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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der Feldzug der Italiener gegen Abessinien.

größer" und kleinern Häuptlingen, welche einander befehdeten, beherrscht wurden,
sodciß das Land eine geraume Zeit nur ein geographischer Begriff war. Johann,
der jetzige "König der Könige," hat es seitdem verstanden, einige Ordnung in
diese Auflösung und Verwirrung zu bringen und die meisten jener Kleinfürstcn
seiner Obmcicht zu unterwerfen, wobei sein Recht nur in seiner größern Stärke
bestand. Hinsichtlich Massauas aber hat er dieses Recht erst noch mit den Waffen
darzuthun. Unglücklicherweise hat England dazu beigetragen, die Schwierig¬
keit der Frage zu vermehren, indem es dnrch die Sendung Admirals Hewitts
an den abessinischen Monarchen diesem in Massaua gewisse Befugnisse ein¬
räumte. Man ließ damals von Abessinien Beistand gegen die Derwische des
Mahdi erbitten, welche sich zur Einnahme von Kassala im Sudan anschickten,
und versprach dafür den Abessiniern die Gestattung freier Ein- und Ausfuhr
über den Hafen von Massaua. Daraus leitet nun der König Johann -- bei¬
läufig nicht gerade unnatürlicherweise -- den Schluß ab, daß die italienische
Besetzung eine Verletzung jenes Versprechens sei. England hegt jedoch selbstver¬
ständlich noch jetzt den Wunsch, daß seine Zusage Bestand habe und abessinische
Erzeugnisse über Massaua ausgeführt, sowie fremde Waren zum Transport ins
Innere hier ausgeschifft werden, und Italien hat ebenso selbstverständlich den
gleichen Wunsch. Nur ist dies nicht das eigentliche Begehren der Abessinier.
Was sie beanspruchen, sind nicht sowohl Handelsprivilegicn, als der Besitz
Massauas als eines Teiles ihres Gebiets, und darauf kann Italien natürlich
nicht eingehen, zumal da es durch Bedrohung mit Gewaltschritten erzwungen
werden soll. Diese Bedrohung ist seit einiger Zeit im Begriffe, zu Thaten zu
werden. Nach den neuesten Meldungen rückt der Negus Johann an der Spitze
von drei starken Heeren aus seinen Bergen im Westen von Massana gegen die
Italiener heran, um ihnen eine große Schlacht zu liefern und sie aus dem
Laude zu treiben. Der eine Heerhaufe wird von ihm selbst geführt, der zweite
von Ras Michael, der dritte von einem Prinzen des königlichen Hauses. Diese
Streitkräfte werden ihren Marsch nach Hamasen nehmen und so Massaua selbst
bedrohen, und nicht viele Wochen werden vergehen, so wird der Telegraph be¬
richten, daß die Feindseligkeiten in allem Ernste begonnen haben. Auch die
Italiener sind gut versehen. Sie hatten bereits vor mehreren Wochen etwa
12 000 Mann Infanterie mit zahlreicher Artillerie bei Massaua versammelt,
und seitdem hat sich ihre Negierung bewogen gefunden, Verstärkung in der Höhe
von weitern 6000 Mann nachzusenden, welche um die Mitte des Januar an
Ort und Stelle eintreffen sollen. Als Nachschub erscheint diese Streitkraft auf¬
fallend zahlreich, wenn man bedenkt, daß Napier vor zwanzig Jahren bei seinem
Marsche weit in das Innere des Landes nur über 12 000, nach andern Quellen
gar nur über 11 000 Mann verfügte.

In Rom scheint in manchen Kreisen Unruhe über den Ausgang der Ex¬
pedition zu herrschen, was nicht überraschen kann, wenn man sich an die schweren


Der Feldzug der Italiener gegen Abessinien.

größer» und kleinern Häuptlingen, welche einander befehdeten, beherrscht wurden,
sodciß das Land eine geraume Zeit nur ein geographischer Begriff war. Johann,
der jetzige „König der Könige," hat es seitdem verstanden, einige Ordnung in
diese Auflösung und Verwirrung zu bringen und die meisten jener Kleinfürstcn
seiner Obmcicht zu unterwerfen, wobei sein Recht nur in seiner größern Stärke
bestand. Hinsichtlich Massauas aber hat er dieses Recht erst noch mit den Waffen
darzuthun. Unglücklicherweise hat England dazu beigetragen, die Schwierig¬
keit der Frage zu vermehren, indem es dnrch die Sendung Admirals Hewitts
an den abessinischen Monarchen diesem in Massaua gewisse Befugnisse ein¬
räumte. Man ließ damals von Abessinien Beistand gegen die Derwische des
Mahdi erbitten, welche sich zur Einnahme von Kassala im Sudan anschickten,
und versprach dafür den Abessiniern die Gestattung freier Ein- und Ausfuhr
über den Hafen von Massaua. Daraus leitet nun der König Johann — bei¬
läufig nicht gerade unnatürlicherweise — den Schluß ab, daß die italienische
Besetzung eine Verletzung jenes Versprechens sei. England hegt jedoch selbstver¬
ständlich noch jetzt den Wunsch, daß seine Zusage Bestand habe und abessinische
Erzeugnisse über Massaua ausgeführt, sowie fremde Waren zum Transport ins
Innere hier ausgeschifft werden, und Italien hat ebenso selbstverständlich den
gleichen Wunsch. Nur ist dies nicht das eigentliche Begehren der Abessinier.
Was sie beanspruchen, sind nicht sowohl Handelsprivilegicn, als der Besitz
Massauas als eines Teiles ihres Gebiets, und darauf kann Italien natürlich
nicht eingehen, zumal da es durch Bedrohung mit Gewaltschritten erzwungen
werden soll. Diese Bedrohung ist seit einiger Zeit im Begriffe, zu Thaten zu
werden. Nach den neuesten Meldungen rückt der Negus Johann an der Spitze
von drei starken Heeren aus seinen Bergen im Westen von Massana gegen die
Italiener heran, um ihnen eine große Schlacht zu liefern und sie aus dem
Laude zu treiben. Der eine Heerhaufe wird von ihm selbst geführt, der zweite
von Ras Michael, der dritte von einem Prinzen des königlichen Hauses. Diese
Streitkräfte werden ihren Marsch nach Hamasen nehmen und so Massaua selbst
bedrohen, und nicht viele Wochen werden vergehen, so wird der Telegraph be¬
richten, daß die Feindseligkeiten in allem Ernste begonnen haben. Auch die
Italiener sind gut versehen. Sie hatten bereits vor mehreren Wochen etwa
12 000 Mann Infanterie mit zahlreicher Artillerie bei Massaua versammelt,
und seitdem hat sich ihre Negierung bewogen gefunden, Verstärkung in der Höhe
von weitern 6000 Mann nachzusenden, welche um die Mitte des Januar an
Ort und Stelle eintreffen sollen. Als Nachschub erscheint diese Streitkraft auf¬
fallend zahlreich, wenn man bedenkt, daß Napier vor zwanzig Jahren bei seinem
Marsche weit in das Innere des Landes nur über 12 000, nach andern Quellen
gar nur über 11 000 Mann verfügte.

In Rom scheint in manchen Kreisen Unruhe über den Ausgang der Ex¬
pedition zu herrschen, was nicht überraschen kann, wenn man sich an die schweren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/172>, abgerufen am 15.06.2024.