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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Ver Feldzug der Italiener gegen Abessinien,

Stand gesetzt worden, zu fühlen, daß es dort in Sicherheit verbleiben und die
Ehre seiner Waffen wahren kann." Es ist nur militärische Klugheit, wenn
Italien sich nicht vorgesetzt hat, sehr weit in das Innere des Landes vorzu¬
dringen, wie einst die Engländer mit ihrem Marsche nach dem achtzig Meilen
von der Küste entfernten Magdala. Es giebt wohl in der Welt keine Gegend,
welche das Vorrücken einer Jnvasionsarmee in so hohem Grade erschwert.
Ncipier schilderte sie in der Ansprache, die er am 20. April 1868 im Lager
von Dalsola an sein siegreiches Heer richtete, mit den Worten: "Ich wünsche
euch von ganzem Herzen Glück zu der trefflichen Weise, in der ihr die Befehle
unsrer Souveränin erfüllt habt. Ihr habt zahlreiche steile und schroffe Berg¬
ketten bis zu zehntausend Fuß Höhe überschritten, oft nnter eiuer tropischen
Sonne oder unter Regen- und Hagelstürmen, vierhundert ^englische^ Meilen
gebirgigen und schwierige" Landes, wo eure Lebensmittel nicht mit euch Schritt
halten konnten." Die Burg von Magdala war so gelegen, daß unerschrockene
Verteidiger mit guten Geschützen sie erst nach langer Belagerung hätten auf¬
geben müssen. Wäre das ganze Volk den Angreifern entgegengetreten, fo würde
Napier nichts auszurichten imstande gewesen sein. Theodor aber war ein Tyrann
mit vielen Feinden, und der abessinische Patriotismus hat an sich schon nicht
viel zu bedeuten in Kriegen mit Fremden, sodaß die Engländer bei den Ein-
gebornen nicht nur geringem Widerstande begegneten, sondern gegen guten Lohn
sich deren Beistand sichern konnten. Die Italiener werden mit keinen derartigen
natürlichen Schwierigkeiten zu thun haben, da sie an keine Invasion denken,
welche weit über die Umgebung Massauas hinausführen würde, sondern nur
dessen Sicherung durch Besetzung einiger strategisch wichtigen Punkte wenige
Meilen von dessen Wällen im Auge haben. Das Land Habesch scheint, soweit
es bis jetzt erforscht ist, kein derartiges zusein, welches mit seinen Hilfsquellen
die Mühe und die Kosten einer Eroberung zur Genüge verlohnte. Manche
seiner Thäler und Kessel sind allerdings von Natur sehr fruchtbar, aber alle
sind infolge der unaufhörlichen Bürgerkriege dünn bevölkert, eine Anzahl der
Niederungen sind Fiebersümpfe, andre dürre Wüsten, und die Bewohner be¬
kennen sich zwar größtenteils zu einer Art von Christentum, sind aber sonst so
roh und ungesittet wie die benachbarten Heiden und Muslims, wozu noch
kommt, daß sie durchweg im Rufe der Falschheit und Heimtücke stehen.

Wir Deutschen betrachten das Unternehmen unsrer italienischen Bundes¬
genossen natürlich mit aller möglichen Teilnahme, da unser Interesse uns
wünschen läßt, daß der junge Staat in keiner Weise irgend welche Einbuße an
seiner Ehre und seiner Bedeutung als europäische Großmacht erleide, vielmehr
an Kraft und Ausehen wachse und gedeihe. Es wird mit Interesse vernommen
werden, daß man sich in Rom Befürchtungen hingiebt, die darauf hinaus laufen,
daß man meint, Italien könne an Einfluß auf die Entwicklung europäischer
Streitfragen verlieren, wenn es einen erheblichen Teil seiner finanziellen und


Ver Feldzug der Italiener gegen Abessinien,

Stand gesetzt worden, zu fühlen, daß es dort in Sicherheit verbleiben und die
Ehre seiner Waffen wahren kann." Es ist nur militärische Klugheit, wenn
Italien sich nicht vorgesetzt hat, sehr weit in das Innere des Landes vorzu¬
dringen, wie einst die Engländer mit ihrem Marsche nach dem achtzig Meilen
von der Küste entfernten Magdala. Es giebt wohl in der Welt keine Gegend,
welche das Vorrücken einer Jnvasionsarmee in so hohem Grade erschwert.
Ncipier schilderte sie in der Ansprache, die er am 20. April 1868 im Lager
von Dalsola an sein siegreiches Heer richtete, mit den Worten: „Ich wünsche
euch von ganzem Herzen Glück zu der trefflichen Weise, in der ihr die Befehle
unsrer Souveränin erfüllt habt. Ihr habt zahlreiche steile und schroffe Berg¬
ketten bis zu zehntausend Fuß Höhe überschritten, oft nnter eiuer tropischen
Sonne oder unter Regen- und Hagelstürmen, vierhundert ^englische^ Meilen
gebirgigen und schwierige» Landes, wo eure Lebensmittel nicht mit euch Schritt
halten konnten." Die Burg von Magdala war so gelegen, daß unerschrockene
Verteidiger mit guten Geschützen sie erst nach langer Belagerung hätten auf¬
geben müssen. Wäre das ganze Volk den Angreifern entgegengetreten, fo würde
Napier nichts auszurichten imstande gewesen sein. Theodor aber war ein Tyrann
mit vielen Feinden, und der abessinische Patriotismus hat an sich schon nicht
viel zu bedeuten in Kriegen mit Fremden, sodaß die Engländer bei den Ein-
gebornen nicht nur geringem Widerstande begegneten, sondern gegen guten Lohn
sich deren Beistand sichern konnten. Die Italiener werden mit keinen derartigen
natürlichen Schwierigkeiten zu thun haben, da sie an keine Invasion denken,
welche weit über die Umgebung Massauas hinausführen würde, sondern nur
dessen Sicherung durch Besetzung einiger strategisch wichtigen Punkte wenige
Meilen von dessen Wällen im Auge haben. Das Land Habesch scheint, soweit
es bis jetzt erforscht ist, kein derartiges zusein, welches mit seinen Hilfsquellen
die Mühe und die Kosten einer Eroberung zur Genüge verlohnte. Manche
seiner Thäler und Kessel sind allerdings von Natur sehr fruchtbar, aber alle
sind infolge der unaufhörlichen Bürgerkriege dünn bevölkert, eine Anzahl der
Niederungen sind Fiebersümpfe, andre dürre Wüsten, und die Bewohner be¬
kennen sich zwar größtenteils zu einer Art von Christentum, sind aber sonst so
roh und ungesittet wie die benachbarten Heiden und Muslims, wozu noch
kommt, daß sie durchweg im Rufe der Falschheit und Heimtücke stehen.

