gewährt. Magdala aber fiel erst am 12.
nach einer Beschießung durch Sturm, der indes nur eine Viertelstunde währte.
Theodor befand sich unter den Toten der Festung: um sich dem Feinde nicht
ergeben zu müssen, hatte er sich selbst erschossen. Am 1?. schon trat das sieg¬
reiche Heer den Rückzug nach der Küste an, und am 1. Juni schiffte es sich
wieder nach Indien ein. Es war vielfach erwartet worden, England werde sich hier
für die Dauer festsetzen, aber man zog es aus guten Gründen vor, sich mit der
Vergrößerung des Ansehens in diesen Gegenden und im ganzen Orient zu be¬
gnügen, welches man sich durch diesen Feldzug mit seinem raschen und voll¬
ständigen Erfolge erworben hatte. Weit weniger glücklich war der ägyptische
Khedive Ismail, welcher die nun eintretende Verwirrung und Zersetzung des
Landes benutzen wollte, um sein Reich nach dieser Richtung hin zu erweitern.
Es gelang ihm zwar, nördliche Gebiete von Habesch für eine Weile zu erobern,
aber bald nachher erlitt er schwere Niederlagen, bei denen das eine mal sein


Der Feldzug der Italiener gegen Abessinien.

zur Vertreibung der Türken in der Hafenstadt Massaua antrug, nicht persön¬
lich und ein zweites durch ihren Minister ablehnend beantwortete. Hierdurch
schwer verletzt, ließ der König die Missionare und zugleich den britischen Konsul
Cameron verhaften, um sie so lange festzuhalten, bis ihm Genugthuung geworden.
Versuche, die Gefangenen auf gütlichem Wege zu befreien, schlugen fehl, und so
erfolgte am 9. September 1867 von feiten der britischen Regierung ein mit
Krieg drohendes Ultimatum, und es wurde zu dessen Ausführung in Bombay
ein Heer von 12 000 Mann (4000 Europäer und 8000 Inder) mit 20 Ele¬
fanten, zahlreichen andern Trcmsportticren und starker Artillerie, namentlich
Berggeschützen, ausgerüstet, über welches der General Napier den Oberbefehl
führte. Dessen Vortrab landete im Oktober 1867 im Hafen von Znlla, und
am 3. Januar des nächsten Jahres traf Napier mit dem Neste der Truppen
hier ein, worauf der Marsch ins Innere angetreten wurde. Am 31. Januar
war Senafe erreicht, von wo man über Adigirat und Antalo nach dem Felsen¬
neste Magdala weiterzog, in welchem Theodor mit den Gefangenen zuletzt Posto
gefaßt hatte. Auf dem Marsche waren bedeutende Schwierigkeiten zu über¬
winden, Pässe von 3100 Meter Höhe und wilde Schluchten ohne Wege. Als
die Engländer sich der Feste näherten, stürmte Theodor von oben her mit seinen
Musketieren und Speerträgern gegen sie an, wurde aber von deren Snyder-
gewehren und gezogenen Kanonen so wirksam empfangen, daß binnen kurzem
fast die Hälfte seiner Leute tot oder verwundet die Wahlstatt bedeckte und die
übrigen die Flucht ergriffen, wogegen der Verlust der Briten nur in zwanzig
Verwundeten bestand. Tags darauf, am 11. April, schickte Theodor Unterhändler
an Napier, welche Freilassung sämtlicher Gefangenen anboten, wofern mau sich
dafür verpflichtete, dem Könige bei der Dämpfung des Aufstandes beizustehen,
welcher sich inzwischen unter seinen Unterthanen gegen ihn erhoben hatte. Napier
verlangte dagegen Übergabe Magdalas und unbedingte Freigebung der Ge¬
fangenen, und die letztere wurde nun gewährt. Magdala aber fiel erst am 12.
nach einer Beschießung durch Sturm, der indes nur eine Viertelstunde währte.
Theodor befand sich unter den Toten der Festung: um sich dem Feinde nicht
ergeben zu müssen, hatte er sich selbst erschossen. Am 1?. schon trat das sieg¬
reiche Heer den Rückzug nach der Küste an, und am 1. Juni schiffte es sich
wieder nach Indien ein. Es war vielfach erwartet worden, England werde sich hier
für die Dauer festsetzen, aber man zog es aus guten Gründen vor, sich mit der
Vergrößerung des Ansehens in diesen Gegenden und im ganzen Orient zu be¬
gnügen, welches man sich durch diesen Feldzug mit seinem raschen und voll¬
ständigen Erfolge erworben hatte. Weit weniger glücklich war der ägyptische
Khedive Ismail, welcher die nun eintretende Verwirrung und Zersetzung des
Landes benutzen wollte, um sein Reich nach dieser Richtung hin zu erweitern.
Es gelang ihm zwar, nördliche Gebiete von Habesch für eine Weile zu erobern,
aber bald nachher erlitt er schwere Niederlagen, bei denen das eine mal sein


