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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der Feldzug der Italiener gegen Abesstnien.

Niederlagen der Ägypter Ismails und an die Schlappe von Dogali erinnert.
Indes kann man bei letzterer auf die Wahrscheinlichkeit hinweisen, daß die
Katastrophe durch Sorglosigkeit und Unterschätzung des Gegners, den man vor
sich hatte, herbeigeführt wurde. Man beging denselben Fehler, der im Zulu¬
lande die große Niederlage von Jsandlcma, im Kriege mit den Boers die
Schlappe in den Drachenbcrgeu und in den Kämpfen mit den Derwische"
Osman Digmas wiederholt starke Verluste auf englischer Seite zur Folge hatte.
Der Tag von Dvgali, der den Italienern, welche aus Massena ausrückten, um
die Dreistigkeit der abessinischen Krieger, vermeintlicher wenig zu fürchtender
Barbaren, zu bestrafen, mehrere hundert Soldaten kostete, ist der letzte Grund
zu dem Feldzuge in Habesch. Mau hat in Rom die Pflicht, die England
wiederholt in Afghanistan, später gegenüber Tschetwaho, dem Zuluköuigc, und
noch später gegenüber den Boers hatte, Wiedergewinnung des Verlornen An¬
sehens und Auswetzuug der beschädigten militärischen Ehre. Man hat Lehrgeld
zahlen müssen, aber dafür Erfahrungen eingetauscht, die jetzt ohne Zweifel Be¬
achtung finden und fernere Zahlungen nicht nötig machen werden. Die nach
Massaua gesandten Streitkräfte werden nicht bloß hinreichen, diesen Punkt gegen
noch so zahlreiche Scharen des Negus zu behaupten, sondern auch zu einem
Vorstöße genügen, der eine beträchtliche Strecke der Umgebung von den Feinden
säubert und durch Befestigung geeigneter Örtlichkeiten eine Wiederkehr derselben
und eine Lcmdblokade für die Dauer zur Unmöglichkeit macht. Vou selbst ver¬
steht sich, daß das jetzige italienische Heer bei Massaua weit besser ausgerüstet
ist als die Truppen, die bei Dogali unterlagen. Die Engländer Napiers
nahmen Elefanten und Bergkanouen -- einige sagen, auch silberne Waschbecken
und Kisten mit Kölnischen Wasser -- mit auf deu Weg nach Magdala. Die
Italiener sind praktischer gewesen in ihrer Benutzung der Erfindungen der
modernen Industrie für Kriegszwecke: sie haben eine Eisenbahn mitgenommen,
welche bereits gelegt und im Betriebe ist und welche einige Meilen ins Innere
des Landes führt. Desgleichen haben sie ein bewegliches Fort von Eisen kon-
struirt, welches gute Dienste zu leisten verspricht. Die Truppen brennen darauf,
die frühere Niederlage durch glänzende Siege wieder gut zu machen, und ihre
Offiziere wissen jetzt, daß Unterschätzung des Gegners wie überall so auch hier
übel angebracht und -Vorsicht zwar nicht das bessere Teil der Tapferkeit, aber
auch eine schöne Tugend ist. Man darf sich der Hoffnung hingeben, daß die
Oximcms die Wahrheit sagte, als sie in diesen Tagen erklärte: "die militä¬
rischen Angelegenheiten befinden sich in durchaus zweckentsprechenden Händen."
Die Generale sind sich klar über die Bedürfnisse und Gefahren der afrikanischen
Kriegführung, und sie sind vielleicht eher geneigt, den Abessiniern zu viel Tapfer¬
keit und strategisches Geschick zuzuschreiben, als zu wenig. Der Gedanke an
Rache ist kein politischer, und so wies ihn Crispi neulich in der Kammer zurück,
"aber -- so fügte er hinzu -- da Italien in Massena ist, so muß es in den


Der Feldzug der Italiener gegen Abesstnien.