Wir Deutschen betrachten das Unternehmen unsrer italienischen Bundes¬
genossen natürlich mit aller möglichen Teilnahme, da unser Interesse uns
wünschen läßt, daß der junge Staat in keiner Weise irgend welche Einbuße an
seiner Ehre und seiner Bedeutung als europäische Großmacht erleide, vielmehr
an Kraft und Ausehen wachse und gedeihe. Es wird mit Interesse vernommen
werden, daß man sich in Rom Befürchtungen hingiebt, die darauf hinaus laufen,
daß man meint, Italien könne an Einfluß auf die Entwicklung europäischer
Streitfragen verlieren, wenn es einen erheblichen Teil seiner finanziellen und


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[0174] Ver Feldzug der Italiener gegen Abessinien, Stand gesetzt worden, zu fühlen, daß es dort in Sicherheit verbleiben und die Ehre seiner Waffen wahren kann." Es ist nur militärische Klugheit, wenn Italien sich nicht vorgesetzt hat, sehr weit in das Innere des Landes vorzu¬ dringen, wie einst die Engländer mit ihrem Marsche nach dem achtzig Meilen von der Küste entfernten Magdala. Es giebt wohl in der Welt keine Gegend, welche das Vorrücken einer Jnvasionsarmee in so hohem Grade erschwert. Ncipier schilderte sie in der Ansprache, die er am 20. April 1868 im Lager von Dalsola an sein siegreiches Heer richtete, mit den Worten: „Ich wünsche euch von ganzem Herzen Glück zu der trefflichen Weise, in der ihr die Befehle unsrer Souveränin erfüllt habt. Ihr habt zahlreiche steile und schroffe Berg¬ ketten bis zu zehntausend Fuß Höhe überschritten, oft nnter eiuer tropischen Sonne oder unter Regen- und Hagelstürmen, vierhundert ^englische^ Meilen gebirgigen und schwierige» Landes, wo eure Lebensmittel nicht mit euch Schritt halten konnten." Die Burg von Magdala war so gelegen, daß unerschrockene Verteidiger mit guten Geschützen sie erst nach langer Belagerung hätten auf¬ geben müssen. Wäre das ganze Volk den Angreifern entgegengetreten, fo würde Napier nichts auszurichten imstande gewesen sein. Theodor aber war ein Tyrann mit vielen Feinden, und der abessinische Patriotismus hat an sich schon nicht viel zu bedeuten in Kriegen mit Fremden, sodaß die Engländer bei den Ein- gebornen nicht nur geringem Widerstande begegneten, sondern gegen guten Lohn sich deren Beistand sichern konnten. Die Italiener werden mit keinen derartigen natürlichen Schwierigkeiten zu thun haben, da sie an keine Invasion denken, welche weit über die Umgebung Massauas hinausführen würde, sondern nur dessen Sicherung durch Besetzung einiger strategisch wichtigen Punkte wenige Meilen von dessen Wällen im Auge haben. Das Land Habesch scheint, soweit es bis jetzt erforscht ist, kein derartiges zusein, welches mit seinen Hilfsquellen die Mühe und die Kosten einer Eroberung zur Genüge verlohnte. Manche seiner Thäler und Kessel sind allerdings von Natur sehr fruchtbar, aber alle sind infolge der unaufhörlichen Bürgerkriege dünn bevölkert, eine Anzahl der Niederungen sind Fiebersümpfe, andre dürre Wüsten, und die Bewohner be¬ kennen sich zwar größtenteils zu einer Art von Christentum, sind aber sonst so roh und ungesittet wie die benachbarten Heiden und Muslims, wozu noch kommt, daß sie durchweg im Rufe der Falschheit und Heimtücke stehen. Wir Deutschen betrachten das Unternehmen unsrer italienischen Bundes¬ genossen natürlich mit aller möglichen Teilnahme, da unser Interesse uns wünschen läßt, daß der junge Staat in keiner Weise irgend welche Einbuße an seiner Ehre und seiner Bedeutung als europäische Großmacht erleide, vielmehr an Kraft und Ausehen wachse und gedeihe. Es wird mit Interesse vernommen werden, daß man sich in Rom Befürchtungen hingiebt, die darauf hinaus laufen, daß man meint, Italien könne an Einfluß auf die Entwicklung europäischer Streitfragen verlieren, wenn es einen erheblichen Teil seiner finanziellen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/174>, abgerufen am 15.06.2024.