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[0170] Der Feldzug der Italiener gegen Abessinien. zur Vertreibung der Türken in der Hafenstadt Massaua antrug, nicht persön¬ lich und ein zweites durch ihren Minister ablehnend beantwortete. Hierdurch schwer verletzt, ließ der König die Missionare und zugleich den britischen Konsul Cameron verhaften, um sie so lange festzuhalten, bis ihm Genugthuung geworden. Versuche, die Gefangenen auf gütlichem Wege zu befreien, schlugen fehl, und so erfolgte am 9. September 1867 von feiten der britischen Regierung ein mit Krieg drohendes Ultimatum, und es wurde zu dessen Ausführung in Bombay ein Heer von 12 000 Mann (4000 Europäer und 8000 Inder) mit 20 Ele¬ fanten, zahlreichen andern Trcmsportticren und starker Artillerie, namentlich Berggeschützen, ausgerüstet, über welches der General Napier den Oberbefehl führte. Dessen Vortrab landete im Oktober 1867 im Hafen von Znlla, und am 3. Januar des nächsten Jahres traf Napier mit dem Neste der Truppen hier ein, worauf der Marsch ins Innere angetreten wurde. Am 31. Januar war Senafe erreicht, von wo man über Adigirat und Antalo nach dem Felsen¬ neste Magdala weiterzog, in welchem Theodor mit den Gefangenen zuletzt Posto gefaßt hatte. Auf dem Marsche waren bedeutende Schwierigkeiten zu über¬ winden, Pässe von 3100 Meter Höhe und wilde Schluchten ohne Wege. Als die Engländer sich der Feste näherten, stürmte Theodor von oben her mit seinen Musketieren und Speerträgern gegen sie an, wurde aber von deren Snyder- gewehren und gezogenen Kanonen so wirksam empfangen, daß binnen kurzem fast die Hälfte seiner Leute tot oder verwundet die Wahlstatt bedeckte und die übrigen die Flucht ergriffen, wogegen der Verlust der Briten nur in zwanzig Verwundeten bestand. Tags darauf, am 11. April, schickte Theodor Unterhändler an Napier, welche Freilassung sämtlicher Gefangenen anboten, wofern mau sich dafür verpflichtete, dem Könige bei der Dämpfung des Aufstandes beizustehen, welcher sich inzwischen unter seinen Unterthanen gegen ihn erhoben hatte. Napier verlangte dagegen Übergabe Magdalas und unbedingte Freigebung der Ge¬ fangenen, und die letztere wurde nun gewährt. Magdala aber fiel erst am 12. nach einer Beschießung durch Sturm, der indes nur eine Viertelstunde währte. Theodor befand sich unter den Toten der Festung: um sich dem Feinde nicht ergeben zu müssen, hatte er sich selbst erschossen. Am 1?. schon trat das sieg¬ reiche Heer den Rückzug nach der Küste an, und am 1. Juni schiffte es sich wieder nach Indien ein. Es war vielfach erwartet worden, England werde sich hier für die Dauer festsetzen, aber man zog es aus guten Gründen vor, sich mit der Vergrößerung des Ansehens in diesen Gegenden und im ganzen Orient zu be¬ gnügen, welches man sich durch diesen Feldzug mit seinem raschen und voll¬ ständigen Erfolge erworben hatte. Weit weniger glücklich war der ägyptische Khedive Ismail, welcher die nun eintretende Verwirrung und Zersetzung des Landes benutzen wollte, um sein Reich nach dieser Richtung hin zu erweitern. Es gelang ihm zwar, nördliche Gebiete von Habesch für eine Weile zu erobern, aber bald nachher erlitt er schwere Niederlagen, bei denen das eine mal sein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/170>, abgerufen am 15.06.2024.