Niederlagen der Ägypter Ismails und an die Schlappe von Dogali erinnert.
Indes kann man bei letzterer auf die Wahrscheinlichkeit hinweisen, daß die
Katastrophe durch Sorglosigkeit und Unterschätzung des Gegners, den man vor
sich hatte, herbeigeführt wurde. Man beging denselben Fehler, der im Zulu¬
lande die große Niederlage von Jsandlcma, im Kriege mit den Boers die
Schlappe in den Drachenbcrgeu und in den Kämpfen mit den Derwische»
Osman Digmas wiederholt starke Verluste auf englischer Seite zur Folge hatte.
Der Tag von Dvgali, der den Italienern, welche aus Massena ausrückten, um
die Dreistigkeit der abessinischen Krieger, vermeintlicher wenig zu fürchtender
Barbaren, zu bestrafen, mehrere hundert Soldaten kostete, ist der letzte Grund
zu dem Feldzuge in Habesch. Mau hat in Rom die Pflicht, die England
wiederholt in Afghanistan, später gegenüber Tschetwaho, dem Zuluköuigc, und
noch später gegenüber den Boers hatte, Wiedergewinnung des Verlornen An¬
sehens und Auswetzuug der beschädigten militärischen Ehre. Man hat Lehrgeld
zahlen müssen, aber dafür Erfahrungen eingetauscht, die jetzt ohne Zweifel Be¬
achtung finden und fernere Zahlungen nicht nötig machen werden. Die nach
Massaua gesandten Streitkräfte werden nicht bloß hinreichen, diesen Punkt gegen
noch so zahlreiche Scharen des Negus zu behaupten, sondern auch zu einem
Vorstöße genügen, der eine beträchtliche Strecke der Umgebung von den Feinden
säubert und durch Befestigung geeigneter Örtlichkeiten eine Wiederkehr derselben
und eine Lcmdblokade für die Dauer zur Unmöglichkeit macht. Vou selbst ver¬
steht sich, daß das jetzige italienische Heer bei Massaua weit besser ausgerüstet
ist als die Truppen, die bei Dogali unterlagen. Die Engländer Napiers
nahmen Elefanten und Bergkanouen — einige sagen, auch silberne Waschbecken
und Kisten mit Kölnischen Wasser — mit auf deu Weg nach Magdala. Die
Italiener sind praktischer gewesen in ihrer Benutzung der Erfindungen der
modernen Industrie für Kriegszwecke: sie haben eine Eisenbahn mitgenommen,
welche bereits gelegt und im Betriebe ist und welche einige Meilen ins Innere
des Landes führt. Desgleichen haben sie ein bewegliches Fort von Eisen kon-
struirt, welches gute Dienste zu leisten verspricht. Die Truppen brennen darauf,
die frühere Niederlage durch glänzende Siege wieder gut zu machen, und ihre
Offiziere wissen jetzt, daß Unterschätzung des Gegners wie überall so auch hier
übel angebracht und -Vorsicht zwar nicht das bessere Teil der Tapferkeit, aber
auch eine schöne Tugend ist. Man darf sich der Hoffnung hingeben, daß die
Oximcms die Wahrheit sagte, als sie in diesen Tagen erklärte: „die militä¬
rischen Angelegenheiten befinden sich in durchaus zweckentsprechenden Händen."
Die Generale sind sich klar über die Bedürfnisse und Gefahren der afrikanischen
Kriegführung, und sie sind vielleicht eher geneigt, den Abessiniern zu viel Tapfer¬
keit und strategisches Geschick zuzuschreiben, als zu wenig. Der Gedanke an
Rache ist kein politischer, und so wies ihn Crispi neulich in der Kammer zurück,
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[0173] Der Feldzug der Italiener gegen Abesstnien. Niederlagen der Ägypter Ismails und an die Schlappe von Dogali erinnert. Indes kann man bei letzterer auf die Wahrscheinlichkeit hinweisen, daß die Katastrophe durch Sorglosigkeit und Unterschätzung des Gegners, den man vor sich hatte, herbeigeführt wurde. Man beging denselben Fehler, der im Zulu¬ lande die große Niederlage von Jsandlcma, im Kriege mit den Boers die Schlappe in den Drachenbcrgeu und in den Kämpfen mit den Derwische» Osman Digmas wiederholt starke Verluste auf englischer Seite zur Folge hatte. Der Tag von Dvgali, der den Italienern, welche aus Massena ausrückten, um die Dreistigkeit der abessinischen Krieger, vermeintlicher wenig zu fürchtender Barbaren, zu bestrafen, mehrere hundert Soldaten kostete, ist der letzte Grund zu dem Feldzuge in Habesch. Mau hat in Rom die Pflicht, die England wiederholt in Afghanistan, später gegenüber Tschetwaho, dem Zuluköuigc, und noch später gegenüber den Boers hatte, Wiedergewinnung des Verlornen An¬ sehens und Auswetzuug der beschädigten militärischen Ehre. Man hat Lehrgeld zahlen müssen, aber dafür Erfahrungen eingetauscht, die jetzt ohne Zweifel Be¬ achtung finden und fernere Zahlungen nicht nötig machen werden. Die nach Massaua gesandten Streitkräfte werden nicht bloß hinreichen, diesen Punkt gegen noch so zahlreiche Scharen des Negus zu behaupten, sondern auch zu einem Vorstöße genügen, der eine beträchtliche Strecke der Umgebung von den Feinden säubert und durch Befestigung geeigneter Örtlichkeiten eine Wiederkehr derselben und eine Lcmdblokade für die Dauer zur Unmöglichkeit macht. Vou selbst ver¬ steht sich, daß das jetzige italienische Heer bei Massaua weit besser ausgerüstet ist als die Truppen, die bei Dogali unterlagen. Die Engländer Napiers nahmen Elefanten und Bergkanouen — einige sagen, auch silberne Waschbecken und Kisten mit Kölnischen Wasser — mit auf deu Weg nach Magdala. Die Italiener sind praktischer gewesen in ihrer Benutzung der Erfindungen der modernen Industrie für Kriegszwecke: sie haben eine Eisenbahn mitgenommen, welche bereits gelegt und im Betriebe ist und welche einige Meilen ins Innere des Landes führt. Desgleichen haben sie ein bewegliches Fort von Eisen kon- struirt, welches gute Dienste zu leisten verspricht. Die Truppen brennen darauf, die frühere Niederlage durch glänzende Siege wieder gut zu machen, und ihre Offiziere wissen jetzt, daß Unterschätzung des Gegners wie überall so auch hier übel angebracht und -Vorsicht zwar nicht das bessere Teil der Tapferkeit, aber auch eine schöne Tugend ist. Man darf sich der Hoffnung hingeben, daß die Oximcms die Wahrheit sagte, als sie in diesen Tagen erklärte: „die militä¬ rischen Angelegenheiten befinden sich in durchaus zweckentsprechenden Händen." Die Generale sind sich klar über die Bedürfnisse und Gefahren der afrikanischen Kriegführung, und sie sind vielleicht eher geneigt, den Abessiniern zu viel Tapfer¬ keit und strategisches Geschick zuzuschreiben, als zu wenig. Der Gedanke an Rache ist kein politischer, und so wies ihn Crispi neulich in der Kammer zurück, „aber — so fügte er hinzu — da Italien in Massena ist, so muß es in den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/173>, abgerufen am 15.06.2024.